Am Tag, als Jesus sprach

Eine unglaubliche Geschichte des deutschen Schlagers, Heute: Juliane Werding. von martin krauss

Die Schlagersängerin Juliane Werding hat einen guten Ruf, und das seit über 30 Jahren. Den Robbie Robertson-Song »The Night They Drove Old Dixie Down« coverte sie 1972 kongenial als »Am Tag, als Conny Kramer starb«. Ein kluges Lied, das durch den Einfluss des amerikanischen Folkrock seine Wirkung nicht verfehlte und nur ein Problem hatte: So etwas gehörte eigentlich nicht in den deutschen Schlager. Dort wollen nämlich Melodien gehört werden, die zwischenmenschliche Beziehungen erträglich machen, die das Schöne in der Natur und im Menschen beschreiben und für frohe Laune sorgen.

Davon hatte Werdings erster Hit, der den Drogentod eines Freundes behandelte, rein gar nichts. Und sein musikalisches Vorbild war, obwohl es die tranige Joan Baez war, die in ihrer Version aus dem Robertson-Stück einen richtigen Hit machte, ja beim besten Willen kein Schlager.

»Am Tag, als Conny Kramer starb, / und alle Freunde weinten um ihn. / Das war ein schwerer Tag, / weil in mir eine Welt zerbrach.« In der jüngeren Conny-Kramer-Rezeption hat man sich geeinigt, den Song als musikhistorische Zäsur zu werten. »Der Schlager nämlich, schöner Schund und tönendes Nichts«, schreibt der Germanist Johannes John, »wurde nunmehr zum Transportmittel für ›Anliegen‹ jeglicher Art.« Für John steht fest: »Ob nun Quantensprung oder Sündenfall: jedenfalls hatte der Schlager seine Unschuld verloren, und Conny Kramer trug daran ein gerüttelt Maß an Mitschuld.« Es folgten ganze Liedermachergenerationen, die jeweilige stern-Titel zur Gitarre vortrugen.

Juliane Werding aber tat sich mit dem Sänger und Produzenten Gunter Gabriel zusammen, dessen Vorliebe fürs Covern von Folkrocktiteln erst in jüngster Zeit wieder große Erfolge zeitigte (»Es steht ein Haus im Kosovo« für die deutschen Soldaten auf dem Balkan). Und ausgerechnet mit dem Texter und Komponisten Gabriel erfand Juliane Werding 1975 nichts Geringeres als den Feminismus neu: »Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, / ein Mädchen kann das nicht. / Schau mir in die Augen, und dann schau in mein Gesicht! / Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, / du hast ein leichtes Spiel. / Doch ich weiß, was ich will. Drum lach nur über mich, / denn am Ende lache ich – über dich!«

Johanna von Koczian legte kurze Zeit später mit »Das bisschen Haushalt … sagt mein Mann« die Version für die ältere und verheiratete Frau nach, und Werding konnte nur noch den tendenziell resignativen Hit »Man muss das Leben eben nehmen, wie das Leben eben ist« (1976) folgen lassen. Dann ließ sie sich »zur PR-Frau ausbilden«, wie es in ihrer offiziellen Biografie heißt, und absolvierte gar eine Ausbildung zur Heilpraktikerin.

All das festigte ihren guten Ruf, mehr als nur Schlager zu produzieren. Was auch immer »mehr als« heißen und wofür auch immer »nur« stehen könnte. Dieser Ruf speist sich vor allem aus Conny Kramer, aber auch eine Reise nach Indien 1979 und Titel wie »Jenseits der Nacht«, »Wahre Lügen«, »Tränen im Ozean«, »Wie weit ist Eden«, »Der Himmel schweigt« oder »Tarot« halfen hier mit. Nicht zu vergessen ihre mit Henna gefärbten Haare.

Allerspätestens 1994 schaffte sie mit dem Song »Engel wie Du«, den sie zusammen mit Victor Lazlo und Maggie Reilly interpretierte, den Durchbruch zu den angeblich Seriösen in der Branche. »Sie werden meiner Musik nicht gerecht«, erklärte sie in einem Interview, »wenn Sie sie in die Schublade ›Schlager‹ einordnen.« Und damit das auch jeder von Beginn an bemerkt, »beginnt jedes meiner Konzerte mit dem Zitat der Schöpfungsgeschichte, unterlegt von kosmischen Klängen.«

Der Eso-Trip der Künstlerin war nicht mehr aufzuhalten und wurde offiziell. Auf ihrer Website heißt es zum Jahr 1998: »Juliane Werding startet am 28. Januar (Beginn des Wassermannzeitalters) eine sehr erfolgreiche Tournee durch 20 Städte Deutschlands.« Zuletzt, nämlich Ende Januar dieses Jahres, machte Werding durch einen Konflikt mit ihrer Plattenfirma Polydor auf sich aufmerksam. Die hatte nämlich einfach ihr aktuelles Album »Es gibt kein Zurück« eben doch zurück, sprich: vom Markt genommen, doch Werding bestand erfolgreich auf Vertragserfüllung.

Was die Polydor-Manager vielleicht ahnten, war, dass Juliane Werding ihre Qualitäten mittlerweile auf anderen kulturellen Gebieten entwickelt. Sie absolvierte etwa einen Schauspielkurs und tritt immer wieder in dem Stück »Vagina-Monologe« auf. Daneben verfasste sie zwei Treatments für Fernsehserien. Der Höhepunkt des künstlerischen Schaffens wurde aber 2001 erreicht. Da schrieb sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten Uwe Birnstein das Buch: »Sagen Sie mal, Herr Jesus … – und andere Interviews mit Menschen der Bibel«.

Birnstein, der sich auf seiner Homepage als »Journalist und Theologe« vorstellt, war bis dato u.a. durch taz-Artikel aufgefallen, die ihm sogar einen Rauswurf aus der Nordelbischen Kirchenzeitung und dem Evangelischen Pressedienst (epd) einbrachten, da er, wie ein Oberkirchenrat verlauten ließ, so »scharf und kritisch« über die Kirche berichtet habe.

Werding und Birnstein waren also zwei kritische Geister mit freien Kapazitäten. »Was passiert«, fragt der Verlag zum Bewerben des Werkes, »wenn eine katholisch aufgewachsene Popsängerin und Songtexterin, die gleichzeitig Heilpraktikerin ist, und ein evangelischer Theologe, der als Journalist und Buchautor arbeitet, ihre Erfahrungen mit der Bibel, dem Glauben und dem Leben zusammenlegen und zu Papier bringen?«

Juliane Werding berichtete in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: »Wir haben viel miteinander diskutiert und dazu gehörte auch die Recherche.« Zu recherchieren gab es einiges, denn selbst nahe liegende Vorarbeiten hatte ja bislang noch niemand unternommen. »Wieso ist noch nie jemand auf die Idee gekommen, Petrus angesichts seiner päpstlichen Nachfolger um seine Meinung zu bitten oder Judas um Stellung zu seinem Verrat zu bitten?«

Werding und Birnstein besorgten sich also Judas’ Handynummer und fragten einfach mal nach. Ein zweiter Band, teilte Werding mit, sei schon in Planung: »Pontius Pilatus, Johannes der Täufer und der Riese Goliath haben ihre Interview-Termine bereits zugesagt.« Und weil für den ersten Band ihr Lebensgefährte allein zu Jesus gereist war, versprach sie diesmal: »In der Fortsetzung werde ich den Heiland interviewen, und zwar emotionaler. Ich will wissen, wie man sich fühlt, als Heimatloser durch die Lande zu streifen und ständig vor vielen Menschen zu sprechen. Interessant wären auch seine Frauengeschichten.«

Juliane Werding macht mehr als nur Schlager, und ihr Partner Uwe Birnstein produziert mehr als nur Bücher. Er ist persönlicher Referent von Jürgen Fliege. Der wird sich den Judas und den Jesus gewiss auch in seine Sendung holen.