Die letzte Enthüllung

US-Außenminister Colin Powell hat vor dem UN-Sicherheitsrat zwar die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Irak belegt, die Gegner eines Krieges aber nicht überzeugen können. von martin schwarz, wien

In den nächsten beiden Wochen wird auf ein allerletztes und bewährtes Mittel zurückgegriffen, um vielleicht doch noch das derzeit unvermeidlich Scheinende zu verhindern. Elder Statesmen werden sich eventuell mit Saddam Hussein treffen und ihn kraft ihrer moralischen Integrität zu weiter reichenden Zugeständnissen zu bewegen suchen.

Nachdem der ehemalige britische Minister und Labour-Abgeordnete Tony Benn in der vergangenen Woche zwar keine echten politischen Botschaften vermitteln konnte, immerhin aber ein Interview mit dem echten Saddam Hussein nach London brachte, sollen die beiden Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter und Nelson Mandela sowie der ehemalige finnische Präsident Maarti Athisari in den nächsten zwei Wochen nach Bagdad reisen.

»Außenminister Tarik Aziz hat grundsätzlich eingewilligt, eine solche Mission zu unterstützen«, berichtet Hans von Sponeck, der ehemalige Leiter des UN-Programms Oil for Food, der Jungle World nach seinem Besuch in Bagdad. Bloß trauen selbst die drei prinzipiell zur Vermittlung bereiten ehemaligen Präsidenten dem Frieden nicht. Einer von ihnen hat Sponeck schon ausrichten lassen, es sei wahrscheinlich zu spät.

Ob die rüstigen Rentner etwas beim irakischen Staatschef ausrichten können, ist angesichts der fortgeschrittenen Kriegsvorbereitungen tatsächlich mehr als fraglich. Langsam sehen sich die USA zum Handeln genötigt, denn der Spannungsbogen, der von der US-Regierung in einer dramaturgischen Meisterleistung seit Monaten aufgebaut wurde, näherte sich mit der Multimedia-Präsentation des US-Außenministers Colin Powell am letzten Mittwoch im UN-Sicherheitsrat seinem Höhepunkt. Mehr Enthüllungen über irakische Hinterhältigkeiten werden die USA wohl nicht mehr vorbringen, die gesamte Bringschuld liegt nun bei Saddam Hussein.

Besonders schwierig, wenn nicht unmöglich, wird es für den Diktator, die Verbindungen zu al-Qaida als amerikanische Propaganda abzutun. Denn Powell scheint sich bei seiner Vermutung, Usama bin Ladens Helfer Abu Musab al-Zarqawi tue sich auch in Bagdad hervor, auf Erkenntnisse des oppositionellen Obersten Rates für die Islamische Revolution (Sciri) zu verlassen.

Dessen Vertreter in Europa, Saffa Mahmoud, berichtete der Jungle World schon im November von den mutmaßlichen Umtrieben al-Zarqawis. Sein Aufenthalt in Bagdad beweist noch keine Zusammenarbeit zwischen al-Qaida und dem Regime, widerlegt aber die irakische Behauptung, es gebe keinerlei Kontakte.

In anderen Teilen seiner Präsentation stützte sich Powell auch auf die Aussagen von vier irakischen Überläufern und gab damit zu verstehen, dass deren Schutz wohl nicht mehr lange notwendig sei. Allerdings sind solche Quellen nicht immer verlässlich.

So verlor Adnan Said al-Haideri, ein irakischer Überläufer, der den amerikanischen Sicherheitsbehörden nach Angaben Powells die Geschichte von den mobilen Biowaffenlabors erzählte, während einer Pressekonferenz im Dezember des vorletzten Jahres kein Wort über die mobilen Produktionsstätten für Massenvernichtungswaffen. Erst nach Gesprächen mit US-Geheimdiensten und einem Repräsentanten des oppositionellen Irakischen Nationalkongresses in Bangkok waren sie plötzlich ein Bestandteil seiner Berichte.

Gerade die behauptete Existenz mobiler Biowaffenlabors sollte der propagandistische Todesstoß für die UN-Inspektionen sein. »Das Attraktive an solchen mobilen Einheiten besteht für die Amerikaner aber gerade darin, dass sich mit ihnen auf eine nahezu geniale Weise begründen lässt, warum man bis heute noch keine Massenvernichtungswaffen oder eben die Labors zu deren Herstellung gefunden hat«, sagt Mohamed Jürgen Gietler der Jungle World.

Er hat intensive Erfahrungen mit dem irakischen Geheimdienst gemacht, denn er spionierte für ihn. Vor dem letzten Golfkrieg arbeitete er im Bonner Außenministerium und verriet dem irakischen Geheimdienst praktisch die gesamten Aufmarschpläne des Westens nach dem Überfall des Iraks auf Kuwait.

Gietler bezweifelt deshalb auch, dass die Irakis tatsächlich die amerikanische Aufklärungstechnik derart unterschätzen konnten. »Die Effizienz des irakischen Nachrichtendienstes reicht aus, um angesichts der ihnen durchaus bekannten Ausmaße amerikanischer Aufklärungstechniken auf die lächerliche Verfrachtung von Massenvernichtungswaffen auf Labors zu verzichten.«

Widerspruch zu den amerikanischen Anschuldigungen kam auch vom Leiter der Unmovic, Hans Blix. Seine Behörde habe zwei dieser mutmaßlichen mobilen Labors untersucht, sie hätten sich als Lebensmittellabors herausgestellt.

Wesentlich überzeugender waren die Verdächtigungen Powells, der Irak habe gewisse Örtlichkeiten von belastendem Material gesäubert, als die UN-Inspektoren schon im Lande waren. So verwies Powell auf einen Vorfall am 22. Dezember im al-Taji-Munitionslager, wo Spuren chemischer Kampfstoffe beseitigt worden sein sollen. Zwar ist das durchaus glaubwürdig, doch gleichzeitig wird klar, dass die USA nicht immer mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten.

Wenn nämlich Satellitenfotos vom 22. Dezember eine solche Verschleierung illegaler Tätigkeiten durch das irakische Militär belegen, ist es nicht gerade ein Zeichen uneingeschränkter Unterstützung für die Inspektoren, wenn Blix und Mohamed El Baradei erst am 5. Februar davon erfahren. Powell »muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Arbeit der Inspektoren behindert zu haben«, sagt Jan van Aken, ein Chemiewaffenexperte des Hamburger Sunshine Project, der Jungle World.

Ein wenig an Glaubwürdigkeit verloren hat die Präsentation Powells allein durch die Referenz auf ein tags zuvor von der britischen Regierung veröffentlichtes Dossier, das Powell im Sicherheitsrat als »feine Arbeit« bezeichnete. Diese feine Arbeit nämlich dürfte nach der Methode »Copy & Paste« gestaltet worden sein. Zehn der 19 Seiten, nach Ansicht der britischen Regierung »das Beste, was der Geheimdienst MI-6 zu bieten hat«, stammen aus der Examensarbeit eines amerikanischen Studenten irakischer Herkunft. Noch dazu sind die meisten der Informationen zwölf Jahre alt und nicht, wie der britische Premierminister Tony Blair versichern ließ, neueste Erkenntnisse.

Dabei bediente sich der Geheimdienst nicht nur am geistigen Eigentum anderer, sondern er schummelte auch noch. Aus dem Sponsoring der irakischen Regierung für einige oppositionelle Gruppen in arabischen Ländern wurde im Dossier die »Unterstützung von Terroristen«. Doch gerade diese Pleite könnte Blair zu einer Flucht in den Krieg drängen, der die Kriegsgegner in der britischen Labour Party und in den Reihen der parlamentarischen Opposition vor vollendete Tatsachen stellte.

Was die beiden UN-Chefinspektoren Blix und El Baradei am vergangenen Wochenende in Bagdad besprachen – immerhin soll es »substanzielle Fortschritte« gegeben haben bei der Kooperationswilligkeit der irakischen Regierung –, ist nun nicht mehr wirklich entscheidend. Zu umfassend war Powells Tagebuch des Bösen. Und die deutsch-französische Initiative (siehe Seite 7) richtet sich zwar gegen die Politik der USA, geht jedoch ebenfalls von der Notwendigkeit aus, den Irak mit »robusten« Mitteln abzurüsten.