Wir sind die Troublemaker

Schon bevor er begonnen hat, spaltet der Irakkrieg die Nato. Und ein dubioser deutsch-französischer Friedensplan sorgt für Missstimmung und Verwirrung. von lucien maigret, brüssel

Noch nie hat man sich so gezofft unter Nato-Staaten. »Die Nato wird Schaden nehmen, nicht die Türkei«, drohte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, wenn sich Mitglieder des Bündnisses wie Deutschland, Frankreich und auch Belgien weiter gegen die Stationierung von Boden-Luft-Raketen, Aufklärungsflugzeugen und ABC-Abwehrtruppen an der türkischen Grenze zum Irak wehrten. Er warf den Verbündeten ein »schändliches« Verhalten vor. »Die Türkei ist ein Verbündeter. Ein Verbündeter, der alles riskiert. Wie können sie sich weigern, ihm zu helfen?«

»Deutschland und Frankreich haben der Nato schrecklichen Schaden zugefügt«, sekundierte der in Rumsfelds Gefolge zur Münchner Militärkonferenz angereiste republikanische Senator John McCain. »In kalkuliertem Selbstinteresse« nutzten die beiden Führungsmächte der europäischen Kriegsgegner eine »desinformierte, primitive Amerikafeindschaft« für ihre eigenen Zwecke aus. »Das jüngste Verhalten von Paris und Berlin hat in Staaten auf beiden Seiten des Atlantiks ernste Zweifel ausgelöst, ob sie der multinationalen Diplomatie noch verpflichtet sind.«

Die Retourkutsche übernahm die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie. Die USA gefährdeten das Bündnis »zugunsten von ad hoc gebildeten Allianzen«. Verbündete seien zu gegenseitigem Respekt verpflichtet, und das bedeute, dass man sich »ungerechtfertigter Unterstellungen sowie irreführender und bewusst falscher Interpretationen« enthalte.

Am vergangenen Montag, als die Sicherheitskonferenz bereits beendet war, wurden die Botschafter der Nato-Staaten wegen der Unstimmigkeiten zu einer Sondertagung nach Brüssel gerufen. Von einem deutschen Veto gegen die Planungen der Nato für einen Irakkrieg war da keine Rede mehr. Offensichtlich hatten nur Frankreich und Belgien ein solches eingelegt.

Unklarheit herrschte am Montag auch über einen angeblichen deutsch-französischen Friedensplan. Das »alte Europa« plane eine Blauhelm-Invasion im Irak, hatte der Spiegel berichtet. Ausgeheckt hätten Deutschland und Frankreich den Plan schon Anfang Januar. Demnach wollen die beiden Staaten im Sicherheitsrat der Uno einen Resolutionsentwurf einbringen, der Saddam Hussein faktisch die Verfügungsgewalt über sein Land abspricht.

Der Irak soll von einer internationalen Truppe mit Uno-Mandat besetzt werden, die Zahl der Waffeninspektoren soll verdreifacht werden, und ihr Ziel sollen nicht mehr nur die A-, B- und C-Waffen der Iraker sein, sondern das gesamte Waffenarsenal des Regimes. »Ein robustes Abrüstungsregime«, nennt es ein namentlich nicht genanntes Mitglied der Bundesregierung, das der Spiegel zitiert. Und das Ganze finde selbstverständlich unter deutscher Beteiligung statt. Die USA sollen dagegen draußen bleiben, mit Truppen in halber Bundeswehrstärke jenseits der irakischen Grenzen aber für eine »Drohkulisse« sorgen.

Am Montag wurde der Plan jedoch von französischer Seite dementiert. Die Europaministerin Noëlle Lenoir bekräftigte, dass es keinen solchen Plan zur Entwaffnung des Irak gebe, ähnlich äußerte sich die Verteidigungsministerin Alliot-Marie. Selbst der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) relativierte den Bericht. »Die Pläne sind noch nicht so weit, dass man das absolut konkret mit vielen Einzelheiten darlegen könnte«, sagte Struck.

Zuvor hatten die USA bereits ihre Ablehnung bekundet. Die Initiative sei »eine Ablenkung, nicht die Lösung« bei der Entwaffnung des Irak, sagte US-Außenminister Colin Powell. »Es geht hier nicht um mehr Inspektoren, sondern um die Erfüllung der Uno-Auflagen durch den Irak.« Zudem zeigte man sich erbost darüber, von solchen Plänen aus den Medien hören zu müssen.

Fragt sich nur, woher der Spiegel seine Informationen über diesen Plan hatte, wenn sich nachher niemand zu ihm bekennen wollte. Es könnte sein, dass Deutschland und Frankreich einen Ausweg aus dem Dilemma suchten, entweder die besonderen Beziehung zu den USA aufzukündigen oder vor den eigenen Wählerinnen und Wählern nachgeben und doch einem Krieg zustimmen zu müssen.

Der Plan weist große Ähnlichkeit mit einem Entwaffnungsplan auf, den die Carnegie Endowment Mitte November vorlegte und den Washington damals als Vorschlag für die Uno-Resolution 1441 einbrachte. Vielleicht wollte man den USA den Plan mit einem Uno-Mandat für eine fortdauernde Militärpräsenz in der Golfregion schmackhaft machen.

Doch das deutsch-französische Gedankenspiel hat nicht nur den Schönheitsfehler, dass die US-Amerikaner es umgehend zurückwiesen, sondern es dürfte wohl auch kaum die Zustimmung der irakischen Führung finden, deren Kooperation nötig wäre. Sobald Bagdad aber erneut gegen eine Uno-Resolution zu seiner Entwaffnung verstößt, könnten Deutschland und Frankreich eine vollkommen veränderte Situation konstatieren und doch noch der Golfkriegskoalition beitreten. Vielleicht war das die Absicht Schröders und Chiracs.

Selbst wenn sich Berlin und Paris demnächst doch wieder an der Seite der USA wiederfinden, wird sich einiges geändert haben. Die beiden europäischen Staaten sind enger zusammengerückt, sie dürften weiterhin eine Sonderrolle im westlichen Bündnis spielen. Auch wenn sie versuchen dürften, den Eindruck zu vermeiden, sie seien für ihre Dissidenz bestraft worden.

In den arabischen Staaten könnten Deutschland und Frankreich wohl noch eine Weile lang von ihrem Widerstand gegen einen Krieg zehren; dennoch dürfte der Traum vorbei sein, einen eigenständigen Machtpol in der Golfregion zu bilden und dauerhaft für die Erdölstaaten der Region zu den begehrtesten Partnern zu gehören.

Ein weiteres ehemaliges Lieblingsprojekt können die Europäer schon jetzt zu den Akten legen: die WEU als militärische Komponente der EU auszubauen. Der militärische Vorsprung der USA führt den Europäern deutlich vor Augen, wie lächerlich ihre eigenen, zwischen Sparzwang und Großmachtphantasien lavierenden Bemühungen jenseits des Atlantik doch wirken müssen. Auf die Bundeswehr samt ihren KRK-Landsern können die USA durchaus verzichten, und auf all die anderen olivgrün gekleideten Europäer, die doch nur immer im Weg herumstehen, wenn es zur Sache geht, auch.

Die Europäer mussten in den vergangenen Wochen lernen, dass es illusionär ist, eine gemeinsame Militärpolitik in einer so wichtigen Region wie am Golf betreiben zu wollen, solange die politischen, und zwar vor allem die wirtschaftspolitischen Ziele dort nicht übereinstimmen. Der französisch-deutsche Sonderweg kann als Versuch verstanden werden, sich gegen die US-amerikanische Interessenpolitik am Golf zu stellen und stattdessen die eigenen Partikularinteressen zu verfolgen.