Im Computer als Zigeuner

Das Hotel Estrel soll einer Familie von Sinti die Übernachtung mit der Begründung verweigert haben, sie seien Zigeuner. Das Haus streitet die Vorwürfe ab. von daniel kilpert

Das Estrel-Hotel in Berlin-Neukölln ist nicht irgendein Hotel. Mit seinen 1 125 Betten ist es »Europas größter Convention-, Entertainment- und Hotel-Komplex«, wie es auf der Homepage des Hotels heißt. Täglich kann man die Live-Show »Stars in Concert« ansehen, schon mehrere Bundesparteitage verschiedener Parteien wurden hier abgehalten. Gerne rühmt sich das Hotel seines internationalen Flairs und wirbt für sich als »Stätte der Begegnung und Kommunikation«. Man darf also annehmen, hier eine tolerante Atmosphäre vorzufinden.

Davon ging wohl auch Johann Herzberg aus. Am 28. Januar wollte der deutsche Geschäftsmann aus dem Ruhrgebiet telefonisch zwei Zimmer im Hotel buchen. Schon mehrfach hatte er im vergangenen Jahr mit seiner Familie im Estrel übernachtet, nie gab es irgendwelche Probleme.

Als er aber diesmal seinen Wunsch äußerte, wurde ihm an der Rezeption erklärt, er habe Hausverbot. Als er nach dem Grund fragte, wurde ihm nach eigenen Angaben erklärt, er werde »im Computer als Zigeuner geführt«. Schockiert erklärte Herzberg, er verbiete sich eine Bezeichnung als »Zigeuner« und wolle mit der Vorgesetzten sprechen.

Diese stellte sich ihm als »Frau Müller« vor und unterstützte nicht nur das Verhalten der Mitarbeiterin an der Rezeption, sondern erklärte nach der Aussage Herzbergs: »Wir vermieten in unserem Hotel keine Zimmer an die Rasse der Zigeuner.«

Die Vorsitzende des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma, Petra Rosenberg, hält die Vorwürfe für glaubwürdig. Sie kennt Johann Herzberg gut, die Großväter der beiden waren Brüder und starben in Auschwitz. In einem Brief vom 30. Januar forderte sie das Hotel zu einer Stellungnahme auf.

»Die nationalsozialistische Verfolgung der Sinti und Roma begann lange vor ihrer Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Vorausgegangen war ihre systematische Ausgrenzung aus dem öffentlichen Leben«, schrieb sie.

»Anfänglich wurde ihnen der Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen wie Hotels, Theatern, Parkanlagen, Schwimmbädern und Restaurants mit Hinweis auf ihre ›rassische Zugehörigkeit‹ verwehrt. Mit der gleichen Begründung verwehrte ihre Managerin (…) Herrn Herzberg die Vermietung ihrer Zimmer. Einen Tag nach dem offiziellen, überall in Deutschland begangenen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erhält das Verhalten ihrer Managerin eine besonders zynische und menschenverachtende Note.«

Rosenberg forderte eine Entschuldigung bei Herzberg und eine Anweisung der Geschäftsführung an ihre Mitarbeiter »zu einem adäquaten Verhalten allen Gästen gegenüber«. Auch die Internationale Liga für Menschenrechte wandte sich in einem Protestbrief an das Hotel. »Solch rassistische Diskriminierung ist für uns inakzeptabel. Es zeugt von Unkenntnis und rassistischen Vorurteilen«, heißt es in ihrem Schreiben.

Das Hotel streitet die Vorwürfe jedoch kategorisch ab. In einem kurzen Antwortschreiben an den Landesverband Deutscher Roma und Sinti sprach der geschäftsführende Hoteldirektor, Thomas Brückner, von einem »Missverständnis«. Johann Herzberg »wurde nicht deshalb abgelehnt, weil er der Gemeinschaft der Sinti und Roma angehört (…). Es ist vielmehr so, dass Sinti- und Roma-Familien zu unseren gern gesehenen Stammgästen gehören.«

Herzberg habe aber gegen die »Gepflogenheiten des Hauses« verstoßen. Aus »Gründen der Diskretion, zu der wir uns unseren Gästen gegenüber verpflichtet fühlen«, wolle das Hotel dazu jedoch nicht detaillierter Stellung nehmen.

Für Brückner ist das Problem damit erledigt. Es steht halt Aussage gegen Aussage. Auch Ute Jacobs, die ebenfalls in der Geschäftsführung des Hotels arbeitet, bezichtigte Herzberg in einem Gespräch mit der Jungle World der Lüge. Solche Dinge würden im Estrel »in keinster Art und Weise« passieren. Auch sie wollte nichts Näheres zu dem Fall sagen und verwies abermals auf die »nötige Diskretion«.

Außerdem habe das Estrel doch eine »Vielzahl an ausländischen Mitarbeitern«, man könne also gar keine Vorbehalte gegenüber Minderheiten haben. Auch habe man erst zu Weihnachten wieder eine Obdachlosenfeier abgehalten.

Stattdessen ärgert sie sich über einen Bericht in der taz. Nach dessen Erscheinen hätten nämlich sogar Neonazis im Hotel angerufen, die den Artikel lobend erwähnten, Zimmer mieten wollten und verlangten, an der Rezeption mit »Sieg Heil« begrüßt zu werden. Wichtig ist Jacobs der Hinweis, man hätte im Hotel genauso reagiert, »wäre es ein Deutscher gewesen«.

Dass ein Sinti deutscher Staatsbürger sein kann, ist im mondänen Estrel unvorstellbar.

Für Petra Rosenberg besteht die Rechtfertigung der Hotelgeschäftsführung aus »klaren Schutzbehauptungen«. Man müsse nach einem solchen Vorfall eigentlich erwarten können, dass »der Chef reinen Tisch macht«, sagt sie. Dagegen befinde sich nun ihr Verband selbst in einer Verteidigungsposition, wenn er auf rassistische Vorfälle hinweist. »Man muss heute aufpassen, dass man keine Klage bekommt, wenn man solche Dinge öffentlich macht.« Und Rosenberg fügt hinzu: »Ich fordere ein Antidiskriminierungsgesetz, um dem entgegenzuwirken.«

In der Berliner Presse bleibt es derweil auffällig ruhig. Auch der besagte Artikel in der taz, der mit einem ähnlich lauen Dementi der Geschäftsführung des Hotels aufwartete, führte nicht etwa zu einem »Aufstand der Anständigen«.

Vielleicht liegt es daran, dass der Antiziganismus in Deutschland nach 1945 fast ungebrochen weiterbestehen konnte und eine Auseinandersetzung mit ihm immer gescheut wurde. Das Ergebnis einer Umfrage des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin zeigte Mitte der neunziger Jahre, dass zwei von drei Deutschen »Zigeuner« nicht als Nachbarn haben wollten.