»Rot-Grün ist keine Friedensregierung«

Franziska Drohsel
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Die Jungsozialisten (Jusos) in der SPD sind es gewohnt, ihre Mutterpartei zu kritisieren. Diesmal marschieren jedoch alle gemeinsam auf Friedensdemonstrationen. Einig ist man sich trotzdem nicht, auch nicht im Berliner Landesverband der Jusos. Dort gibt es einen Streit über das Verhältnis zur Friedensbewegung. Der linke Flügel warnt vor antiamerikanischen und antisemitischen Ressentiments. Auf der Landesdelegiertenkonferenz am vergangenen Wochenende stand ein entsprechender Antrag zur Debatte. Franziska Drohsel ist stellvertretende Landesvorsitzende der Berliner Jusos. Mit ihr sprach Ivo Bozic.

Für gewöhnlich war es die Aufgabe der Jusos, den Kriegskurs der SPD zu kritisieren. Nun sind die SPD und die Regierung selbst gegen den Krieg. Welche Aufgabe kommt jetzt der Jugendorganisation zu?

Auch wir sind gegen den Krieg und unterstützen deshalb die Antikriegsposition unserer Partei. Wir wollen Druck ausüben, dass diese Position so bestehen bleibt. Aber es geht natürlich um mehr: Die rot-grüne Bundesregierung hat sich in der Vergangenheit nicht gerade als Kriegsgegner profiliert, im Gegenteil. Seit Rot-Grün regiert, sind deutsche Soldaten wieder aktiv am militärischen Geschehen beteiligt. Darum wollen wir auch darauf hinweisen, aus welchem Grund die Bundesregierung derzeit so handelt. Das klare Nein von Schröder kam zu einem relativ frühen Zeitpunkt des Irakkonflikts. Das hatte sicher damit zu tun, dass wir uns im Wahlkampf befunden haben und der größte Teil der Bevölkerung gegen den Krieg ist. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass dies nur ein Wahlkampfmanöver war. Der Krieg im Irak liegt nicht im deutschen Interesse und deshalb lehnt ihn die Bundesregierung ab.

Welche Interessen verfolgt denn die Bundesregierung?

Eine monokausale Erklärung für die deutsche Haltung zum Irakkrieg gibt es nicht. Man muss sehen, dass es innerimperialistische Konflikte gibt – nämlich die Bestrebungen Deutschlands, sich von der Hegemonialmacht der USA zu lösen und eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben. Ferner konnte man beobachten, dass gerade deutsche und französische Konzerne die Lockerung des Waffenembargos dazu nutzten, weit reichende Handelsabkommen in der Region abzuschließen. In Ländern, in denen die USA weniger Einfluss haben, sind die Importe aus Deutschland größer als in jenen, in denen die USA die Hegemonie besitzen.

Wird diese kritische Position der Jusos denn auf Friedensdemonstrationen zum Ausdruck gebracht?

Wir mobilisieren zu den Antikriegsdemonstrationen, aber für uns ist entscheidend, aus welchen Motiven jemand gegen diesen Krieg ist. Wir versuchen, unsere Inhalte in die Friedensbewegung zu tragen. Wir bewerten es zwar als Erfolg, dass eine halbe Million Menschen in Deutschland gegen Krieg demonstriert, aber wir sehen auch problematische Tendenzen in dieser Bewegung.

Der Berliner Landesverband der Jusos hat am Wochenende einen Antrag beschlossen, der zur Distanz zur Friedensbewegung aufruft. Worum geht es da?

Wir begreifen uns weiterhin als Teil der Friedensbewegung, aber wir sehen, dass sich in dieser Bewegung in bedenklichem Ausmaß antiamerikanische und auch antisemitische Stereotype ausdrücken. Nicht zuletzt bei der Großdemo am 15. Februar in Berlin hat man gesehen, dass mit antiamerikanischen und antisemitischen Argumentationsmustern für eine Antikriegsposition geworben wird. Die USA werden immer wieder mit Geld und eiskalter Interessenspolitik in Verbindung gebracht. So als hätten nur sie Interessen am Golf. Die Kritik an der US-Regierung wird stark emotionalisiert und personalisiert, um eine größere Mobilisierung zu erreichen. Immer wieder treffen wir auch auf antisemitische Stereotype. Außerdem gibt es eine spezifisch deutsche Interpretation des Irakkonflikts. Da wurde die mögliche Intervention im Irak mit der Bombardierung Deutschlands durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg analogisiert. Hier sehen wir geschichtsrevisionistische Tendenzen.

Sind diese Positionen innerhalb der Jusos mehrheitsfähig?

Ich kenne nur die Diskussion in Berlin. Der Bundesverband war stark an der Vorbereitung auf den 15. Februar beteiligt, aber eine solche Debatte hat er nicht geführt. Ich kritisiere, dass dabei diese Probleme gar nicht thematisiert worden sind.

Der Aufruf der Jusos zum 15. Februar klang ohnehin sehr nach Mainstream. Von Ihren kritischen Tönen war wenig zu vernehmen.

Wir haben auch mit diesem Aufruf für die Demonstration geworben, aber wir denken, dass es die Aufgabe der progressiven Kräfte ist, in die Friedensbewegung zu intervenieren und jene bedenklichen Tendenzen zu thematisieren. Wir haben ein Flugblatt verteilt mit der Parole »Against Capitalism and Antisemitism!«, worin wir unsere Kritik an der Friedensbewegung formuliert und eine Position dargestellt haben, wie man unseres Erachtens eine Ablehnung des Irakkrieges begründen könnte.

Nun kann man ja die wenigsten Jusos zum linksradikalen Spektrum rechnen. Ist da nicht die Gefahr gegeben, dass sich viele über eine Distanz zur Friedensbewegung oder zur Kritik an George W. Bush freuen, aber nicht aus linkem oder antideutschem Anspruch, sondern weil sie wirklich hinter Bush stehen oder einfach Bellizisten sind?

Solche Leute spielen bei den Jusos keine Rolle. Es ist eher so, dass zur Zeit die traditionellen Verbandsrechten diejenigen sind, die mit großer Begeisterung und Euphorie die Friedensbewegung verteidigen und es gerade wahnsinnig spannend und richtig finden, sich mit außerparlamentarischem Widerstand gegen die US-Regierung zu wenden. Für sie ist das aber vor allem eine Unterstützung der rot-grünen Bundesregierung. Es gab auch bei uns in Berlin eine Strömung, die eine andere, rein positive Positionierung zur Friedensbewegung erreichen und sich gegen deren vermeintliche Diffamierung aussprechen wollte. Letztlich gab es jedoch eine breite Mehrheit, die unsere Position getragen hat.

Soll die Initiative Ihres Landesverbands auch auf der Bundesebene eine Rolle spielen oder bleibt der beschlossene Antrag mit seinen kritischen Tönen folgenlos?

Im Mai gibt es einen Bundeskongress, da wollen wir das auf jeden Fall thematisieren.

Da könnte der Krieg schon vorbei sein.

Wer weiß, aber es geht ja auch um die Zukunft. Schließlich hat der Bundesverband eine dominierende Rolle bei der Demo am 15. Februar gespielt, und daher ist es unser Wunsch, dass der Bundesverband künftig in solchen Fällen eine kritischere Position einnimmt.

Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter Struck hat ankündigt, die Bundeswehr zu einer international agierenden Einsatztruppe umzubauen. Das ist alles andere als eine Friedenspolitik. Wie stehen die Jusos dazu?

Wir sind ein antimilitaristischer Verband. Wir haben die deutsche Kriegsbeteiligung im Kosovo abgelehnt, und wir lehnen auch die neuen so genannten verteidigungspolitischen Richtlinien ab. Wir halten an der Forderung nach Abschaffung der Bundeswehr fest.

Das heißt, wir werden auch künftig Friedensdemonstrationen erleben, wo antimilitaristische Jusos friedlich neben Kriegstreibern aus der SPD gegen US-Kriege demonstrieren?

Das gab es ja am 15. Februar auch schon.

Müssten nicht die Jusos vermehrt gegen die Friedensrhetorik der Bundesregierung auftreten?

Ja, das denke ich in der Tat. Wir versuchen das auch. Rot-Grün ist keine Friedensregierung. Wir sind nicht so naiv zu glauben, dass die Position zum Irakkrieg der Ausdruck eines neuen Pazifismus bei der SPD ist. Und das werden wir auch immer wieder sagen. Da gibt es keine falschen Loyalitäten.