Endlich Sklavenbefreiung

Die Regierung Lula attackiert neofeudale Großgrundbesitzer: In 45 Tagen wurden über 800 Sklavenarbeiter befreit. von klaus hart, são paulo

Schauplatz ist der Amazonasteilstaat Parà, mehr als dreimal so groß wie Deutschland. Hier liegt die Riesenfazenda Santa Ana. Jeeps einer Spezialeinheit der Bundespolizei preschen heran, Beamte mit Maschinenpistolen stürmen den feudalen Herrensitz und überwältigen bewaffnete Wächter. Rasch finden sie in den Pflanzungen, wonach sie suchen, und befreien über 140 Sklavenarbeiter. Der Fazendabesitzer Augusto Farias, ein früherer Kongressabgeordneter, und seine Frau Eleuza reagieren arrogant. Lohn, gar Entschädigung für die befreiten Sklavenarbeiter, wie es die Gesetze vorschreiben, kämen gar nicht in Frage. Doch jetzt, nach dem Amtsantritt des Präsidenten Luis Inacio »Lula« da Silva, weht ein anderer Wind. Beide, dazu fünf ihrer Gutsverwalter, werden verhaftet und ins nächste Gefängnis gebracht, sofort werden ihre Konten blockiert.

Kaum zu glauben, aber auch diese Sklavenfazenda wurde wie viele andere aus öffentlichen Mitteln kräftig subventioniert. Unter Lulas stramm neoliberalem Vorgänger Fernando Henrique Cardoso, hoch gelobter Ehrendoktor der FU Berlin und Großgrundbesitzer, lief es anders: Für jeden Sklavenarbeiter hätte der Fazendeiro Farias in der »größten Demokratie Lateinamerikas«, dem Hauptempfänger deutschen Kapitals in der so genannten Dritten Welt, wenn überhaupt irgendwas, nur ein lächerliches »Bußgeld« von umgerechnet rund 90 Euro zu entrichten. Kein Wunder, dass sich ertappte Großgrundbesitzer nicht abschrecken ließen, oft dieselben, gerade befreiten Arbeiter wieder zu versklaven. Jetzt sind etwa 800 Euro fällig. Eigentlich immer noch viel zu wenig.

Cardoso schonte in acht Amtsjahren die neofeudalen Sklavenhalter und ließ den modernen »Escravidão« (Sklaverei) wieder wachsen. Dass da im fernen Brasilien ganze Familien sogar mit ihren Kindern schuften müssen, bewacht von Aufsehern mit Gewehren und scharfen Hunden, das war auch kein Thema für die rot-grüne Regierung in Deutschland. Claudia Roth, Joseph Fischer und dem Kanzler war das bei ihren Besuchen nie einen Protest wert. Wirtschaftsinteressen genießen wie unter Kohl absolute Priorität.

Die Landarbeiter von Santa Ana kommen vorerst in ein Auffanglager der katholischen Landpastoral CPT bei Redenção. Dort werden bereits mehrere hundert andere ehemalige Sklaven betreut. Die Experten der Menschenrechtsorganisation Pastoral hatten gegen die Sklavenfazenda eine Anzeige erstattet.

Ihr Regionalleiter ist Henri des Roziers, 73 Jahre alt, Dominikaner, Menschenrechtsanwalt, befreiungstheologisch orientiert, geboren in Paris. Seit 24 Jahren lebt er im archaischen Hinterland von Parà, im wilden Westen Brasiliens mit Schlammstraßen, schwüler Hitze über 40 Grad, von Rio de Janeiro oder São Paulo über 3 000 Kilometer entfernt. »Erstmals zeigt eine Regierung den echten politischen Willen, die Sklavenarbeit restlos auszutilgen«, sagt Roziers zur Jungle World. »Seit Januar ist diese Spezialeinheit pausenlos im Einsatz. Unter der vorigen Regierung kam sie nach unseren Anzeigen meist viel zu spät. Da hatten die Fazendeiros schon Lunte gerochen und alle Sklavenarbeiter davongejagt. Bisher blieben die Schuldigen so gut wie immer straffrei, das war das große Problem. Doch jetzt lassen sich die Justizbehörden und die Polizei nicht mehr einschüchtern.«

Roziers erhielt zahlreiche Morddrohungen, denn die Macht der neofeudalen Großgrundbesitzer wurde bislang nie angetastet. Sein Pastoralkollege Chavier Plassat, ebenfalls Franzose aus Lyon, Dominikaner, Anwalt, steht auch auf einer Todesliste. Er konstatiert Überraschendes: »Viele von diesen Fazendeiros haben erstmals richtig Angst. In nur 45 Tagen wurden allein in Parà immerhin 827 Sklavenarbeiter befreit, die Anzeigen stammten zu über 90 Prozent von uns. Verhaftungen, Kontensperrung – alles wird gleich vor Ort entschieden. Behörden, Ministerien und das Staatssekretariat für Menschenrechte gehen koordiniert vor; sie arbeiten gut mit uns zusammen. Bei der vorigen Regierung passierte genau das Gegenteil. Da schonte man hohe Politiker, die auf ihren Farmen Sklavenarbeiter hatten, und drückte ein Auge zu.«

Seit Lula da Silva Anfang Januar in den Präsidentenpalast von Brasilia einzog, wurden zehn Bundesanwälte der Sklavereibekämpfung zugeteilt. Sie haben reichlich zu tun.

Regierungs-und Pastoralangaben zufolge sind derzeit in ganz Brasilien noch mindestens 25 000 Menschen betroffen. Allen passierte fast das gleiche. Anwerber, im Volksmund »Gatos« (Kater) genannt, versprechen Männern oder auch ganzen Familien aus den Elendszonen des Nordens und Nordostens gute Löhne, einen Arbeitsvertrag und beste Unterbringung auf weit entfernten Fazendas. Springen die Leute nach teils tagelanger Fahrt dort vom Lkw, sind sie in der Falle und werden auf verschiedenste Weise versklavt. Bewaffnete Aufseher machen klar, dass ab sofort gratis gearbeitet wird.

Oder auf der Fazenda eröffnen Anwerber und Aufseher, dass vor irgendeiner Lohnzahlung erst einmal die Kosten für Transport, Arbeitsgeräte, Unterbringung, völlig überteuerte Nahrungsmittel abgetragen werden müssen, sodass alle beim Großgrundbesitzer zunächst beträchtliche Schulden haben. Diese werden ebenso wie das Leistungspensum unverschämt hoch angesetzt. Vor den Pistolenmännern mit den Killergesichtern darüber zu dirskutieren, ist nicht ratsam. Jeder Landarbeiter kennt die brutalen Sitten, die der Kolonialzeit entstammen. Angeworbene werden oft jahrelang festgehalten und kriegen keinen einzigen Centavo zu sehen; sie können froh sein, wenn sie überhaupt irgendwann heil wieder wegkommen. Auf der ganzen Welt stehen rund 20 Millionen Menschen in solcher Schuldsklaverei.

Viele Sklavenarbeiter Brasiliens, so der Dominikaner Plassat, werden schon beim kleinsten Fluchtversuch ermordet, den anderen zur Abschreckung. Andere werden gefoltert, durch Schläge mit dem Ochsenziemer etwa. Nach erfülltem Pensum, dem Abholzen von Amazonasurwald, dem Einzäunen von Weideland, werden manche Sklavenarbeiter einfach ermordet und verscharrt. Das im März verkündete Maßnahmenpaket Brasilias zur Austilgung des »Escravidão«, so Plassat, basiere weitgehend auf Vorschlägen und Forderungen der Landpastoral. Die Regierung verlange jetzt vom Nationalkongress, Gesetze über strengere Strafen rasch zu beschließen. »Wir sind derzeit sehr optimistisch. Aber wenn die Regierung von ihrer jetzigen Linie abweichen sollte, würden wir sie natürlich kritisieren und Druck machen, so wie früher.«