Kerne Europas fusionieren

Weil die EU über den Irakkrieg uneins ist, planen Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik. von anita baron

Der Krieg ist im vollen Gange, doch der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder denkt bereits an die Zeit danach. Die Bundesregierung setzt offenbar darauf, nach dem Krieg die USA wieder in die Uno einzubinden. Beim Wiederaufbau wolle sie »tatkräftig helfen«, von einem entsprechenden Programm der Kreditanstalt für Wiederaufbau ist die Rede, auch das Technische Hilfswerk könne im Irak tätig werden. Selbst die Entsendung deutscher Blauhelmsoldaten werde nicht ausgeschlossen. Man müsse jetzt an die »Gemeinsamkeiten und die Zukunft« denken, erklärte Schröder am vergangenen Freitag auf dem EU-Gipfeltreffen in Brüssel. (Siehe Seite 9)

Hinter der neuen Betriebsamkeit in Berlin steht aber vermutlich nicht nur die Absicht, nach dem Ende des Irakkrieges durch umfangreiche Hilfsprogamme die Beziehungen zu den USA wieder zu verbessern. Das jedenfalls legt ein vertraulicher Bericht des deutschen Botschafters bei den Vereinten Nationen, Gunter Pleuger, nahe, aus dem die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zitierte. Darin heißt es, das Ziel der Bundesregierung sei es gewesen, »Washington im Sicherheitsrat zu isolieren, letzte Versuche für einen Konsens mit den USA zu verhindern und es zu einem Alleingang gegen den Irak zu zwingen«. Wenn die USA unilateral vorgehen müssten, könne man auf ein späteres »Einknicken Washingtons gegenüber den UN« hoffen.

Offenbar geht man in Berlin davon aus, dass der Alleingang der USA am Golf auf Dauer ihre Kapazitäten überfordert und sich so neue Spielräume für eine europäische Inititative ergeben könnten. Denn angesichts der Unfähigkeit der EU, eine gemeinsame Haltung zum Krieg einzunehmen, plant Berlin nun gemeinsam mit den Regierungen in Paris und Brüssel eine eigene Außen- und Verteidigungspolitik.

So stellte der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt auf dem Gipeltreffen der EU in Brüssel am vergangenen Freitag eine neue gemeinsame Verteidigungsinitiative vor. Sein Land wolle zusammen mit Deutschland und Frankreich die Streitkräfte enger zusammenarbeiten lassen und den Kern einer europäischen Armee aufbauen.

Schröder unterstützt diesen Vorschlag und geht noch einen Schritt weiter. Seiner Meinung nach müssten die europäischen Rüstungsunternehmen enger kooperieren. Dies gelte »sowohl was die Ausstattung der nationalen Streitkräfte angeht in Europa als, wenn es so weit sein wird, perspektivisch für europäische Kräfte«.

Während der britische Europaminister Denis MacShane den Vorschlag vehement kritisierte, verspricht sich der belgische Außenminister Louis Michel einen deutlichen Machzuwachs für die Europäer gegenüber den USA. »Wenn wir einmal über militärische Fähigkeiten verfügen«, werden die USA »ganz Europa als Gemeinschaft ansprechen, statt sich je nach Umständen etwas aus dem Korb herauszugreifen«. Die USA betrachteten die Nato, die Uno und die EU als Selbstbedienungsläden. Damit solle nun Schluss sein.

Auch der französische Staatspräsident Jacques Chirac sprach von der »Notwendigkeit einer gemeinsamen Außenpolitik und einer glaubwürdigen gemeinsamen Verteidigung«. Der italienische Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, erklärte, dass »wir uns nicht mehr auf andere verlassen können, wenn es um unsere Sicherheitsfragen geht«.

Die europäischen Regierungen sind zwar zerstritten, aber die Bevölkerung in Europa ist mehrheitlich gegen den Krieg. Mit dem Ende der Verhandlungen im Sicherheitsrat sind nicht nur die UN in ihre größte Krise geschlittert, sondern auch das amerikanisch-europäische Verhältnis. Die transatlantische Allianz wird auf absehbare Zeit nur schwer zu reparieren sein. Wegen der divergierenden Interessen teilt sich der Westen in zwei Machtblöcke. Kerneuropa schließt sich zusammen gegen den übermächtigen ehemaligen Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks.

Um dieses Vorhaben zu ermöglichen, schlugen der deutsche Außenmininister Joseph Fischer und sein französischer Kollege Dominique de Villepin in der vergangenen Woche sogar vor, das Vetorecht der einzelnen Staaten in Fragen der Verteidigung abzuschaffen. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass sie im Zweifelsfall eine Lösung jenseits der bisherigen Union und damit ohne Großbritannien und die östlichen Beitrittskandidaten anstreben.

Dass die Vorstellung eines »gaullistischen« Kerneuropa und die Abkehr von der transatlantischen Allianz in Deutschland parteiübergreifend Zustimmung finden könnte, zeigten zahlreiche Appelle in den vergangenen Wochen.

So erklärte Egon Bahr Anfang März in einem Interview in der Welt, dass eine enge Verbindung zwischen Paris und Berlin unausweichlich sei, wenn Europa unabhängig handeln wolle. »Europa braucht eine Armee. (…) Sie wäre ein Schild Europas. Sie sollte nicht das Schwert Amerikas werden«.

Da die USA aber versuchen würden, eine Einigung Europas zu verhindern, müsse man andere Partner finden. Bahr favorisiert eine »Entspannungspolitik gegenüber den islamischen Staaten«. Europa solle eine »erkennbare Alternative« zu den USA darstellen, damit die islamische Welt nicht »nur eine geschlossene westliche Welt wahrnimmt, sondern sieht, dass es zwei westliche Modelle von Politik und Gesellschaft gibt«.

Ähnlich argumentiert auch Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung in München und Präsidiumsmitglied der einflussreichen Bertelsmann-Stiftung. Das Bruttosozialprodukt der Europäischen Union sei um 15 Prozent größer als das der USA, der Anteil am Welthandel liege um ein Drittel höher. Die Europäische Union habe also das Potenzial zur Weltmacht. Allein, es fehle noch ein »operatives Zentrum«, das Weidenfeld sich von einer »Union von Deutschland und Frankreich« verspricht, die einer künftigen Vereinigung Europas vorausgehen solle. Erst wenn es gelinge, eine »Kultur des weltpolitischen Denkens zu entwickeln«, werde Europa eine »markante gestalterische Relevanz entfalten«.

Auch viele Linksliberale sehen mittlerweile in einer Militärmacht Europa die legitime Antwort auf den Alleingang der USA. »Europa wird sich für die Lösung der Weltprobleme nur engagieren können, wenn es so wehrhaft wird, dass es seine inneren Konflikte ohne die USA regeln und sich im Rahmen der Uno militärisch in der Welt engagieren kann«, meint der deutsche Soziologe Wolf Lepenies in der Süddeutschen Zeitung.

Dass die neue Allianz zwischen Linksliberalen und Konservativen immer mehr Anhänger findet, zeigt sich auch in der Wochenzeitung Freitag. Nach »jahrzehntelanger uneingeschränkter ›Luftherrschaft‹ der ›Atlantiker‹ auf dem Feld der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik«, sei die Zeit reif für »eine ›gaullistische‹ Wende der Berliner Republik«, schrieb dort Jürgen Rose, ein Oberstleutnant der Bundeswehr. Ein erster Schritt könne darin bestehen, dass sich Deutschland »im Zeichen einer denkbaren deutsch-französisch-russischen Entente (…) aus der militärischen Integration der Nato zurückzieht«.