Arabische Straße, arabischer Weg

Die arabischen Regierungen stehen vor einem Problem: Die USA und neuerdings sogar die eigene Bevölkerung mischen sich ein. von götz nordbruch

Das Interesse Kuwaits ist es, dass das irakische Regime verschwindet«, erklärte der kuwaitische Verteidigungsminister auf einer Pressekonferenz Ende letzter Woche. Noch vor kurzem hatte die offene Befürwortung eines militärischen regime change im Irak zu einem Eklat auf dem Gipfel der Organisation der Islamischen Konferenz gesorgt. »Du Affe«, beschimpfte der irakische Vizepräsident Izzat Ibrahim den Außenminister Kuwaits angesichts der Bemühungen einiger Golfstaaten, Saddam Hussein zum Rücktritt zu bewegen.

Während Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain ihre Forderung nach einem Rücktritt Saddam Husseins immer offener bekunden, gestaltet sich die Positionierung für Staaten wie Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten zunehmend schwierig. Die jüngste Friedensinitiative Saudi-Arabiens wurde am Montag vergangener Woche angekündigt, ohne dass Einzelheiten öffentlich gemacht wurden. Die Regierungen dieser Staaten befinden sich offensichtlich unter Zugzwang.

Denn es ist ein Präzedenzfall für die arabischen Länder der nachkolonialen Zeiten, dass ein nicht genehmer Herrscher von den USA und Großbritannien militärisch gestürzt werden soll. Welche Regierung könnte wohl das nächste Ziel der US-Administration werden? Die in Damaskus, die in Teheran, die saudische Monarchie?

Bereits kurz nach dem 11. September 2001 lösten solche Spekulationen im saudischen Königshaus rege Aktivitäten aus. Im Januar 2003 wollte der saudische Kronprinz Abdallah eine »Reformcharta« für die arabische Welt auf dem Gipfel in Sharm al-Sheikh vorstellen – ein Versuch, die Fähigkeit der arabischen Länder zu Reformen auch ohne äußere Einflussnahme zu belegen. Doch die offizielle Präsentation der Charta wurde auf 2004 verschoben.

In Ägypten und Jordanien wird die Suche nach einem Kompromiss durch einen weiteren Faktor kompliziert, den viele der Golfstaaten bisher weitgehend ungestraft vernachlässigen konnten: die Bevölkerung. Während bereits die Andeutung größerer »politischer Partizipation« in den saudischen Reformvorschlägen ausreichte, die breite Unterstützung von saudischen Intellektuellen zu sichern, lassen sich die verschiedenen politischen Organisationen in Ägypten nicht mehr mit vagen Versprechen einer politischen Liberalisierung hinhalten. Zahlreiche Gruppierungen hatten dort geplant, eine große öffentliche Kampagne für die Aussetzung des Ausnahmezustands zu starten – noch vor der parlamentarischen Entscheidung, die zu diesem Thema für Mai angekündigt war. Doch bereits Ende Februar beschloss das ägyptische Parlament überraschend, das Notstandsgesetz, das seit der Ermordung des Präsidenten Anwar al-Sadat 1981 in Kraft ist, weitere drei Jahre bestehen zu lassen – ein herber Rückschlag für die Hoffnungen auf weniger autoritäre Verhältnisse, wie sie gegenwärtig durch Demonstrationsverbote und willkürliche Verhaftungen geprägt sind. Und obwohl die erneute Verlängerung des Gesetzes mit den Herausforderungen des Kampfes gegen den Terror begründet wurde, hagelt es Kritik aus den USA. Zwar fordert die US-Regierung ein schärferes Vorgehen gegen Islamisten, doch stehen Notstandsgesetze allzu deutlich im Widerspruch zu der von US-Außenminister Colin Powell im Dezember vorgestellten Demokratisierungskampagne für den Nahen Osten.

Vor diesem Hintergrund stellen die Demonstrationen der letzten Tage in Kairo eine besondere Herausforderung für die ägyptische Regierung dar. Die Versuche, den öffentlichen Druck durch staatlich organisierte Aufmärsche zu mildern, haben kaum ihre Funktion erfüllt. Die mittlerweile wieder inoffiziellen und teils gewalttätigen Demonstrationen verdeutlichen die Grenzen einer solchen Politik inszenierter Proteste, die selbst in staatlichen Medien als Befriedungsversuche beschrieben wurden. Erstmals seit 1978 wurden zudem am vorvergangenen Sonntag wieder oppositionelle Abgeordnete verhaftet, ohne zuvor ihre parlamentarische Immunität aufzuheben.

Vor einem Problem steht allerdings auch das religiöse Establishment in der Region, aus dessen Reihen in den letzten Wochen widersprüchliche Erklärungen zum Irakkrieg kamen. Sie stehen beispielhaft für das Dilemma islamistischer Bewegungen: Welche Position einnehmen angesichts der Alternative zwischen Saddam Hussein und dessen Sturz durch die US-geführte Allianz? Nicht nur unter kuwaitischen Islamisten regt sich trotz ihrer Ablehnung des Krieges die Hoffnung auf den Sturz des Ba’ath-Regimes.

Während bedeutende Repräsentanten islamistischer Gruppierungen wie der Vordenker der ägyptischen Muslimbrüder, Yussuf Qardawi, ausdrücklich zum Jihad gegen die USA aufrufen, versucht der führende Sheikh der al-Azhar Universität, Muhammad Sayyid Tantawi, sich durch widersprüchliche Erklärungen einer eindeutigen Festlegung zu entziehen. Dennoch gelang es ihm nicht, größeren Ärger zu vermeiden. Im Zusammenhang mit einem für die nächsten Wochen geplanten Besuch in den USA, bei dem Tantawi mit verschiedenen Vertretern der US-Regierung zusammenkommen wollte, verschärfte sich die Kritik aus den Reihen der al-Azhar-Universität: Statt sich den USA anzubiedern solle Tantawi, die oberste Autorität des sunnitischen Islam, endlich den Jihad ausrufen.

Von offizieller Seite aber wurde bei aller Kritik am »totalen Vernichtungskrieg gegen die irakische Bevölkerung«, wie es etwa in der ägyptischen Regierungspresse in den letzten Tagen hieß, das Bemühen deutlich, die irakische Verantwortung für die Eskalation des Konfliktes hervorzuheben. Den ersten Fehler, der zur jetzigen Situation führte, habe der irakische Präsident begangen, als er 1990 Kuwait besetzt habe, erklärte der ägyptische Präsident Hosni Mubarak in einer Rede an die Nation. Aus Kreisen des al-Ahram-Think Tanks der ägyptischen Regierung kamen zudem dezente Hinweise auf »die positiven Effekte«, die der Irakkrieg für den Nahen Osten mit sich bringen könnte.

Gerade dieser Eindruck eines stillschweigenden Einverständnisses mit der US-Politik aber ist in der arabischen Öffentlichkeit Anlass zu heftigen Attacken. So warf ein libanesischer Kommentator jenen Golfmonarchien, die die USA in ihrer Politik unterstützen, vor, sie hätten sich »zu Militärstützpunkten mit staatlichen Strukturen« entwickelt. Eine Kritik, die auch bei den diversen Demonstrationen während der letzten Tage in arabischen Städten auf die Straße getragen wurde.

Die Angst vor einem Regimewechsel zeigt sich zunehmend auch in Ländern, in denen die Proteste bislang mit heftiger Repression unter Kontrolle gehalten wurden. Diese Angst stand einem kuwaitischen Offiziellen bei einer Pressekonferenz noch ins Gesicht geschrieben, als er erleichtert bekannt gab, der Täter, der in einem Militärcamp in Kuwait einen US-Soldaten mit einer Handgranate getötet hatte, sei ein Amerikaner.