Boxen unterm Eiffelturm

Das deutsche Berufsboxen boomt gegenwärtig, aber ein großer Star ist nicht in Sicht. Und ein Erfolg in den USA schon gar nicht. von martin krauss

Deutschland sucht richtige Sieger. Gesucht werden Kerle, die alles umhauen, was sich ihnen in den Weg stellt. Und denen dafür die Welt zu Füßen liegt.

»Boxen ist nicht nur eine etwas rüde Kunst«, schrieb Carl von Ossietzky 1930, als er Max Schmelings Weltmeisterschaft kommentierte, »sondern auch ein sehr rüdes Geldgeschäft.«

Da zu gewinnen, fällt nicht ganz leicht. Am kommenden Samstag versucht es wieder einer. Markus Beyer will Weltmeister im Profiboxen werden. Der Supermittelgewichtler trifft in Leipzig auf den aktuellen Titelträger des Verbandes WBC, Eric Lucas aus Kanada. Beyer ist Angestellter des mittlerweile zweitgrößten deutschen Boxstalls, der Sauerland-Promotion, der seine besten Kämpfe in der ARD zeigen lässt.

In den letzten Wochen gab es viel Boxen zu sehen: Wladimir Klitschkos Verlust des WM-Titels, Sven Ottkes knapper Sieg im Titelvereinigungskampf, Dariusz Michalczewskis erfolgreiche Titelverteidigung durch K.o.-Sieg am vergangenen Samstag.

Boxen boomt in Deutschland, könnte man meinen, auch wenn die ganz großen Zahltage in den Neunzigern lagen. Da wurde die Sauerland-Promotion an der Seite von RTL und mit Kämpfern wie Henry Maske und Axel Schulz groß. Heute hat sich Sauerland mit der ARD verbündet, und sein stärkster Konkurrent, der Hamburger Universum-Boxstall, der Marktführer in der Boxbranche, ist mit dem ZDF verbandelt.

Universum gehört Klaus-Peter Kohl, und der ist gerade als zweiter Deutscher – nach Max Schmeling – in die International Boxing Hall of Fame in den USA gewählt geworden. Er ist der Promoter der Klitschko-Brüder, von Dariusz Michalczewski und etlichen anderen. Der Süddeutschen vertraute er jüngst an, er wolle mal einen Boxkampf unter dem Pariser Eiffelturm austragen. »Das wäre ein Highlight, auf das die Welt gucken würde.« Dort kann Kohl dann seine Leute boxen lassen, denn im bis dato noch lukrativsten Boxmarkt, dem in den USA, konnte er sich bislang genauso wenig platzieren wie sein Konkurrent Sauerland.

Wladimir Klitschko, der jüngere der beiden promovierten Brüder aus der Ukraine, war Weltmeister des in den USA kaum angesehenen Verbandes WBO. Kohl wollte ihn als »white hope« aufbauen, als weißen Schwergewichtler, der den schwarzen Weltmeister schlägt. Doch er hatte Pech. Sein Schützling verlor gegen Corrie Sanders, einen Polizisten aus Südafrika, der zu allem Überfluss sogar ein Weißer ist. Deshalb gingen Kohl fest eingeplante Einnahmen in den USA verloren. Der US-Fernsehsender HBO zeigte den Kampf in voller Länge. Nach der Niederlage will sich HBO jedoch von den Klitschkos abwenden. Sogar der bereits vereinbarte Kampf von Witali, dem älteren Bruder, gegen Weltmeister Lennox Lewis ist nach Wladimirs Niederlage nicht mehr ganz sicher.

Solches Pech kennt Kohl schon: Als Witali den Schwergewichtstitel der WBO trug und er ihn 1999 gegen einen nicht so richtig berühmten Boxer namens Chris Byrd verteidigen sollte, saßen in Berlin auch die HBO-Starreporter am Ring. Mit dem Kampf sollten die Klitschkos damals in den USA berühmt gemacht werden, doch Witali gab wegen einer Schulterverletzung auf. HBO tobte über das »Weichei« und stornierte alle Planungen, mit seinem Programm das europäische Berufsboxen in den USA zu vermarkten.

Darunter leidet vor allem Dariusz Michalczewski. Er ist zurzeit Halbschwergewichtsweltmeister der WBO, war aber, anders als alle anderen deutschen Boxer, schon mal Titelträger von drei Weltverbänden: IBF, WBA und eben WBO. Diese Titelsammlung holte er sich 1997 von Virgil Hill, der im Jahr zuvor den Versuch Henry Maskes verhindert hatte, Weltmeister mehrerer Verbände zu werden. Maske war Michalczewski stets aus dem Weg gegangen.

Nach Maskes Karriereende war aber der Weg für den in Gdansk geborenen Michalczewski immer noch nicht frei. Sein Promoter und Manager Kohl wollte ihn gegen Roy Jones Jr. boxen lassen, den wohl besten Boxer der Gegenwart. »Dariusz gegen Roy Jones ist noch nicht zustande gekommen«, erklärt Kohl heute, »weil man das große Fernsehgeld nicht zusammenkriegt, wegen der Zeitverschiebung. In Deutschland ist ein Kampf morgens um vier nicht so interessant wie um 22 Uhr, in Amerika nicht um 16 Uhr.«

Michalczewski, der im Mai 35 Jahre alt wird, wird den Kampf gegen Jones nie bekommen, so wie er auch den Kampf gegen Maske nie bekam. Und nicht nur, weil Jones mittlerweile ins Schwergewicht gewechselt ist. Es ist vielmehr für einen Klasseboxer wie Jones viel zu riskant, gegen Michalczewski zu boxen. Da wartet, weil der Deutsch-Pole in den USA kaum bekannt ist, keine große Gage; dafür aber das Risiko der Niederlage.

Nicht mal einen scheinbar einfacheren Kampf wird es für Michalczewski geben: gegen Sven Ottke. Der Berliner ist Angestellter von Sauerland und Weltmeister im Supermittelgewicht – der Klasse unter Michalczewskis Halbschwergewicht – und zwar der Verbände IBF und WBA.

Sauerland und die ARD wollen diesen Kampf gerne, auch wenn unklar wäre, ob ARD oder ZDF ihn übertragen dürften. Ihr Kalkül ist, dass man mit den beiden nicht mehr ganz jungen Boxern – Ottke ist Geburtsjahrgang 1967, Michalczewski 1968 – noch einmal große Kasse machen könnte. Und Wilfried Sauerland hofft, dass er auf diese Weise wieder ins große Geschäft zurückkehren kann. Außer Ottke hat Sauerland zurzeit nämlich nur noch Markus Beyer als halbwegs Erfolg versprechenden Boxer unter Vertrag. Der war schon mal Weltmeister, und zwar in derselben Gewichtsklasse wie Sven Ottke, dem Supermittelgewicht, aber des Verbandes WBC. Das will Beyer am Samstag in Leipzig wieder werden, aber so ganz sicher ist man sich bei Sauerland nicht. Daher baut man auf Ottke, der, obwohl Wessi, vor allem in Ostdeutschland hohe Sympathiewerte genießt.

Beim Kohl-Management setzt man aber lieber auf den internationalen Markt. »Vielleicht hat Ottke den Namen Michalczewski nur benutzt«, vermutet Kohl. Er vertraut weiter darauf, in den USA Erfolg zu haben. »HBO steht fest zu Wladimir«, sagt er über die weiteren Chancen des jüngeren Klitschko, und er rühmt sich seiner Kontakte zu Don King, dem einflussreichsten Promoter der Welt. »Wissen Sie, was er zu mir gesagt hat?«, erzählt Kohl über King. »›Peter, wir haben beide ein Handicap: Ich bin schwarz, du bist deutsch.‹«

Don King freilich kooperiert auch mit Wilfried Sauerland. Kings Geschäftsinteresse ist es nämlich weniger, Klaus-Peter Kohl auf dem US-Markt zu platzieren, als selbst auf dem deutschen Markt präsent zu sein. Vor dem letzten Kampf von Sven Ottke Mitte März gegen den von King-Sohn Carl gemanagten Byron Mitchell sicherte sich Don King eine Beteiligung im jeweils sechsstelligen Euro-Bereich an den nächsten drei Kämpfen des Siegers Ottke. »Don King hat kein Mitspracherecht bei den Gegnern«, sagt Sauerland, räumt aber ein, dass gute Vorschläge durchaus genommen werden. Und Zugriff auf gute Boxer hat Don King allemal, so dass es am realistischsten scheint, dass bald die Don King Production (DKP) auf dem deutschen Markt mitmischt.

Der gegenwärtige Boxboom in Deutschland wird wohl keinen so gut in die Zeit passenden Sieger hervorbringen wie 1930. Da wurde Max Schmeling Weltmeister, weil sein Gegner Jack Sharkey wegen Tiefschlags disqualifiziert wurde.

»Wir haben endlich mal wieder einen Sieger«, schrieb Ossietzky damals in der Weltbühne, und fügte die weitsichtige Prognose an: »Dieser Sieg, weil der Feind regelwidrig geschlagen hat und dem Zusammengehauenen trotzdem der Titel zuerkannt wird, das ist der deutsche Wunschtraum seit zehn Jahren. Doch hat sich noch kein Ringrichter gefunden, der den Versailler Vertrag außer Kraft gesetzt, die Franzosen aus Straßburg, die Polen aus dem Korridor und, als köstliche Zugabe, die Juden aus Deutschland verjagt hätte.«