Die Wüste lebt

Der Spaziergang nach Bagdad erweist sich zwei Wochen nach dem Kriegsbeginn als mühsamer Marsch. Jetzt wollen die US-Militärs einen Relaunch des Krieges. von martin schwarz

Die humanitäre Katastrophe im Irak dürfte mittlerweile eingetreten sein, doch wider Erwarten haben Hunger, Durst und Erschöpfung nicht nur die irakische Zivilbevölkerung erfasst, sondern auch ihre Befreier. Mitte der vergangenen Woche verbreitete sich über die Nachrichtenagenturen blitzschnell eine Anekdote, die ein Streiflicht auf die Verfassung der amerikanischen Eroberer Bagdads wirft: Irgendwo im Zentralirak haben irakische Flüchtlinge, die mit ihrem Bus an einer Stellung amerikanischer Soldaten vorbeifuhren, aus Mitleid Kartoffeln und Brot an die erschöpften GIs verteilt. Dankbar konsumierten die Soldaten die milden Gaben der Zivilisten.

Auch die Fernsehbilder der »embedded journalists« lassen in den letzten Tagen jene Sterilität vermissen, die so sehr an der US-amerikanischen Kriegsberichterstattung kritisiert wurde. Die am besten ausgerüsteten Soldaten der Welt waren dankbar für die Ankunft einer mobilen Feldküche irgendwo in der Wüste. »Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zum letzten Mal etwas Warmes gegessen habe.«

Solche Bilder und Storys müssen in der Heimat desaströse Wirkung haben – und nicht nur dort. Selbst der Oberkommandierende der US-Bodentruppen, William Wallace, gesteht indes ein, dass nicht alles so sehr nach jenem Plan laufen kann, den man am grünen Tisch entworfen hat. »Der Gegner, den wir bekämpfen, unterscheidet sich von jenem, den wir in unseren Manövern hatten«, beklagte sich Wallace in Interviews mit der Washington Post und der New York Times. Außerdem habe die Militärführung wohl die Tatkraft der irakischen Paramilitärs unterschätzt.

Wenige Tage nach der Kritik des Oberbefehlshabers ließ Saddam Hussein demonstrieren, wie sehr die USA die Verbissenheit der Paramilitärs unterschätzt haben. In der Nähe der südirakischen Stadt Najaf sprengte ein Selbstmordattentäter vier US-Soldaten und sich selbst in die Luft. Ein Märtyrer nach irakischer Lesart, posthum ausgezeichnet mit zwei Orden.

In Washington kommt unterdessen Kritik an jenen Politikern auf, die diesen Krieg unbedingt beginnen wollten, ohne die militärischen Voraussetzungen für einen schnellen und möglichst schmerzlosen Sieg zu schaffen. Das Magazin New Yorker hat mit Mitarbeitern des Pentagon gesprochen, die Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Schuld für das sich anbahnende Desaster geben: »Er hat geglaubt, er wüsste es besser. Er war jedes Mal der Entscheidungsträger. Das ist der Schlamassel, in den sich Rummy selbst gebracht hat, weil er keine starke Bodenpräsenz haben wollte.« Selbst die politologischen Berater der Regierung registrieren die trotzigen Beschwichtigungen mit gewisser Erheiterung: »Die Administration wird weitermachen mit ihrem ›Alles ist groovy‹«, hieß es am vergangenen Wochenende in einer internen Mitteilung an die Mitarbeiter eines etablierten Think Tanks. Die beiden Angriffe auf Märkte in Bagdad mit Dutzenden von Toten in der letzten Woche tragen auch dazu bei, die Präzision bei der Ausschaltung des Regimes anzuzweifeln. Präzise verläuft dagegen der Einsatz von Splitterbomben, den mehrere Augenzeugen in Bagdad bestätigen. »Am Dienstag explodierte eine Splitterbombe in einem Wohngebiet in Bagdad nahe einer Mädchenschule«, sagt Wade Hudson, ein Amerikaner, der sich derzeit in Bagdad aufhält.

Dabei sind die geistigen Wallungen diverser – vor allem europäischer – Beobachter über ein US-amerikanisches Desaster im Irak nicht wirklich angebracht. Wenn die USA nun einige Tage lang ihre Bodentruppen anhalten lassen und die immer wieder attackierten Nachschublinien konsolidieren, so werden die militärischen Voraussetzungen für einen Sieg geschaffen. Im Normalfall würde niemand vom Beginn eines Desasters sprechen, doch die Bush-Administration hat vor dem Beginn des Krieges die Erwartungen einfach zu hoch geschraubt – wohl auch, um die patriotische Begeisterung der US-Bevölkerung anzukurbeln. Gezielt wurden Gerüchte gestreut, dass Saddams Armee nur noch 30 bis 40 Prozent der Kampfstärke von 1991 aufweist, und damals hatte man die Truppen des Diktators binnen weniger Tage aus Kuwait vertrieben.

Auch die PR-Flops der ersten Tage dieses Krieges vertiefen nun die Enttäuschung. Drei Tage nach Kriegsbeginn sollte die 51. Division der irakischen Armee in Basra kapituliert haben, dabei hatte sich nur ein untergeordneter Offizier dieser Division den Angreifern ergeben und sich als Kommandeur der 8 000 Mann vorgestellt. Dem Pressecorps in Kuwait wiederum wurde vor dem Krieg versprochen, Journalisten könnten spätestens 48 Stunden nach Beginn der Kampfhandlungen nach Basra fliegen und dort tolle Videos vom Jubel der Befreiten aufnehmen. Die britischen Truppen aber stehen noch immer vor der Stadt.

US-Vizepräsident Dick Cheney wiederum war auch nicht faul und analysierte kurz vor dem Krieg, das Regime Saddam Husseins werde sofort »zusammenfallen wie ein Kartenhaus«. Das tat es aber nicht. Wenn George W. Bush nun ständig zu wiederholen genötigt ist, dass er nur wisse, »dass wir gewinnen werden«, so ist seine Zuversicht kaum dazu geeignet, die Enttäuschung an der Heimatfront zu mildern. Nach den ersten zwei Wochen, so plant es zumindest das Pentagon, soll nun der Krieg einen Relaunch erfahren. Dazu gehört auch, dass die USA nun 100 000 weitere Soldaten in die Wüste schicken – was dem Pentagon zufolge längst geplant war. Die Befehlshaber vor Ort aber wissen nichts von diesen Plänen. Am Sonntag antwortete General Tommy Franks auf die entsprechende Frage eines Journalisten während des täglichen Pressebriefings in Katar, er habe diese 100 000 Soldaten »nicht vor dem Beginn des Krieges angefordert«. Die Sprachregelung muss wohl noch korrigiert werden zwischen dem Zentralkommando im Mittleren Osten und dem Pentagon.

Der Washington Post zufolge kalkulieren die Strategen mittlerweile ein, dass dieser Kampf gar bis zum Sommer dauern könnte. »Schock und Ehrfurcht« blieben aus, jetzt muss ein herkömmlicher Krieg geführt werden. Dazu gehört auch eine Wüstenschlacht, die nach der Meinung diverser Strategen wohl um Kerbala stattfinden wird. Dort sammeln die Iraker ihre Truppen, die Republikanischen Garden sind mittlerweile schon auf dem Weg. Kerbala ist die letzte wichtige Station der US-Truppen vor der Umzingelung von Bagdad.

Die Regierung Bush wiederum sorgt sich nun auch um andere Verwicklungen. Weil in der Türkei eine vermutlich von einem Flugzeugträger im Mittelmeer abgefeuerter Marschflugkörper einschlug, hat die türkische Regierung die Überflugrechte für die Raketen widerrufen, das gleiche gilt für Saudi-Arabien. Mit Syrien wiederum legte sich Donald Rumsfeld an, weil die US-Geheimdienste angeblich Erkenntnisse darüber haben, dass Militärgerät von dort in den Irak gelangt.

Die Vereinten Nationen arbeiten unterdessen an der Wiederauflage ihres Programms »Oil for Food«. 45 Tage lang soll es wieder durchgeführt werden – unter der Regie von UN-Generalsekretär Kofi Annan. Allerdings ist unklar, wie die Lebensmittel ohne UN-Mitarbeiter vor Ort verteilt werden sollen. »Man könnte die zurückgebliebenen 1 000 irakischen UN-Mitarbeiter verwenden«, sagte der ehemalige Leiter des Programms, Hans von Sponeck, der Jungle World. Voraussetzung allerdings wären auch Kampfpausen. »Annan müsste einmal ein wenig Stärke beweisen und das verlangen.« Und ein anderes Problem gilt es zu lösen: die Finanzen. »Kein neues Geld kommt auf das Konto der Bank in Paris«, klagt Sponeck. Deshalb schlägt er vor, Konten der irakischen Regierung im Ausland zu verwenden. Die UN haben vorsichtshalber um Spenden in der Höhe von 2,2 Milliarden US-Dollar gebeten. Vielleicht aber erübrigt sich die Bettelei ohnehin; denn der Irak hat das Programm postwendend abgelehnt.