Geparkte Leidenschaft

Elia Suleimans »Göttliche Intervention« ist eine mäßig komische Tragikomödie. von thomas merkel

Der junge Mann heißt E.S.und stammt aus Nazareth. In Nazareth leben Araber, und die können sich gegenseitig ganz schön auf die Nerven gehen. Sie bekriegen sich untereinander, zerstören die Fußbälle unschuldig spielender Kinder und werfen Müllsäcke in Nachbars Garten. Einer dieser Araber ist der Vater von E.S. Er isst täglich ein Frühstücksei, bis er eines Morgens einen Herzinfarkt erleidet und ins Krankenhaus muss. In jenem Krankenhaus wird nachts von Patienten, Ärzten und Schwestern geraucht. E.S. kommt manchmal zu Besuch. Auch dann isst der Vater ein Ei. Gesprochen wird nicht. E.S. hat eine Freundin. Sie wohnt in Ramallah in den besetzten Gebieten und darf nicht nach Israel einreisen. E.S. und seine Geliebte können sich also nur auf dem Parkplatz eines Armeecheckpoints treffen. Dort sitzen sie im Auto und halten Händchen. Gesprochen wird wieder nicht. Sie tun das oft, und weil ihre Liebe unmöglich und ihr Leben schlecht ist, suchen sie Zuflucht in ihrer Phantasie und halluzinieren sich durch mehr oder weniger amüsante Szenarien des Widerstandes gegen die verhasste israelische Besatzung. Und das war’s dann auch schon.

Mehr Handlung ist in Elia Suleimans mäßig komischer Tragikomödie »Göttliche Intervention« beim besten Willen nicht zu entdecken. Was an sich kein Kritikpunkt ist. Man hat sich im Kino schon ohne stringente Handlung köstlich amüsiert. Auch Objektivität oder gar »Moral« können uns in der Kunst mittlerweile gestohlen bleiben. Wer mehr über den Nahostkonflikt lernen möchte, soll eines der zahlreichen Bücher zur Hand nehmen. Suleiman interessiert sich weniger für den politischen Aufruhr als für das, was die beteiligten Menschen innerlich aufrührt und bestimmt.

Ein »psychologisches Porträt« seiner Gesellschaft wollte er zeichnen. Geglückt ist ihm das nicht. Denn nicht alles, was weder Handlung noch Dialoge hat und statisch auf der Stelle tritt, ist deshalb gleich ein Meisterwerk des Avantgardekinos. Und Suleimans Bilder scheinen oft der Metaphernsammlung eines pubertierenden Teenagepoeten zu entstammen. Von der »Demokratisierung der Bilder«, die »tausend Deutungsmöglichkeiten eröffnen«, spricht der Regisseur in Interviews gern. Aber wenn er in der Rolle des E.S. in seinem Film einen Aprikosenkern aus dem Autofenster wirft und damit einen israelischen Panzer in die Luft sprengt, hat das etwa die Hintergründigkeit einer Handgranate.

An anderer Stelle lässt E.S. an besagtem Armeecheckpoint einen Luftballon mit dem Porträt von Arafat steigen. Ungehindert überquert der Ballon den Checkpoint. Die israelischen Soldaten schießen ihn nicht ab, obwohl er zweifelsfrei als Provokation aufmüpfiger Araber identifiziert worden ist. So driftet er gen Jerusalem und umschwebt dreimal die Kuppel der Al-Aksa-Mosche, um dann vor dem Halbmond auf der Spitze des Gebäudes hängen zu bleiben. Wirklich komisch ist das nicht. Tiefsinnig auch nicht. Dabei hat Suleiman originelle Ideen, nur ist er so verliebt in sie und ihren Symbolismus, dass sie schließlich an ihrer eigenen erbarmungslosen Eindeutigkeit zugrunde gehen. Oder ganz banal im Kitsch versumpfen: Während eine israelische Armeeeinheit spielerisch-raffiniert choreografierte Schießübungen auf die Pappfigur einer vermummten palästinensischen Frau abhält, steht plötzlich eine lebendige Palästinenserin neben der Scheibe. Die Soldaten zögern nicht lange und ziehen ihre Waffen, doch virtuos wehrt die Märtyrerin alle Kugeln ab, zwirbelt sich freischwebend in die Lüfte und setzt mit Wurfsternen und Steinschleuder einen Angreifer nach dem anderen außer Gefecht. Die Maschinengewehrsalven des verbliebenen Schießlehrers pariert sie mit einem Schutzschild in der Form des Staates Israel, und als der Feind besiegt am Boden liegt, nimmt die Erde die Farben der palästinensischen Fahne an. Agitprop-Kitsch im Matrix-Stil. Was die Jury beim Filmfestival in Cannes 2002 daran so begeistert hat, dass sie »Göttliche Intervention« den Jurypreis zuerkannte, ist kaum zu begreifen.

»Eine Chronik von Liebe und Schmerz« hat Suleiman seinen Film untertitelt, und er spielt darin selbst die Hauptrolle. Dazu starrt er vor allem stumm und traurig ins Nichts. Mit Buster Keaton oder Jaques Tati – wie einige Kritiker in ihrem Übereifer vorschlugen – hat das deshalb noch nichts zu tun. Schneidet E.S. gerade Zwiebeln, weint er auch. Dass die Palästinener andere Gründe zum Weinen haben als geschnittene Zwiebeln, bleibt weitgehend im Dunkeln. Wir sehen zwar, wie ein angetrunkener Soldat am Checkpoint spaßeshalber palästinensische Grenzgänger degradiert, indem er die Wartenden unter Absingen eines hebräischen Lieds zum Autotausch zwingt, doch Bilder aus dem Westjordanland gibt es gar nicht und die erste halbe Stunde spielt im israelisch-arabischen Nazareth.

In einem Interview wurde Suleiman gefragt, ob er mit den Szenen in Nazareth das Leben einer zerrütteten Gesellschaft unter der Besatzung darstellen wollte. Suleiman bejahte und ging mit keinem Wort darauf ein, dass Nazareth in Israel liegt und man trotz aller direkten und indirekten Diskriminierung der israelischen Araber von Besatzung jedenfalls nicht sprechen könne. Mal ganz davon abgesehen, dass die nazarenischen Kabbeleien unter Nachbarn auch in anderen Teilen der Welt nicht unbekannt sind. Aber das macht gar nichts, die internationale Filmkritik hat diesen Unsinn fast geschlossen übernommen.

Wäre da nur die Liebe, wir würden vieles vergeben! Doch die Liebe kann in Palästina eben nicht sein. In seiner hoffnungslosen Traurigkeit hat Suleiman dafür ein schönes Bild gefunden: auf dem Parkplatz am Checkpoint sitzt das Liebespaar im Auto und beobachtet – natürlich schweigend – das absurde Geschehen um sich herum. Ihr Liebesspiel muss sich auf die Berührungen ihrer Hände beschränken, und Suleiman scheint irgendwie den Beweis antreten zu wollen, dass man Sex auch nur mit den Händen haben kann. Beweis geglückt – Magie zerstört. Am Schluss des Films wissen wir von der Liebe nur, dass sie unmöglich ist, und von den Charakteren, dass sie eben leiden. Trotz allem gibt es in »Göttliche Intervention« anrührende Momente. Wenn beispielsweise eine palästinensische Schönheit im Minirock eleganten Schrittes an den verwirrten Soldaten vorbei den Checkpoint ungehindert überquert, der dann hinter ihr wie ein Kartenhaus zusammenfällt – dann möchte man am liebsten zustimmend applaudieren. Doch diese Augenblicke sind rar, und selbst dann scheint das Fragment sich selbst zu genügen. Nichts entwickelt sich hier: keine Geschichte und keine Charaktere, und was viel schlimmer ist, auch keine Magie der Bilder.

»Göttliche Intervention« (F 2003) B/R: Elia Suleiman. D: Elia Suleiman. Start: 3. April