In Sorge um Salam

Der Warblogger Salam Pax ist der Liebling der Web-Community. Eine Internet-Existenz in Zeiten des Krieges. von elke wittich

Vielleicht begann alles mit der Frage: »Where is Raed?« Zunächst weitgehend unbeachtet führte ein junger Iraker unter dem Pseudonym Salam Pax – das bedeutet auf Latein und Arabisch Frieden – ein Internet-Tagebuch (www.dearraed.blogspot.com) über sein Leben in Bagdad und die Suche nach einem Freund namens Raed. Nachdem der Irakkrieg immer wahrscheinlicher wurde, interessierten sich zunehmend viele User für den geheimnisvollen Web-Autor. Konnte das wirklich sein, dass ein Iraker völlig ungehindert eine Saddam-kritische Seite erstellte und beinahe täglich updatete, ohne dass die Geheimpolizei ihm auf die Schliche kam?

Salam Pax ist einer von ungezählten Warbloggern, wie die Netz-Kriegstagebuchschreiber genannt werden. Ob die ins Netz gestellte Identität irgendwas mit dem Leben zu tun hat, ist dabei immer die spannende Frage.

Schon vor Kriegsbeginn meldeten sich im Fall des eloquenten Iraki erste Zweifler. Je nach politischer Präferenz wurden hinter Salam Pax folgende Urheber vermutet: die CIA, die US Army, der Mossad, ein Iraker mit Internetkenntnissen, ein privilegierter Iraker mit Internetkenntnissen, ein qua Zugehörigkeit zur militärischen Elite besonders privilegierter Iraker mit Internetkenntnissen, irgendeine arabische Splittergruppe. Ganz Verwegene vermuteten sogar bundesdeutsche Geheimdienste als Initiatoren, schließlich habe der Autor irgendwann erklärt, neben Arabisch und Englisch auch Deutsch zu sprechen. Salam selbst weigerte sich aus Sicherheitsgründen beharrlich, mehr als nur äußerst vage Angaben zu seiner Person zu machen. Er versichert aber, dass er 28 oder 29 Jahre alt und von Beruf Architekt ist. Arabisch ist seine Muttersprache, aber da er in Großbritannien studierte, spricht er perfekt Englisch. Er macht gern Witze über das irakische Regime, freut sich jedoch im Gegenzug überhaupt nicht darauf, von den coalition forces befreit zu werden. Salam gab weiter an, ein säkularer Moslem zu sein und die Fundamentalisten zu hassen – die seien für ihn als Schwulen schließlich natürliche Feinde. »Salams Vorstellungen von Machotum ähneln ganz sicher eher denen der Village People als denen von Saddam Hussein«, schrieb dazu Al Barger, der Betreiber von Culpepper Log (www.morethings.com/log/), wo die Culpepper-Militia mit Kampagnen wie »Eat an Animal today« gegen den von der obskuren Tierrechtsorganisation Peta ausgerufenen Tierschutztag kämpft oder Antisemiten attackiert. Barger hat seit vielen Monaten E-Mail-Kontakt zu Salam, und auch er rätselte am Anfang, mit wem er es da eigentlich zu tun hatte.

Wie derzeit die Web Community: Ihr reichen die spärlichen Angaben immer noch nicht, sie verlangt weitere Beweise. Und so bekam Salam Pax in zahlreichen Mails immer neue Aufgaben gestellt, die beweisen sollten, dass er tatsächlich vor Ort lebte. Manche wollten, dass er über Zerstörungen an bestimmten Orten berichtete, andere verlangten den derzeit aktuellen Preis für ein Kilo Tomaten im Bagdader Basar zu wissen. »Ist Salam wirklich das, was er zu sein vorgibt? Könnte er ein Ba’ath-Agent oder ein CIA-Mann sein?« umschreibt Barger nun die Fragen, deren Beantwortung »Salam einfach satt hat – also bitte, einerseits wird seine Heimatstadt bombardiert und andererseits erreichen ihn täglich neue abstruse Forderungen nach dem ultimativen Identitätsbeweis«. Und abgesehen von dem Risiko, das Salam auf sich nehmen müsste, um die Neugier westlicher Internet-User zu befriedigen – was würde so ein Beweis überhaupt beweisen? »Er kann seinen wirklichen Namen und seine Adresse aus nahe liegenden Gründen nicht nennen; wenn er es aber täte, was dann? Wie könnten diese Angaben verifiziert werden?« Geburtsurkunden, Führerscheine, alle nur vorstellbaren Dokumente »können kinderleicht gefälscht werden, und selbst dann, wenn man ihm eines Tages persönlich in einem Bagdader Café gegenübersitzen würde, könnte er immer noch ein Geheimagent sein.«

Andy Carver, ein weiterer Salam-Freund der ersten Stunde, erklärt auf seiner Homepage, dass es letztlich völlig egal sei, wer Salam wirklich ist: »Er dient als real-time-Geschichtenerzähler, der versucht, den historischen Moment einzufangen, um ihn in der Welt draußen zu verbreiten. Er gibt dem Krieg ein menschliches Gesicht, wie es gute Geschichtenerzähler schon immer getan haben.« Seit Montag, den 23. März ist Salam jedoch verstummt, seine Homepage wurde seither nicht mehr upgedatet. Und gemailt hat er seinen internationalen Brieffreunden seither auch nicht mehr. Dabei hatte gerade zwei Tage zuvor Yahoo ihm kostenlos eine höhere Speicherkapazität für seinen E-Mail-Account eingeräumt – tausende Mails drohten die Mailbox zu blockieren. Seine Freunde machen sich langsam ernsthafte Sorgen um Salam, obwohl er bereits in der Woche zuvor mit Stromversorgungs- und Account-Problemen zu kämpfen hatte. Möglicherweise sei die Geheimpolizei ihm am Ende doch auf die Spur gekommen, fürchten sie, zumal die Bombardierung der irakischen Telekommunikationsanlagen lange nach seinem letzten Eintrag stattfand. Aber vielleicht, so hoffen sie, habe Salam ja auch nur aus privaten Gründen keine Zeit zum Schreiben: »Wer weiß, vielleicht hat er beim Warten in der Bäckerei ja bloß einen netten jungen Mann kennen gelernt?« Mit ein bisschen Glück heißt der dann Raed.