Weltpolitik in Zehlendorf

In Berlin wurde der Prozess gegen die Exiliraker eröffnet, die im vergangenen Jahr die irakische Botschaft besetzten. von alexander wriedt

Als in der Nacht des 20. März die Vereinigten Staaten mit der Bombardierung Bagdads begannen, war ein jetzt vor Gericht stehender Versuch, den Sturz Saddam Husseins einzuleiten, auf den Tag genau sieben Monate her. Doch nicht in der irakischen Hauptstadt hatten sich die Oppositionellen erhoben, sondern in dem beschaulichen Villenviertel Berlin-Zehlendorf.

Fünf Exiliraker besetzen am 20. August 2002 die Botschaft des Irak in Deutschland und erklärten ihre Tat zu dem »ersten Schritt in Richtung der Befreiung unseres geliebten Vaterlandes«. Sie nennen sich Demokratische Irakische Opposition Deutschlands (Diod) und treten zum ersten Mal überhaupt in Erscheinung. Der Tag X in Zehlendorf endet schon nach fünf Stunden. Die Polizei stürmt das Gebäude und befreit acht Botschaftsangehörige.

Am vergangenen Mittwoch begann der Prozess gegen die fünf Besetzer und ihren mutmaßlichen Anführer, den 52jährigen Hamburger Kaufmann Mithal Al-Alusi, vor dem Berliner Landgericht. Al-Alusi soll die Aktion geplant und auch mit einem Mobiltelefon gesteuert haben. Am Ende des Prozesses könnten hohe Haftstrafen stehen.

Doch nicht die leichten Hautabschürfungen und die von Reizgas geröteten Augen des Botschaftspersonals könnten den Angeklagten zum Verhängnis werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Geiselnahme vor, die mindestens fünf Jahre Haft einbringt.

Die Angeklagten sitzen jeweils zu dritt in den Glaskästen des Saals 700 des Kriminalgerichts in Moabit. Die wenigen Zuschauer werden gründlich durchsucht, und während der Verhandlung halten sich zwei Zivilpolizisten im Zuschauerraum auf. Von der ersten Minute des Prozesses an ist klar, dass die Anwälte die politische Dimension betonen wollen.

Al-Alusis Pflichtverteidiger, der wenig später von seinem Mandat entbunden wird, habe versucht, hinter dem Rücken der anderen Verteidiger mit dem Gericht einen Deal einzufädeln: ein Geständnis und eine Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten, vor allem dem Bundesnachrichtendienst (BND), im Tausch gegen ein mildes Urteil.

Mehrmals sollen Mitarbeiter des BND den Angeklagten besucht haben, um Informationen über die Arbeit irakischer Oppositionsgruppen zu erhalten. Die Verteidiger wollen anhand dieser Tatsache beweisen, dass Al-Alusi und seine Diod ein ernst zu nehmender Teil der irakischen Opposition seien und die Besetzung weniger als kriminelle Geiselnahme, sondern vielmehr als idealistische Tat von Freiheitskämpfern zu verstehen sei.

Doch die stümperhafte Ausführung der Aktion lässt kaum das planvolle Handeln einer wichtigen Organisation erkennen. »Wir beschränken unseren Befreiungskrieg auf den Irak«, sagte ein Sprecher des Irakischen Nationalkongresses (INC), der die Diod nicht kannte, in London noch am Tag der Besetzung. Damalige Spekulationen, Geheimdienste im Auftrag der Vereinigten Staaten könnten hinter der Besetzung stecken, erwiesen sich als ebenso unsinnig wie die Andeutung der Tageszeitung junge Welt, die Entwicklungshilfeorganisation Wadi könnte an der Aktion beteiligt gewesen sein.

Die »jungen Leute«, wie Al-Alusi seine Gruppe nennt, sollen im Sommer 2002 spontan auf die Idee gekommen sein, die Botschaft zu besetzen. »Ihr habt meinen Segen«, will Al-Alusi den 30 bis 40 Jahre alten, verheirateten und nicht vorbestraften Männern gesagt haben. Seit 25 Jahren lebt er in Deutschland, führt in Hamburg ein Bekleidungsgeschäft unter dem Namen »Orient Moden« und kümmert sich um Flüchtlinge, die vor Saddam Hussein das Weite gesucht haben.

Etwa um 14.30 Uhr an jenem Tag im August setzt Al-Alusi die Männer vor der Botschaft in der Riemeisterstraße ab. Zehn Minuten später stürmen sie ins Haus. In den Händen halten sie Gaspistolen, einer trägt eine Axt. In ihren Rucksäcken haben sie Proviant, eine Pressemitteilung und zwei Transparente verstaut.

»Tod Saddam« steht auf den Bannern, die sie später an der Villa anbringen. Etwa zwei Wochen lang wollen sie die Botschaft besetzt halten und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihr Anliegen lenken. Während sie das Gebäude betreten, verschießen sie Tränengaspatronen. Dann fesseln sie den Botschafter und seinen Stellvertreter mit Klebeband.

Um 14.45 Uhr erreicht die Polizei ein Notruf aus der Botschaft. Kurz danach riegelt sie das Grundstück weiträumig ab. Mehr als 100 Beamte sind im Einsatz. Gepanzerte Räumfahrzeuge, Feuerwehr- und Rettungswagen halten sich ebenso bereit wie ein Sondereinsatzkommando der Polizei.

Die vollkommen unerfahrenen Besetzer senden ein Fax an die Nachrichtenagentur Reuters, in dem es heißt: »Wir übernehmen die irakische Botschaft in Berlin.« Immer wieder rufen sie Al-Alusi an, der gerade zurück nach Hamburg fährt, fragen ihn nach den nächsten Schritten und wie sie mit dem Botschaftspersonal umgehen sollen. Der Botschafter sei in Tränen ausgebrochen.

»Behandelt sie wie Brüder, serviert ihnen Kaffee und Tee«, habe Al-Alusi ihnen gesagt. »Ich habe den Männern jede Form von Gewalt untersagt. Es wurden keine Forderungen gestellt. Wir wollten lediglich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf uns lenken«, erklärt er im Gerichtssaal. »Denn das Problem«, sagt er und blickt zu den Journalisten im Saal, »sind Sie!« Für die Journalisten sei der US-Präsident George W. Bush der Verbrecher und Saddam Hussein ein Freund. »Sie beklagen die Toten des Krieges der Amerikaner. Doch was sagen Sie zu dem Krieg, den Saddam seit vielen Jahren gegen sein eigenes Volk führt?«

Zudem sei es ihnen um die Sicherstellung von Beweismaterial gegangen. »Die irakischen Botschaften sind in erster Linie Außenstellen des Geheimdienstes«, sagt Al-Alusi. Und die Aufgabe des Geheimdienstes sei es, Oppositionelle auszuspionieren und umzubringen. Um das zu belegen, habe man die Botschaft stürmen müssen, gleichsam als einen Akt der Notwehr. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Bundesregierung kürzlich vier irakische Diplomaten ausgewiesen hat, deren Tätigkeiten »mit ihrem Diplomatenstatus nicht zu vereinbaren« gewesen seien.

Praktisch ausgeschlossen ist jedoch, dass die damals wenige Wochen alte Diod im Visier des irakischen Geheimdienstes gewesen ist. Den Anwälten wird es wohl kaum gelingen, das Vorliegen einer Notwehrsituation zu beweisen. Al-Alusis Verteidiger beantragt trotzdem die Einstellung des Verfahrens und zieht Vergleiche zum 20. Juli 1944, an dem eine Gruppe von Wehrmachtsoffizieren ein Attentat auf Adolf Hitler verübte.

Da die Botschaftsangehörigen das unbestritten verbrecherische irakische Regime repräsentierten, sei ihre Festsetzung in der Botschaft erlaubt gewesen. »Der Mord am Tyrannen und an seinen engen Mitarbeitern ist legal«, sagt der Anwalt.