Arabian Way of Life

Nach dem Ende des Kriegs wartet sowohl im Irak wie auch bei der Lösung des Nahostkonfliktes eine Menge Arbeit auf die amerikanische Regierung. von michael borgstede, tel aviv

Ein »leuchtendes Vorbild« werde der befreite und demokratisierte Irak dem Rest der arabischen Welt sein. Wie ein »Lauffeuer« würden sich Freiheit und Selbstbestimmung in der Region verbreiten und ganz nebenbei auch den Jahrzehnte alten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern lösen. Und alles werde ausgelöst durch einen kurzen Präzisionskrieg gegen Saddam Hussein. So hatten die USA und ihr Präsident sich das vorgestellt. Die friedensbewegten Demonstranten und Politiker des »alten Europa« dagegen warnten: der Irak werde den Amerikanern zu einem zweiten Vietnam geraten. Außenminister Joseph Fischer prophezeite gar einen »Flächenbrand« in Nahost und sah schon die ganze Region im Chaos versinken.

Natürlich hatten sie alle Unrecht: »Lauffeuer« und »Flächenbrand« sind bisher ausgeblieben. Zu diagnostizieren sind einige Schwelbrände, die sich zu größeren Feuern ausweiten könnten. Zwar gingen in den letzten Kriegstagen endlich die von den Amerikanern erhofften Bilder von befreit jubelnden Irakern um die Welt, doch sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der demokratische Wiederaufbau des Landes keine leicht zu bewältigende Aufgabe sein wird. Im Nordirak kehren die vom irakischen Regime vertriebenen Kurden zurück, stellen Ansprüche auf ihr ehemaliges Land und Eigentum und spielen vielleicht doch mit dem Gedanken an einen eigenen Staat. Im Süden des Landes kämpfen konkurrierende schiitische Gruppierungen gegeneinander um ihre Rolle im Nachkriegsirak und vereint gegen den Einfluss der Amerikaner. Die wichtigste schiitische Organisation des Irak, Sciri, boykottierte gar das erste von den USA organisierte Treffen zur Nachkriegsordnung im Irak aus Protest gegen einen politischen Prozess »unter Führung eines amerikanischen Generals«. Auch an anderen Orten kam es zu schiitischen Demonstrationen, und obwohl täglich deutlicher wird, dass die Amerikaner im Irak – mit oder ohne Beteiligung der Uno – noch eine Weile beschäftigt sein werden, sehen viele die neokonservativen Falken aus Washington schon über Syrien kreisen.

Tatsächlich ähnelt die Rhetorik von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld seinen Warnungen an den Irak vom vergangenen Jahr: Syrien verfüge über Massenvernichtungswaffen und unterstütze den Terrorismus. Gleichwohl weist einiges daraufhin, dass die USA kein Interesse an einer militärischen Aktion gegen Syrien haben. Der syrische Präsident Bashar al-Assad ist kein Saddam Hussein und hat sich nach dem 11. September vorsichtig den USA angenähert. Er verurteilte die Terroranschläge, stimmte der UN-Resolution 1441 zu, in der der Sicherheitsrat feststellte, dass der Irak schwer wiegende Verstöße gegen seine Verpflichtung zur Abrüstung begangen habe, und gab an die CIA Informationen über die Attentäter des 11. September 2001 weiter.

Syrien unterstützt vor allem terroristische Gruppierungen, die sich gegen Israel richten, und genau das kann die amerikanische Regierung im Moment überhaupt nicht gebrauchen. Um der amerikanischen »Road Map« eine Chance zu geben, den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern wieder zu beleben, muss der Israel betreffende Terrorismus an allen Fronten eingedämmt werden. Und dazu gehören auch die Aktivitäten der Hisbollah im Libanon. Überhaupt hätte ein Friedensschluss im »Heiligen Land« auf die umliegenden arabischen Staaten einen weitaus positiveren Einfluss als jeder von den USA gewonnene Krieg.

In Jordanien herrscht König Abdallah seit Juli 2001 ohne Parlament. Für den 17. Juni sind nun endlich freie Wahlen angesetzt, doch wird vermutet, dass sie zum dritten Mal verschoben werden. Bei der jetzigen Stimmung im Volk wäre mit einer Stärkung der Islamisten zu rechnen, und die will Abdallah unbedingt verhindern. Der junge und unerfahrene König sitzt ohnehin zwischen allen Stühlen. 50 Prozent seiner Untertanen sind palästinensischer Herkunft und können der israelfreundlichen Politik ihres Herrschers nichts abgewinnen. Ein palästinensischer Staat und das Ende der Intifada würden der Stabilität im Königreich sehr zuträglich sein.

In Ägypten fürchtet Präsident Hosni Mubarak um sein autoritäres Militärregime und beobachtet sorgenvoll, wie die verbotene, aber geduldete Muslimbruderschaft großen Zulauf genießt und radikale Rufe nach einer Aufkündigung des israelisch-ägyptischen Friedensabkommens lauter werden. Auch er erhofft sich von einem israelisch-palästinensischen Friedensschluss Ruhe im Land und eine Konsolidierung seiner Herrschaft.

Sobald der neue palästinensische Premierminister Machmud Abbas sein Kabinett präsentiert hat, wollen die USA ihre bereits lange angekündigte »Road Map« publizieren. Doch wie erwartet macht Yassir Arafat seinem Premierminister bei der Kabinettsbildung Schwierigkeiten. Beharrlich wehrt er sich gegen Abbas’ Plan, Mohammed Dahlan zum Innenminister zu machen. Dahlan hat angekündigt, entschieden gegen die Hamas und andere Terrororganisationen vorgehen zu wollen. Viel hängt davon ab, ob Abbas’ neues Kabinett tatsächlich unabhängig von Arafat agieren kann.

Die amerikanische Regierung hat mittlerweile unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie die »Road Map« nicht vor der Veröffentlichung von der israelischen Regierung »überarbeiten« lassen wird. Und Jerusalem hat seine Liste mit über 100 Modifikationen auf einige wenige essenzielle Punkte zusammengestrichen. Dazu gehören die Handlungs- und Bewegungsfreiheit der israelischen Armee auf palästinensischem Territorium im Kampf gegen Terroristen, eine Absage an die Evakuierung von Siedlungen oder einen Baustopp für Siedlungen während der Verhandlungsphase sowie die ausdrückliche Ablehnung der saudischen Friedensinitiative, die den Rückzug der Israelis auf die Grenzen von 1967 vorsieht. Diese Punkte werden weder die amerikanische Regierung noch Abbas glücklich machen.

Doch Ariel Sharon ist ein Diplomat. Der israelische Premier hat begriffen, dass stures Beharren auf den israelischen Revisionsvorschlägen momentan keine Aussicht auf Erfolg hat und gibt sich deshalb moderat. In einem Interview mit der Tageszeitung Ha’aretz bekundete er seine Bereitschaft, sich von »einigen Orten wie Bethel oder Bethlehem« zu trennen. Das Wort »Evakuierung« im Zusammenhang mit Siedlungen vermied er allerdings geschickt, und während die internationalen Medien sich auf Sharons schwammige Bereitschaft zu »schmerzhaften Konzessionen« stürzten, blieb eine wichtigere Äußerung unbeachtet. Sharon forderte nämlich, die Palästinenser müssten als Bedingung für Friedensverhandlungen das Rückkehrrecht ihrer Flüchtlinge aufgeben. Bisher sind alle Versuche einer Einigung an dieser Frage gescheitert, nicht zuletzt wegen Abbas’ Unnachgiebigkeit bei den Verhandlungen in Camp David und Taba, an denen er als Stellvertreter Arafats teilnahm. Deshalb hatte man dort vereinbart, erst in der Endphase der Verhandlungen die Rückkehrproblematik zu besprechen.

Sharons neue Bedingung verlangt den Palästinensern eine wichtige symbolische Geste ohne Gegenleistung ab und rückt dem neuen palästinensischen Premierminister dadurch einen weiteren Stein in den Weg. Dabei sind an Sharons Wunsch nach Frieden keine Zweifel erlaubt. Im Alter von 74 Jahren hat der Premier wenig zu verlieren und wünscht sich wahrscheinlich nichts sehnlicher, als seinem Land als Abschiedsgeschenk Frieden und Sicherheit zu bescheren. Es scheint, als habe er noch immer nicht verstanden, welcher »schmerzhaften Konzessionen« es dazu wirklich bedürfte.