Aus der Traum!

Die Industrie verspricht die sichere Computerplattform. Kritiker von TCPA/Palladium fürchten die Überwachung. von elke wittich

Manchmal werden Bill Gates und andere Computermogule wohl mitten in der Nacht wach, weil sie einen schrecklichen Alptraum hatten. In dem immer wiederkehrenden Horrorszenario geht es um Menschen, die fröhlich vor ihren Rechnern sitzen und schwarz kopierte Programme benutzen, für die sie selbstverständlich nicht einen Cent an Lizenzgebühren bezahlt hatten.

Aus der Traum. Von nun an soll eine von der Firma Intel geplante Plattform namens TCPA/ Palladium dafür sorgen, dass in Zukunft zumindest auf PCs Raubkopien nicht mehr abgespielt werden können. Die euphemistisch »Trusted Computing Platform Alliance« (Deutsch: Allianz für vertrauenswürdigere Computerplattformen) genannte Initiative soll von Microsoft in den kommenden Windows-Versionen integriert werden. Der einzelne PC werde dadurch sicherer, da Spam-Mails und Viren keinerlei Chance mehr hätten, versprechen die Firmen.

Das ist alles ziemlicher Unsinn, denn eigentlich ist die Plattform nichts anderes als eine weitere Komponente zur Überwachung, die ab Sommer dieses Jahres in jeden neuen PC eingebaut wird. Fritz heißt die Kanaille und ist ein Smartcard-Chip, der fester Bestandteil des Motherboards sein wird.

Jedes Mal, wenn der Rechner eingeschaltet wird, macht sich Fritz an seine fiese Arbeit. Er überprüft bei jedem hochgeladenen Teil des Betriebssystems, ob die einzelnen Hardwarekomponenten auch wirklich auf der TCPA-Liste als genehmigt verzeichnet sind und natürlich auch, ob die angegebenen Seriennummern wirklich vorhanden sind. Ist alles okay, schnüffelt Fritz trotzdem munter weiter. Er kann z.B. einem Musikkonzern mitteilen, dass der Computer vertrauenswürdig ist, so dass auch wirklich damit einzelne Titel heruntergeladen werden können.

Allerdings kann Fritz auch ausgesprochen unangenehm werden, wenn sein Besitzer mit Raubkopien arbeitet. Die werden einfach deaktiviert. Was ist aber, wenn jemand bezahlte Musikstücke oder Filme auf seinen Zweit-PC überspielen will? Und wer soll verhindern, dass TCPA/Palladium beim Auffinden von illegaler Software nicht gleich per Mail den betroffenen Unternehmen Bescheid sagt?

Der US-amerikanische Computerfachmann Ross Anderson beschäftigt sich schon seit längerer Zeit mit der geplanten Plattform. Seiner Meinung nach ist die TCPA/ Palladium zugrunde liegende Idee schon sehr alt. Bereits vor mehr als 25 Jahren habe es Überlegungen gegeben, wonach ein »Referenzmonitor die Computerzugriffskontrollfunktionen« überwachen solle. Zuerst hätten sich US-Militärs für das Thema interessiert, so Anderson, und sie gehörten sicher auch zu den Ersten, die von der neuen Plattform profitieren würden: »Falls Saddam dumm genug sein sollte, auf TPCA-kompatible PC umzusteigen, kann die amerikanische Regierung beim nächsten Krieg gegen den Irak die Windows-Lizenzen deaktivieren« – und somit alle Rechner im Land lahmlegen, schrieb Anderson im Juni 2002.

Fritz ganz einfach zu entfernen, dürfte nur in der ersten Projektphase ohne größeren Aufwand möglich sein. Sobald der Chip aber, wie geplant, in der CPU aufgeht, »wird es viel schwieriger. Ernsthafte Gegner mit genügend Kapital werden ihn auch dann noch cracken können – es wird aber immer schwieriger und immer teurer werden.«

Zumal der Fritz-Crack in den USA bereits illegal ist. In Europa dagegen ist die Rechtsprechung der einzelnen Staaten sehr unterschiedlich, wahrscheinlich wird aber bald ein entsprechender Erlass dafür sorgen, dass die Gesetzeslage vereinheitlicht und – so ist zu vermuten – verschärft wird.

Was langfristig ungeahnte Auswirkungen auf die Computerwelt haben wird. »Ferngesteuerte Zensur« nannte Ross Anderson TCPA/Palladium, »wer immer den Fritz-Chip kontrolliert, verfügt über eine unheimliche Macht. Es ist ungefähr so, als brächte man alle Menschen dazu, die gleiche Bank, den gleichen Steuerberater oder den gleichen Anwalt zu haben.«

Die Zensur, so befürchten viele Computerexperten, wird schleichend einsetzen. Polizeibehörden könnten die Technologie zum Beispiel dazu einsetzen, Kinderpornos von Privatrechnern zu entfernen oder Nazipropaganda und Terroranleitungen zu löschen. Dieses Vorgehen werde vom größten Teil der Gesellschaft sicherlich gebilligt, sodass die Plattform zunächst weitgehend als positives Instrument wahrgenommen werde.

Weitere Zensur- und Kontrollmaßnahmen könnten folgen, ohne dass sie zu größeren Protesten führen würden. Denkbar ist es z.B., dass Gerichte ein elektronisches Buch nicht nur verbieten, sondern jedes einzelne auf Privatrechnern befindliche Exemplar gleich löschen lassen. Denn was ein User auf seinem Rechner hat, wird nicht mehr von ihm selbst bestimmt, wenn sich TCPA/Palladium erst weltweit durchgesetzt hat.

US-amerikanische Computer-Nerds setzen daher bereits jetzt alle ihre Hoffnungen auf Europa. Dass das Fritz begünstigende Gesetz den Kongress passieren dürfte, steht für sie außer Frage. Wenn jedoch die europäischen Länder auch »nur ein wenig Rückgrat« zeigten, so Anderson, gebe es Hoffnung, dass die PC-Spionage nicht durchgesetzt werden könne.

Immerhin dürften auch viele europäische Unternehmen Interesse an der Verhinderung von Fritz haben. Die kontinentale Smartcard-Industrie werde schließlich »massiv Schaden nehmen«, ebenso dürften Hersteller und Entwickler von Antivirenprogrammen, Firewalls und Spamfiltern richtige Probleme bekommen.

Ein Geschäftszweig dürfte dagegen von TCPA/Palladium profitieren: die Verkäufer von Gebrauchtcomputern. Wenn die Plattform wirklich zum gängigen Standard wird, werden, so freuen sich einige Geschäftsleute schon jetzt, »uns die Computerverrückten die Bude einrennen«. Schließlich wolle niemand, der sie noch alle beisammen habe, viel Geld für einen neuen Rechner ausgeben, der seinen User hemmungslos ausspioniert und ihm zudem auch noch Vorschriften macht, was er auf seiner Festplatte installieren darf und was nicht. Einen alten Computer zu besitzen, könne dann in Nerd-Kreisen zum letzten Schrei werden.