Der Bund fürs Leben

Finanzsorgen lassen die Bundeswehrplaner umdenken: Keine Ehemänner mehr zum Wehrdienst, aber eine europäische Armee muss her. von frank brendle

Die Anhänger konservativer Familienpolitik werden ihre Freude haben. Nachdem das Verteidigungsministerium verkündet hat, deutsche Ehemänner seien ab sofort von der Wehrpflicht befreit, können sie darauf hoffen, dass die Zahl der Eheschließungen rasant ansteigt. Da außerdem nur wirklich fitte Jungs wehrpflichtig sind, also einen Heiratsgrund haben, ergibt das beste Aussichten für die Geburtenrate und das deutsche Erbgut.

Fortan müssen nur noch ledige junge Männer (nicht älter als 23, in Ausnahmen 25 Jahre), die in bester körperlicher und geistiger Verfassung sind, bei der Verteidigung der westlichen Werte helfen. Das Gros der eingeschränkt Tauglichen (T3) fällt raus. Ein Ausbildungsvertrag wird ab sofort als Zurückstellungsgrund anerkannt, allerdings die Zusage eines Studienplatzes nicht.

Der Verzicht auf die Gruppe der T3-Gemusterten betrifft knapp 20 000 Männer jährlich – sowohl in der Bundeswehr als auch beim Zivildienst. Und doch reagieren die Wohlfahrtsverbände, die früher bei jeder Änderung der Zivildienstverfassung Alarm schlugen, diesmal gelassen. Sie brauchen um die willigen und billigen Helfer im Pflegebetrieb nicht zu fürchten. Es herrscht ein derartiges Überangebot an Zivildienstpflichtigen, dass die Bundesbehörde schon seit dem vergangenen Jahr nur noch diejenigen einberuft, die sich darum bemühen. Bei einer Zahl von knapp 190 000 Kriegsdienstverweigerern im Vorjahr gegenüber 117 000 besetzten Zivildienstplätzen lässt sich ermessen, dass die nun als dienstunwürdig befundenen »T3er« niemandem fehlen werden.

Das Projekt »Neue Einberufungsregelungen« ist von prinzipieller Bedeutung. Es handelt sich um den Versuch, die Wehrpflicht als solche irgendwie doch noch zu retten. Sie ist nämlich nicht nur seit langem unter politischem Beschuss, sondern auch aus juristischen Gründen eine bedrohte Spezies. Es gilt die »Wehrgerechtigkeit« zu wahren. Das heißt, die Wehrpflicht darf es nur geben, wenn sie gerecht verteilt ist, wenn also wirklich alle – laut Grundgesetz: alle Männer – dienen müssen. Zuletzt bekamen aber nur noch maximal zwei Drittel der als tauglich Gemusterten einen Platz in der Bundeswehr zugewiesen, und auch der Zivildienstpflichtigen gab es wie erwähnt zu viele.

Stefan Philipp von der DFG-VK sieht in dem ministeriellen Erlass den »Vorgriff auf weitere Reduzierungsschritte«, vor allem auf die Verkürzung der Dienstzeit von neun auf sechs Monate. Wenn die Tauglichkeitskriterien radikal verschärft werden und die Dienstzeit verringert wird, so die Hoffnung der Befürworter der Wehrpflicht, sei auch die Wehrgerechtigkeit wieder hergestellt.

Ein zweiter Grund für die Änderungen klingt profaner, ist aber nicht weniger wichtig: Es geht ums Geld. Schließlich hat die Bundeswehr ein milliardenschweres Beschaffungsprogramm vor sich, sieht sich aber mit einem Haushalt konfrontiert, der knapp kalkuliert ist und das Planziel gefährdet: die Einsatzfähigkeit der schnellen Eingreiftruppe der EU sicherzustellen. Diese soll, so wurde es 1999 als »Helsinki Headline Goal« beschlossen, Ende dieses Jahres in der Lage sein, Krisenmanagement und Kampfeinsätze unabhängig von US-Streitkräften zu übernehmen. Die Bundeswehr stellt 18 000 der 60 000 Mann starken Truppe, die innerhalb von 60 Tagen in einem Radius von 4 000 Kilometern um Brüssel herum einsatzfähig sein und mindestens ein Jahr durchhalten können soll. (Jungle World, 16/03)

Das ist nicht umsonst zu haben, sondern zwingt die beteiligten EU-Staaten zu erheblichen Anschaffungen. Vor allem im Bereich der Mobilität gibt es viel nachzuholen. Das deutsche Afghanistan-Kontingent konnte seinerzeit erst mit wochenlanger Verspätung nach Kabul geschickt werden, weil es, wie Spötter sagten, per Anhalter reisen musste.

Damit das nicht wieder passiert, wird nun das Transportflugzeug A 400 M angeschafft. Zwischen den Plankosten für die »wesentlichen Großvorhaben« (Transportfahrzeuge, Kampfhubschrauber etc.) und die »sonstigen militärischen Beschaffungen« der Bundeswehr einerseits und dem Budget andererseits klafft eine erhebliche Lücke. Es zeichnet sich ab, dass bis 2006 nur noch rund die Hälfte der Kosten vom Haushalt gedeckt ist. Um das Gesamtvolumen in Höhe von rund 100 Milliarden Euro bis 2014 zu bewältigen, versucht die Bundeswehr nun, die Kosten des laufenden Betriebes zu reduzieren, beispielsweise bei den Personalkosten durch die Verkürzung der Wehrdienstzeit oder durch kleinere Maßnahmen wie etwa die Stilllegung überzähliger Tornados.

Wenn solche Haushaltstricks jedoch erschöpft sind und die Entscheidung ansteht, entweder den Militäretat aufzustocken oder aber die Anschaffungen zu reduzieren, werden sich gewiss Sachzwänge finden – etwa bestehende Verträge mit der Rüstungsindustrie –, die letzteres ausschließen. Der Testballon, den Bundeskanzler Gerhard Schröder Ende März mit seiner Forderung nach einem erhöhten Verteidigungshaushalt starten ließ, war erfolgreich: Die beiden Fraktionschefinnen der Grünen zeigten, dass sie das Symbol verstanden haben und sprachen sich dafür aus, den Haushalt zu erhöhen. Verteidigungsminister Peter Struck ist sowieso für so etwas zu haben.

Die EU-Truppe gibt es zwar schon heute, richtig einsatzfähig ist sie allerdings noch nicht. Abgesehen vom fehlenden Großgerät, benötigt sie Zugriff auf Nato-Einrichtungen, insbesondere deren Möglichkeiten zur Aufklärung und Lageanalyse.

Das Ziel bleibt die Schaffung einer europäischen Streitmacht, die unabhängig von den USA agiert. Wesentliche Strukturen dazu sind in den vergangenen vier Jahren geschaffen worden, etwa das »Political and Security Committee« (PSC), das die »politische Kontrolle und strategische Führung« einer militärischen Krisenreaktion ausüben soll. Dem PSC arbeitet die »European Union Military Staff Organisation« (EUMS) zu. Der Militärstab soll durch die Beobachtung »potenzieller Krisen« ein Frühwarnsystem einrichten; er ist außerdem damit beauftragt, EU-Einsätze strategisch zu planen und die Bereitstellung nationaler und multinationaler Verbände der EU-Staaten zu unterstützen.

Noch reicht es nicht für eine ernsthafte Konkurrenz zu den USA. Aber »es werden zunehmend eigene Planungsstrukturen aufgebaut«, analysiert Christopher Steinmetz vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), »die zu einem Mehr an Eigenständigkeit führen, auch wenn vorerst andere Einrichtungen der Nato mitgenutzt werden«. Old Europe ist jetzt so weit, den nächsten Schritt zu gehen und eine europäische Armee aufzubauen. Einen entsprechenden Vorschlag des belgischen Premierministers Guy Verhofstadt, kurz nach Beginn des Irakkrieges formuliert, griff Kanzler Schröder sofort auf, weil Europa »auch etwas aus eigener Kraft« schaffen müsse. »Europa« beschränkt sich dabei fürs erste auf Belgien, Frankreich und Deutschland.