Die Chemie stimmt

14 deutsche Firmen sollen wesentlich zur Herstellung von irakischen Chemiewaffen beigetragen haben. US-Soldaten, die im zweiten Golfkrieg verletzt wurden, fordern nun Entschädigung. von thorsten fuchshuber

Unsere Lieferungen haben humanitären Zwecken gedient«, fasst Nikolai Juchem die Geschäfte der Preussag AG mit dem irakischen Ba’ath-Regime zusammen. Der Sprecher des Tui-Konzerns, zu dem das Chemieunternehmen mittlerweile gehört, meint knapp 200 Tonnen Chemikalien, die die Preussag und die mit ihr verbundene Firma W.E.T. bis Mitte der achtziger Jahre in den Irak geliefert haben. Zur Wasseraufbereitung seien die Substanzen bestimmt gewesen, so Juchem, doch seien viele Chemikalien zweifelsohne »dual-use-fähig«, könnten also auch zur Herstellung von Chemiewaffen verwendet werden: »Was hier von Seiten des Irak geschehen ist, das können wir nicht sagen.«

Der Anwalt Gary Pitts aus Houston sieht das jedoch anders: »Sie haben die Gebäude errichtet, sie haben die Anlagen gebaut und die Basisstoffe zur Chemiewaffenproduktion geliefert – und die sagen, sie hätten nichts damit zu tun?« Pitts vertritt die Interessen jener Veteranen, die unter dem so genannten Golfkriegssyndrom leiden. Er wirft Unternehmen wie der Preussag vor, sie seien durch ihre Beteiligung am irakischen Chemiewaffenprogramm mitverantwortlich für die Schäden, die US-Soldaten im zweiten Golfkrieg im Jahr 1991 davongetragen haben. Damals bombardierten die alliierten Truppen unter anderem Bunkeranlagen, in denen das irakische Militär offenbar auch das Nervengas Sarin lagerte. Das Gift verflüchtigte sich, und »etwa 100 000 Mann waren geringen Mengen Chemikalien« ausgesetzt, wie das Pentagon 1996 bestätigte. Über ein Drittel der Betroffenen ist seither invalid oder teilinvalid, etwa 10 000 sind bereits gestorben.

Seit etwa zehn Jahren versucht Pitts deshalb, von Firmen aus Europa und den USA Entschädigungszahlungen einzuklagen – bislang mit geringem Erfolg. Denn einen Nachweis, dass Symptome wie Gedächtnisverlust, starke Muskelschmerzen, chronische Müdigkeit oder gar Gehirnschäden auf jene schwachen Dosen des Nervengases zurückzuführen sind, mit denen die Soldaten in Kontakt kamen, musste er schuldig bleiben. Das soll sich nun ändern. Denn Robert Haley vom medizinischen Zentrum der Universität Texas glaubt den Zusammenhang zwischen dem Golfkriegssyndrom und der irakischen Giftgasproduktion belegen zu können.

Und Gary Pitts hat mittlerweile noch ein Ass im Ärmel. Er ist im Besitz jener Zuliefererliste, die das irakische Regime 1998 auch den Waffeninspekteuren der Uno ausgehändigt hat. »Wir haben gemerkt, dass wir diese Liste brauchen, um Beweise liefern zu können. Da die Anfragen bei der Uno und bei der US-Regierung jedoch unbeantwortet blieben, sagten wir uns: Warum versuchen wir nicht, sie von den Irakern zu bekommen?«

Im Spätsommer 2002 beauftragte er den ehemaligen UN-Waffeninspekteur Scott Ritter damit, in den Irak zu reisen. Ritter traf sich dort unter anderem mit dem irakischen Außenminister Tarek Aziz. Der ließ ihm, auch aufgrund der drohenden militärischen Intervention, drei CDs mit dem kompletten irakischen Rüstungsbericht von 1998 zukommen. Zurück in den Staaten, gab Ritter die Informationen an Pitts weiter, der mit dem FBI vereinbarte, aus Sicherheitsgründen nur die Liste mit den Lieferanten zu veröffentlichen. Ihre Authentizität wird bislang nicht in Frage gestellt. »Ich habe keinen Grund, die Echtheit von Pitts’ Liste zu bezweifeln«, erklärte ein Sprecher des UN-Waffeninspektionsteams der Stuttgarter Zeitung.

Eine Kopie der Liste liegt auch der Jungle World vor. 56 Unternehmen werden darin aufgeführt, und unter den 35 Hauptlieferanten finden sich allein 14 aus Deutschland. An erster Stelle die Preussag AG. Je drei Firmen stammen aus den Niederlanden und der Schweiz, jeweils zwei aus Frankreich, Österreich und den USA. Die restlichen Unternehmen verteilen sich auf verschiedene Länder. Pitts geht davon aus, dass die Liste bis auf geringfügige Ergänzungen identisch mit jenem Dokument ist, das dem UN-Waffeninspekteur Hans Blix vor wenigen Monaten von der irakischen Regierung ausgehändigt wurde. 31 dieser Großlieferanten will der Anwalt nun im Namen von über 5 000 Veteranen auf Schadensersatz in Milliardenhöhe verklagen, zu den restlichen vier verfügt er über keinerlei Ortsangaben.

Einige der Unternehmen, wie etwa Reininghaus-Chemie in Essen, reagieren auf Nachfragen gereizt. Von dort wurden etwa 215 Tonnen chemischer Basisstoffe geliefert, die zur Produktion von Sarin verwendet werden können. »Wir haben nichts gemacht und haben uns nichts vorzuwerfen«, gibt ein Firmensprecher am Telefon zur Auskunft. Auf die Frage, ob das bedeute, Reininghaus habe nie Chemikalien an den Irak geliefert, legt er verärgert auf.

»Es gab ein Gerichtsverfahren gegen uns, und bei dem wurden wir freigesprochen«, sagt Peter Port von der Ludwig Hammer GmbH über den so genannten Darmstädter Giftgasprozess von 1994. Die Geschäfte des Kleinbetriebs aus dem hessischen Kleinostheim mit dem Irak hätten ausschließlich der zivilen Nutzung gedient. »Wir haben in Schulen und in einem Universitätskrankenhaus Heizung und Kühlung eingebaut.« Von einer Beteiligung seiner Firma am Aufbau der Giftgasfabrik in Samarra will er jedoch nichts wissen.

Gelassen gibt sich hingegen die Tui, die der Klage »ganz entspannt« entgegensehe, wie Nikolai Juchem versichert. Und auch Dieter Backfisch, der Geschäftsführer der Karl Kolb GmbH in Dreieich, meint: »Es gibt keine neuen Beweise.« Drei Mitarbeiter des hessischen Unternehmens, das wegen seiner Handelsbeziehungen zum Irak zuletzt im Zuge des erwähnten Darmstädter Prozesses vor Gericht stand, wurden 1994 freigesprochen (Jungle World, 9/03).

Pitts hat dieser Tage den 31 Betrieben geschrieben, um ihnen eine außergerichtliche Einigung anzubieten. Dieter Backfisch von der Karl Kolb GmbH, der das Schreiben noch nicht erhalten haben will, winkt jedoch ab: »Wir sind eine Firma mit drei Leuten, wir haben keine müde Mark für sowas übrig.« Zwar werde man nach Erhalt des Briefes dazu Stellung nehmen, »aber nur um Pitts zu sagen, dass er besser recherchieren soll, damit er keinen Fehler macht. Das alles ist bereits gerichtlich geklärt.« Pitts entgegnet: »Mit dieser Aussage bezieht sich Backfisch auf den Darmstädter Prozess.« Der Anwalt verhandelt bereits mit einigen Unternehmen über Entschädigungszahlungen. »Damals«, sagt er über den früheren Prozess, »lagen dem Staatsanwalt nicht die Beweise vor, die wir jetzt haben. Wenn er sie gehabt hätte, säßen heute einige Leute im Gefängnis.«