Für sich selbst verwaltet

Während Zwangsarbeiter noch auf Geld aus dem Entschädigungsfonds warten, haben sich polnische Verwalter bereits selbst bedient. von jens mattern, warschau

Für große Empörung sorgt in Polen die Nachricht, dass sich vier Mitarbeiter des polnischen Partners der deutschen Entschädigungsstiftung für ihre Verwaltungstätigkeit sehr großzügig entlohnt haben. Die Tageszeitung Rzeczpospolita berichtete am 7. April, dass sich u.a. der damalige Vorsitzende der Stiftung »Deutsch-Polnische Aussöhnung«, Jacek Turczynski, und sein Stellvertreter, Jan Parys, von 1998 bis 2000 mit Prämien von insgesamt 60 000 Euro bedacht haben. Beamte der »Höchsten Kontrollkammer«, die polnische Entsprechung zum Bundesrechnungshof, hätten dies herausgefunden. Nach deren Darstellung haben die beiden auch einen Verlust von einer Million Euro verschuldet, da sie in einer Züricher Bank fünf Millionen Euro aus dem Entschädigungsfonds falsch anlegten.

Turczynski ist seit drei Jahren Präsident der polnischen Post, und Parys sah trotz der allgemeinen Empörung keine Veranlassung, von seinem Amt zurückzutreten. Das Finanzministerium hat ihn nun am Dienstag der vergangenen Woche von seinem Posten enthoben. Parys und Turczynski weigern sich bislang, die verlangten Summen zurückzuzahlen. Beide zeigen sich uneinsichtig und reizen die Öffentlichkeit mit der Aussage, dass sie »nicht umsonst arbeiten wollen«. Die selbst erteilten Prämien müssen nun bei Gericht zurückgeholt werden.

Der finanzielle Schaden der Affäre hält sich zwar in Grenzen, doch für viele Opfer des NS ist er ein weiteres Indiz dafür, dass man sie nicht ernst nimmt. Immer wieder äußerten sie in den vergangenen Wochen in Radiosendungen und Zeitungen ihr Entsetzen über die Vorgänge in der Stiftung. Viele erinnert der Vorfall an den Skandal im Sommer vor zwei Jahren, als sich herausstellte, dass die erste Entschädigungsrate (1,34 Milliarden Mark) zum ungünstigsten Zeitpunkt, als der Zloty am höchsten stand, umgetauscht wurde. Michael Jansen, der Vorsitzende der deutschen Stiftung »Erinnern, Verantwortung und Zukunft«, wies die Verantwortung für die Misere damals von sich. Er erklärte, das ganze Prozedere sei mit Bartosz Jalowiecki, dem Präsidenten der polnischen Partnerstiftung, abgesprochen worden. Jalowiecki wollte den Betrag in Zloty überwiesen haben, um dann mit dem Zinsgewinn auf dem Stiftungskonto die Verwaltungskosten decken zu können. 100 Millionen Zloty sollen bei der Transaktion verloren gegangen sein.

Der Skandal um die Prämien scheint die Kritik von Zygmunt Krolak zu bestätigen. Der Ökonom und ehemalige Zwangsarbeiter warnte die Stiftungsverwaltung bereits Anfang April davor, nicht wieder die gleichen Fehler zu begehen wie damals. Im September soll die Auszahlung der zweiten Entschädigungsrate planmäßig beginnen, davor steht eine weitere Transaktion – diesmal in Euro – der deutschen Stiftung an. Auch bemängelte er, dass der momentane Stiftungsvorsitzende, Jerzy Sulek, keine Wirtschaftsexperten konsultiere.

Für Ludwik Krasucki, den Vorsitzenden des Verbandes der jüdischen Kriegsveteranen und -versehrten des Zweiten Weltkriegs, ist es unverständlich, dass die polnische Regierung, die seit Ende 2001 von den Unregelmäßigkeiten in der Stiftung wusste, Parys nicht ablöste. Dieses Vorgehen verringere das Vertrauen der Polen auf die Institution, die nach seiner Ansicht seit Juli 2001 insgesamt gut verwaltet werde. Nach Angaben der Stiftung »Deutsch-Polnische Aussöhnung« sind seit diesem Zeitpunkt bis Anfang April rund zwei Milliarden Zloty der ersten Rate an etwa 440 000 Personen ausgezahlt worden. Krasucki, der auch Mitglied der Aufsichtsbehörde der deutschen Stiftung ist, geht daher davon aus, dass die Auszahlungen der ersten Rate im Juli abgeschlossen werden können.

Noch im vergangenen Herbst schien dies ein Ding der Unmöglichkeit. Der immer größer werdende bürokratische Apparat der Stiftung der deutschen Industrie verzögerte die Auszahlung und belastete den Fonds finanziell. Inzwischen ging die Stiftung auf die Kritik der Opfervertreter ein und reduzierte den bürokratischen Aufwand.

Zudem konnten die deutschen Vertreter endlich davon überzeugt werden, die Internationale Suchstelle des Roten Kreuzes im hessischen Arolsen mit mehr Geld zu unterstützen. Dahin müssen sich NS-Geschädigte mit einem schriftlichen Antrag wenden, wenn sie keine ausreichenden Unterlagen über ihre Zeit als Zwangsarbeiter und in den Konzentrationslagern besitzen. Die notorische personelle Unterbesetzung dieser Institution, die die größte Sammlung an Unterlagen des NS-Apparats besitzt, wurde schon lange bemängelt. Die langen Bearbeitungszeiten verzögerten die Auszahlung der ersten Rate. Mit der zweiten Rate kann nur dann begonnen werden, so das Prinzip der deutschen Stiftung, wenn die erste schon voll ausgezahlt wurde.

NS-Verfolgte, die nicht zur so genannten Kategorie A der in Lagern und Ghettos Eingesperrten gehören, erhielten bislang noch gar kein Geld. Sie fallen in die Kategorie »sonstige Personenschäden«, wie die deutsche Stiftung es formuliert. Für sie ist ein Gesamtbetrag von 25 Millionen Euro vorgesehen. Die Opferverbände haben durchgesetzt, dass die Opfer medizinischer Experimente die höchste Entschädigung erhalten werden, vor den Invaliden und den Eltern ermordeter Kinder. Denn »die menschlichen Versuchskaninchen«, so Krasucki, haben am meisten erlitten und die schwächste Gesundheit.

Die Auszahlung der ersten Rate verzögert sich bei dieser Opfergruppe, da die Unterlagen in Polen zwar vorhanden sind, in anderen Ländern wie Russland aber die Vorbereitungen noch andauern. Da die Zahl der insgesamt bewilligten Anträge bislang nicht ermittelt ist, können die genauen Beträge der Auszahlung nicht festgestellt werden. Krasucki plädiert daher dafür, schnellstmöglich einen Grundbetrag an die Antragsteller in Polen zu senden und die Differenz zum genauen Betrag später nachzuschicken. Nach Auskunft der deutschen Stiftung wird über diesen Grundbetrag zwar gerade »nachgedacht«, es gehe aber darum, bis August eine etwaige Zahl zu ermitteln. Die Auszahlung der ersten Rate an diejenigen, die nicht der so genannten Kategorie A zugerechnet werden, erfolgt demnach frühestens im Oktober.

Ein weiterer Streitpunkt ist der Zukunftsfonds der Witschaftsstiftung. Etwa 350 Millionen Euro sind insgesamt dafür vorgesehen, darunter befindet sich auch der Fonds »Erinnern & Menschenrechte«, mit dessen Mitteln Projekte gefördert werden sollen, bei denen es allgemein um Menschenrechtsverletzungen und Totalitarismus geht. Krasucki fürchtet, dass durch solche Verallgemeinerungen der Sinn der Stiftung verwässert werde. Die Gelder aus dem Fonds der deutschen Industrie seien explizit für deren Opfer gedacht. Durch den Zukunftsfonds sollten vor allem Einrichtungen zum Gedenken und Erinnern an die NS-Verbrechen finanziert werden. Gerade in Polen hat der Staat nicht die Mittel, um ehemalige Konzentrationslager und andere Gedenkstätten ohne Spenden zu erhalten. Zusätzliches Geld wird dringend benötigt.