Welcome to Tijuana

Die Kollektivkneipe Café Morgenrot in Prenzlauer Berg zeigt eine Ausstellung über die Grenze zwischen Mexiko und den USA. Dazu gibt es Dokumentarfilme im Lichtblick-Kino. von wibke bergemann

So etwas gibt es noch in Berlin, sogar in der immer schicker werdenden Kastanienallee in Prenzlauer Berg: eine von einem Kollektiv betriebene Kneipe. Im vergangenen November hat das Café Morgenrot aufgemacht, seither finden hier regelmäßig politische und kulturelle Veranstaltungen statt.

13 Leute arbeiten in der linken Kneipe, hierarchiefrei – soweit das eben geht – und mit einer rotierenden Aufgabenverteilung. Sie versuchen, durch die Arbeit im selbst geschaffenen Rahmen das private, politische Leben mit der Lohnarbeit unter einen Hut zu bringen. Langfristig wollen die Kollektivisten von den Einnahmen im Café leben. »Damit gerät man natürlich immer in den Konflikt zwischen Überleben einerseits und doch nicht zu teuer zu werden andererseits«, sagt Ralf. Ein Kompromiss wurde gefunden: Im Morgenrot gibt es in allen Getränkekategorien einen Billig-Joker; ein Sternburger Bier beispielsweise ist für unschlagbare 1,20 Euro zu haben.

Eigentlich hatte sich die Gruppe zusammengefunden, um das Ex im Kreuzberger Mehringhof zu übernehmen. Das klappte nicht. Dennoch, »wir wollen die Tradition des Ex aufrechterhalten«, sagt Ralf. Und das geschieht nun in einem ehemals besetzten Haus im Stadtteil Prenzlauer Berg.

Der Standort hat seine Vorteile. Abends trudelt hier ziemlich gemischtes Publikum ein. Und das ist auch erwünscht. Denn das Café Morgenrot will »nicht so geschlossen sein wie die typische Besetzerkneipe«, von der sich es sich schon optisch abhebt. Einen Teil des Startkapitals, das über Privatkredite zusammenkam, steckten die Kollektivisten in neues Mobiliar und die Gestaltung der Räume. Tagsüber sitzen hier vereinzelte Zeitungsleser aus der Nachbarschaft beim Milchkaffee. Abends wird es voll. Alle möglichen Leute kommen auf ein Bier oder mehrere vorbei, nicht nur linkes Publikum. Der normale Kneipenbetrieb und die politischen Veranstaltungen laufen ganz gut nebeneinander.

Und manchmal auch aneinander vorbei. Etwa wenn der Film »New World Border« über Migration an der Grenze zwischen Mexiko und den USA gezeigt wird, und ein paar Leute am Tisch nebenan nicht so ganz verstehen, weshalb man sich darüber aufregen kann: »Das lässt mich kalt. Die haben eben das gleiche Problem mit illegalen Einwanderern wie wir in Europa.«

Mit dem Film über den mörderischen Tortilla Curtain wurde vergangene Woche im Café Morgenrot eine Veranstaltungsreihe eröffnet, die in Kooperation mit dem benachbarten Buchladen Schwarze Risse und dem Lichtblick-Kino entstanden ist. »Home of the Braves« vermittelt Einblicke ins Innere der amerikanischen Gesellschaft. Unterdrückte Arbeiter, rassistische Migrationspolitik, Brutalität in Gefängnissen, Patriotismus und Amerika-Kult: die Dokumentarfilme, die bis zum 30. April im Lichtblick laufen, zeigen die Schattenseiten des mächtigsten Landes der Welt. Vielfach aus der Innenperspektive, gedreht von amerikanischen Regisseuren, die an den entsprechenden Abenden im Kino anwesend sind und für Fragen zur Verfügung stehen.

»Wir haben natürlich darüber nachgedacht, ob wir bei der derzeitigen Stimmung mit der Veranstaltungsreihe nicht in einen Topf mit der ›Amerika ist blöd‹-Fraktion geworfen werden«, erzählt Ralf. Eine der geplanten Veranstaltungen ist daher aus dem Programm geflogen: »Die war uns zu platt.« Doch es gehe bei »Home of the Braves« ja um den sozialen Widerstand, um die alltäglichen Kämpfe für ein besseres Leben, die es auch in den USA gibt.

So handelt der Dokumentarfilm »Justice for Janitors« von der gleichnamigen Kampagne der US-Gewerkschaft SIEU, die illegalisiertes Reinigungspersonal organisieren und gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen schützen konnte. Im Jahr 2000 schloss sich sogar der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO der Forderung nach einer Legalisierung der Illegalisierten an. Im Anschluss an den Film ist eine Info-Veranstaltung geplant. Außerdem im Programm: Michael Moores Dokumentarfilm »The Big One«, der hinter den Mythos des wirtschaftlichen Aufschwungs blickt und seine absurden Folgen zeigt.

Wer nach den Filmen im Lichtblick noch nicht genug vom »Home of the Braves« hat, geht anschließend ins Café Morgenrot. Dort ist im Rahmen der Veranstaltungsreihe eine Fotoausstellung über die Grenze zwischen Mexiko und den USA nahe der mexikanischen Stadt Tijuana zu sehen. Die Fotos sind während eines Grenzcamps im August 2002 entstanden. Drei Tage lang hatten die Teilnehmer ihre Zelte in Mexiko unmittelbar an dem Zaun aus Blech aufgestellt.

Die Bilder zeigen die breite Schneise, die für die Befestigungsanlagen in die Landschaft geschlagen wurde. Bewaldete Berge wurden abgeholzt, um die Grenze besser kontrollieren zu können. Und sie zeigen das Leben an dieser Schneise: Bretterhütten in Tijuana, die direkt am Blechzaun errichtet wurden. Oder sonntägliche Familientreffen am Zaun, streng bewacht von der allgegenwärtigen Grenzpatrouille, mit Angehörigen, die es in die USA geschafft haben.

Seit das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta 1994 in Kraft getreten ist, überschwemmen amerikanische Agrarprodukte den mexikanischen Markt. Immer mehr mexikanische Bauern sehen sich gezwungen, in die Städte zu gehen, in den Maquiladoras der transnationalen Konzerne für einen geringen Lohn zu arbeiten oder in die USA auszuwandern. Die von militärischen Einheiten bewachten, fast unüberwindbaren Grenzanlagen treiben die Migranten ins Landesinnere, wo sie versuchen, durch die bergige Wüste in die USA zu gelangen. In jedem Jahr sterben mehrere hundert Grenzgänger. Sie verdursten in der Wüste, ertrinken im Grenzfluss Rio Bravo oder werden erschossen.

In Tijuana warten Tausende drauf, die Grenze zu überqueren. Einer der Slums, in denen die Migranten sich niedergelassen hatten, wurde von Bulldozern abgerissen, während das Grenzcamp stattfand. Auch diese Bilder sind in der Ausstellung im Café Morgenrot zu sehen. Und Plakate zeigen, dass es in den USA auch Widerstand gegen das Grenzregime gibt. Flüchtlingsinitiativen wie La Resistencia versorgen die Immigranten auf ihrer Flucht mit Wasser und Nahrung. Amerika hat eben viele Seiten.

Doch wie das bei Ausstellungen in Cafés so ist: Man sieht sie sich am besten tagsüber an, wenn es heller und leerer ist. Denn kleinformatige Fotos, die über Sofas hängen, lassen sich am besten betrachten, wenn niemand auf dem Sofa sitzt. Mal ganz abgesehen davon, dass die Fotos ohnehin einen Teil ihrer Wirkung an die gelb-weiße Musterung der Wand, an der sie kleben, abtreten müssen. Alternativ kann man sich zu jeder Zeit mit dem antirassistischen Computerspiel »A Week in the Life« vergnügen, das einen mit den Gefahren konfrontiert, die ein Grenzübertritt in die USA mit sich bringt.