Wüste im Wandel

Proteste gab es nicht, selbst Gespräche über Krieg und Politik sind in den Vereinigten Arabischen Emiraten selten. Der durch Ölexport finanzierte Wohlfahrtsstaat sorgt für Loyalität. von sabine küper, dubai

Hasher al-Makhtoum, Informationsminister von Dubai und Chef der Fernsehsenderkette Dubai-TV, hat schlechte Nachrichten erhalten. Zwei Reporter des Business-Channel wurden nach der Überquerung der iranischen Grenze zum Irak von versprengten irakischen Milizen getötet. Er mag diesen Krieg ebenso wenig wie Saddam Hussein. Doch er überlegt sich genau, was er sagen kann. Die superreichen Emirate versuchen nämlich, neutral zu bleiben. Man will es sich weder mit der Arabischen Liga noch mit den USA verderben, denn das Wichtigste für diesen Teil des Golfs sind die Geschäfte.

»Die Amerikaner machen sehr schlechte public relations für sich«, meint al-Makhtoum. »Eigentlich haben sie alles falsch gemacht. In der arabischen Welt gelten sie jetzt als die Invasoren. Sie wollen eine amerikanisch geleitete Übergangsregierung einsetzen, den Dollar als Währung einführen, das sieht doch aus wie eine Rückkehr zum Kolonialismus. Das ist doch nicht zeitgemäß.« Der Minister verhehlt nicht, dass in den Emiraten niemand Saddam Hussein eine Träne nachweint. »Er hätte viel früher gehen müssen«, schnaubt er verächtlich.

Der greise und schwer kranke Staatschef der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Zayed bin Sultan al-Nahyan, hatte mit dem Vorschlag, der Diktator solle ins Exil gehen, den Krieg zu verhindern versucht. Selbst Spross der Herrscherfamilie al-Makthoum, holt der Minister aus, um uns die Säulen emiratischer Innenpolitik zu erklären. »Wir haben hier eine Stammesdemokratie«, strahlt er uns an, an dem Kaffee nippend, den ein indischer Kammerdiener fast unbemerkt serviert hat. Blumig schildert al-Makhtoum die Staatsideologie. In der arabischen Stammeskultur werde der weiseste und mächtigste Scheich zum Führer aller ernannt. Seine Macht gründe sich auf seinem Erfolg: »Sehen Sie sich gut in unserem Land um! Sie werden feststellen, dass alle zufrieden sind.«

Die Zeit drängt, der Minister muss zum Treffen des Rates von Dubai, einem Gremium aus Mitgliedern der Herrscherfamilie, die über alle relevanten Fragen entscheiden. Ihnen übergeordnet ist der Nationale Bundesrat, dessen 40 Mitglieder von den sieben Herrschern der einzelnen Emirate ernannt werden. Es gibt eine Bundesregierung mit einem aus ihren Reihen von den Scheichs ernannten Präsidenten und Vizepräsidenten.

Seit 1971, dem Gründungsjahr der Vereinigten Arabischen Emirate, ist das Scheich Zayed bin Sultan al-Nahyan, sein Vize und der eigentliche Herrscher der Emirate ist Kronprinz Scheich Makhtoum Ibn Raschid al-Makhtoum, einer der reichsten Männer der Welt. Zum Abschied scherzt der Minister. »Ein westlicher Journalist hat unseren Herrscher einmal gefragt, warum es in seinem Land keine westliche Demokratie mit Parteien und Wahlen gebe. Seine Hoheit hat geantwortet: ›Das hat noch nie jemand von mir gefordert.‹«

Eine junge Frau in engen schwarzen Hosen, langer schwarzer Bluse und einem lässig umgelegten Kopftuch leitet uns durch die Abteilungen von Dubai-TV. Khwala Salem Nasser ist Leiterin der Abteilung für Informationstechnologie. Die 27 Jahre alte Informatikerin mit einem Wirtschaftsmagister erzählt uns stolz, dass auf Geheiß des Kronprinzen al–Makhtoum nach dem 11. September die Fluggesellschaft Emirates ein Großauftrag in Höhe von 16,6 Milliarden Euro an Boeing und Airbus vergab.

Vom armen Wüstenstaat zur High-Tech- und Handelsmetropole, der Boom und der große Reichtum, den das Öl und eine clevere Handels- und Investitionspolitik den Emiraten brachten, haben eine Menge verändert. Die Eltern der jungen Managerin können weder lesen noch schreiben. Khwala ging auf eine staatliche Schule, ihre Universitätsausbildung in Großbritannien wurde von der Herrscherfamilie bezahlt.

Es gibt in den Emiraten mehrere Universitäten speziell für Frauen, aber auch gemischte Hochschulen. Das größte Problem für Frauen wie Khwala Salem Nasser ist aber der nur sehr langsame Wandel traditioneller Wertvorstellungen. Wehmütig erinnert sie sich an ihre Studienjahre im Ausland. Das Nachtleben kann sie nur in Begleitung von Personen erkunden, die ihren Eltern bekannt sind. Die Mutter beklagt sich häufig, die Tochter arbeite zuviel. »Sie möchte Gesellschaft haben, in unserer Familienstruktur ist das so«, sagt die junge Frau und wirkt dabei ungezwungen und selbstbewusst. Nur Fragen zur Politik irritieren sie, wie die meisten in den Emiraten lebenden Menschen.

Die relative Liberalität, die durch den Reichtum ermöglichte patronagehafte Wohltätigkeitspolitik und ein durch Stammesloyalitäten und gut bezahlte Beamte gefestigter Sicherheitsapparat haben ein perfektes System der Selbstzensur geschaffen. Man braucht keine offene Zensur auszuüben, die Abhängigkeit von den gegebenen Strukturen bewirkt eine Selbstknebelung. Khwala Salem Nasser durchschaut dieses subtile System, auf Fragen nach Demokratie reagiert sie ausweichend. »Das entspricht noch nicht unserer Kultur und unserem Entwicklungsstand, und vielleicht sind wir für Demokratie noch nicht bereit. Die Herrscherfamilie garantiert den Frieden im Land.«

Der wirkt fast erdrückend. In den Emiraten fehlen die typischen arabischen Kommunikationsorte. Statt der Kaffeehäuser gibt es amerikanisierte Cappuccino-Lounges, statt des Basars die Shopping Malls. Selbst in den Moscheen wird nicht protestiert. In den Emiraten blieb es während des ganzen Krieges ruhig.

Nach langem Suchen finden wir im konservativen Emirat Sharjah eine Basarmeile. Doch weder Händler noch Kunden sind gesprächig. »Der Krieg ist jetzt vorbei. Wir hoffen, dass es den Leuten jetzt besser gehen wird.« Das ist die häufigste Antwort. Auf dem Campus der amerikanischen Universität machen wir die gleiche Erfahrung. Viele der Studenten, selbst Palästinenser und Syrer, schauen zwar al-Jazeera, in ihren Äußerungen aber bremsen sie sich.

Sarah Sheiksaid arbeitet an ihrer Abschlussarbeit, einer Multimediapräsentation über den Entwurf einer Shopping Mall. An der Uni wird praxisorientiert gelehrt, Visionäre müssen ihren Magister im Ausland machen. Das hat Sarah nicht mehr vor. Nach ihrem Abschluss will sie nicht mehr weiterlernen, vor allem nicht im Ausland. »Ich wollte nach Amerika, aber seit dem 11. September bleiben viele hier«, erzählt sie uns.

Das indische und das pakistanische Personal, dass die englische Gartenanlage pflegt, die Shopping Mall betreibt und in der Fast-Food-Meile arbeitet, bleibt fast unsichtbar. Nur zehn Prozent der Bevölkerung stammen aus den Emiraten selbst, 30 Prozent aus anderen arabischen Ländern, 48 Prozent sind Asiaten, vor allem Inder und Pakistanis. Die meisten Asiaten werden nach Dienstschluss in so genannte Labor Camps in der Wüste gefahren, die sie nur verlassen dürfen, um zu arbeiten. Die meisten Studenten finden das nicht schön, hoffen aber, dass es ihnen trotzdem besser geht als in den Heimatländern. Doch die Uni ist als fortschrittlich anzusehen. Zum Ausbruch des Krieges organisierte ihre Leitung einen kurzen Schweigemarsch auf dem Campus, der vom Scheich von Sharjah genehmigt worden war.