ADAC statt DGB

Denunziation der Reformgegner von ralf schröder

Im Vergleich zu dem, was Thatcher und Reagan während der achtziger Jahre in ihren Ländern veranstaltet haben, war der deutsche Neoliberalismus ein Papiertiger. Der revolutionäre Elan der Marktradikalen tobte sich in der Ära Helmut Kohls vorrangig in BWL-Seminaren und Leitartikeln aus, ein Ansturm, den die Sozialsysteme relativ unbeschadet überstanden. Unter Schröder und Fischer hat sich die Gangart entscheidend verschärft. Als ein wahrhaft epochaler Schub in der Umverteilung nach oben sorgt die Steuerreform des Jahres 2000 gegenwärtig für eine in der BRD bisher beispiellose Ruinierung öffentlicher Infrastrukturen und Dienstleistungen. Zudem markierte die Riester-Rente den Beginn der Zerschlagung der paritätisch von den Beschäftigten und den Unternehmern finanzierten sozialen Mindestversorgung. Dieser Prozess wird nun beschleunigt und ausgeweitet.

Ähnlich wie vor vier Jahren in der Debatte um die Steuerreform nimmt auch angesichts der jetzt bevorstehenden rot-grünen Brutalitäten die Formatierung der öffentlichen Diskurse wieder totalitäre Züge an. Die Sortierung in »Arbeitsfähige«, »Arbeitsunwillige« etc. ist ebenso geläufig wie die protofaschistische Denunziation des pluralen und gewohnten bürgerlichen Verteilungskampfes. »Verbände«, »Lobbyisten« und »Interessengruppen« gelten nicht, wie es bisher im Schulfach Sozialkunde gelehrt wurde, als Akteure demokratischer Prozeduren, sondern als Volksfeinde.

Wie diese Polarisierung funktioniert, führte in der vergangenen Woche beispielhaft der stern vor, als er die Ergebnisse seiner gemeinsam mit dem ZDF und der Unternehmensberatung McKinsey veranstalteten Internet-Umfrage »Perspektive Deutschland« präsentierte. 58 Prozent der Befragten seien für mehr Druck auf Arbeitslose, 52 Prozent für eine weitere Privatisierung der Rentenvorsorge und für reduzierte Leistungen der Krankenkassen. »Die meisten Deutschen haben Reformstau und Verhinderer satt.« So feierte der Kommentar diese doch ziemlich dünnen Mehrheiten. Anderweitig ging man noch primitiver zur Sache: Obwohl lediglich 33 Prozent der Umfrageteilnehmer angaben, zu den Gewerkschaften »kein Vertrauen« zu haben, war zu lesen, diese seien »von den Menschen schon abgeschrieben«. Peter Lösche, einer der vielen als »Parteienforscher« firmierenden Politologen-Trottel, fügte hinzu: »Ich würde Schröder raten, die Interessengruppen einfach zu umgehen. Sie spiegeln nicht die Stimmungslage der Mehrheit der Bevölkerung wider.«

Solche Demagogie dockt mit zielsicherer Intuition an jene volksgemeinschaftlichen Ressentiments an, die in der deutschen Kollektivpsyche nach wie vor ihren festen Platz haben. Was u.a. ein weiteres Ergebnis von »Perspektive Deutschland« zeigt: Der ADAC wurde, weit vor dem Bundestag und den Parteien, zur vertrauenswürdigsten Institution des Landes gekürt. Bei ihm handelt es sich um eine streng hierarchische und von Paten regierte Vereinigung, in der abweichende Meinungen keinen Platz haben. Für seinen Beitrag kriegt man allerlei Rabatte, Vergünstigungen und Pannenhilfe. Sogar eine Zeitung mit fertigen Expertenmeinungen gibt es hier. In der Tat: eine reichlich deutsche Perspektive.