Alle sollen verlieren

Nach den Präsidentschaftswahlen in Argentinien von cecilia pavón und damián ríos

Vota bronca (Proteststimme), voto útil (nützliche Stimme), voto castigo (Bestrafungsstimme), voto patriótico (Vaterlandsstimme) – nie zuvor wurde das Wahlverhalten in Argentinien so unterschiedlich benannt. Die Begriffe reden von der politischen Krise, in der sich das Land noch immer befindet.

Carlos Menem und Nestor Kirchner gehen in die Stichwahl. Aber die Kandidaten spielten in der öffentlichen Debatte eine untergeordnete Rolle. Am Wahlsonntag ging es darum, das parlamentarische System wieder herzustellen. Die Indifferenz, mit der die meisten Argentinier den Wahlkampf verfolgten, verflog erst in seiner letzten Woche, als die Meinungsumfragen einen Gleichstand von fünf Kandidaten zeigten.

Aus der Protestbewegung des 20. Dezember 2001 waren keine Kandidaten hervorgegangen. Als die Wahllokale schlossen und die Anhänger der Kandidaten zu feiern begannen, protestierten Piqueteros und Teilnehmer der Asambleas (Volksversammlungen) im Zentrum von Buenos Aires. Sie hatten dazu aufgerufen, die Wahl anzufechten oder gar nicht erst teilzunehmen. Die Demonstration der Wahlgegner brachte an jenem Tag die meisten Menschen zusammen.

Sehr viele Anhänger konnte aber auch die Regierung mobilisieren. 80 000 Polizisten sollten auf den Straßen nach den Worten des scheidenden Präsidenten Eduardo Duhalde »den Wahlfrieden garantieren«. Buenos Aires glich den ganzen Tag über einer militärisch besetzten Stadt. Einige Demonstranten wurden beim escrache, dem öffentlichen Brandmarken von Politikern, verhaftet.

Voreilig könnte man aus den Wahlergebnissen einen Rechtsruck ablesen. 24 Prozent der Wähler stimmten für den ehemaligen Präsidenten Carlos Menem, 17 Prozent für Ricardo López Murphy, der auf den dritten Platz kam.

Beide verfechten ein neoliberales Modell, gegründet auf einer rigiden Haushaltspolitik und der Repression der Protestbewegung. Doch bei genauerem Blick wird deutlich, dass der mit 22 Prozent der Stimmen zweitplatzierte Kandidat, Nestor Kirchner, die größten Siegeschancen bei der Stichwahl am 18. Mai hat.

Der von der Regierung unterstützte Kirchner bezeichnet sich selbst als »Neokeynesianer« und lehnt ein außenpolitisches Bündnis mit den USA ab. Außerdem will er eng mit Brasiliens neuem Präsidenten Lula da Silva zusammenarbeiten und über einen Nachlass der Auslandsschulden verhandeln.

Menem wird es in der Stichwahl schwer fallen, neue Wähler zu gewinnen. Nach Meinungsumfragen machen ihn 70 Prozent der Argentiner für die Krise verantwortlich. Kirchner wird deswegen gute Chancen haben, sich mit anderen Kanidaten zu verbünden.

Doch wer auch immer demnächst in Argentinien regieren wird, er wird von zwei Seiten unter Beschuss genommen. Schon am Tag nach den Wahlen richtete sich eine Delegation des IWF in einem Hotel im Zentrum von Buenos Aires ein; bisher hatte man Argentinien nur hin und wieder »besucht«.

Außerdem wurden von der Protestbewegung für die ganze Woche neue Straßensperren und escraches gegen den IWF und die argentinischen Politiker angekündigt. Egal ob Menem oder Kirchner, wer gewinnt, kann nur verlieren.