Beichte in der Karwoche

Bosnien hat das Irak-Embargo gebrochen und könnte deshalb schneller in die »Partnership for Peace« aufgenommen werden. von markus bickel, sarajevo

Der Abschied war kurz und schmerzlos. »Danke für den Brief, den Sie mir heute morgen geschickt haben«, schrieb der Leiter der internationalen Protektoratsbehörde des Hohen Repräsentanten Anfang April an den amtierenden Präsidenten Mirko Sarovic. »Ich begrüße Ihre nach einigen Bedenken getroffene Entscheidung, von Ihrem Amt im Staatspräsidium Bosnien-Herzegowinas zurückzutreten.« Vielleicht könne man ja auf persönlicher Ebene in Kontakt bleiben, »hoffentlich unter glücklicheren Umständen«.

Besonders unglücklich wirkte der Hohe Repräsentant Paddy Ashdown allerdings nicht, als er vor einem Monat eine weit reichende Neuordnung des bosnischen Militärapparates und die Zusammenlegung der getrennt operierenden Armeen der Republika Srpska und der muslimisch-kroatischen Föderation ankündigte. Als Konsequenz aus der so genannten Orao-Affäre war eigentlich auch die Entlassung Sarovics vorgesehen. Er trug als Präsident der Republika Srpska zwischen 2000 und 2002 die politische Verantwortung für den Bruch des Irak-Embargos durch die Waffenfirma Orao im bosnisch-serbischen Bjeljina.

Die Lieferung von Ersatzteilen und Ausbildern zur Wartung veralteter sowjetischer MiG-Kampfflieger war erst im Herbst des vergangenen Jahres bei einer Razzia der von der Nato geführten Bosnien-Schutztruppe Sfor aufgeflogen, die internationale Protektoratsverwaltung Ashdowns verlangte daraufhin von der bosnisch-serbischen Regierung in Banja Luka einen Untersuchungsbericht. Nach der Vorlage des von Ashdown weiter als »lückenhaft« bezeichneten Berichts wäre Sarovics Rücktritt etwas mehr als ein Bauernopfer gewesen – im Oktober 2002 wurden der Orao-Geschäftsführer und mehrere Militärs entlassen. Selbst unter Protektoratsbedingungen keine leichte Entscheidung für den obersten internationalen Verwalter.

Mit seinem sicherlich nicht ganz freiwillig zustande gekommenen Rückzieher half Sarovic dem Hohen Repräsentanten aus der Patsche. Schließlich hätte Ashdown schlecht erklären können, weshalb ausgerechnet ein noch im vergangenen Oktober mit großer Mehrheit auf den serbischen Sitz im Dreierpräsidium in Sarajevo gewählter Politiker für Versäumnisse herhalten musste, die eigentlich in den Verwantwortungsbereich der Sfor fallen. Im Friedensvertrag von Dayton, der den Bosnienkrieg im Dezember 1995 formal beendete, wurde die inzwischen von 60 000 auf 11 500 Mann reduzierte Truppe mit der Überwachung der beiden nationalen Armeen beauftragt – inklusive der Kontrolle von Ein- und Ausfuhren von Militärgütern.

Ashdowns Aufforderung an den bosnischen Ministerrat, bis zum Jahresende ein einheitliches Verteidigungsministerium zu schaffen, dem die Verbände der beiden als Entitäten bezeichneten bosnischen Bundesländer unterstellt sind, findet zwar die Unterstützung der Nato, denn schließlich gilt die Vereinheitlichung der nach Kriegsende beibehaltenen Parallelstrukturen als Voraussetzung für die Aufnahme Bosnien-Herzegowinas in das Nato-Unterstützungsprogramm Partnership for Peace (PfP). Doch der Oberkommandierende der Sfor, US-General William Ward, zog am Osterwochenende die bereits dem Verteidigungsministerium der Föderation erteilte Erlaubnis zurück, Export-Import-Geschäfte des militärisch-industriellen Komplexes ab Juni selbst zu kontrollieren. »Die entsprechenden Gesetze sind zwar in Kraft, aber das Ministerium ist auf die wichtigen Aufgaben technisch noch nicht vorbereitet«, teilte Sfor-Sprecher Dale MacEachern der Jungle World lakonisch mit.

Spekulationen, auch Firmen in der Föderation könnten am Export von Waffen in den Irak beteiligt gewesen sein, kursieren in Bosnien bereits seit dem vergangenen Herbst, als Sfor-Einheiten die Orao-Geschäftsräume in Bjeljina durchsuchten. In den sechziger und siebziger Jahren hatte Jugoslawiens Präsident Josip Broz Tito große Teile der jugoslawischen Rüstungsindustrie in den durch Wälder und Berge vor Einblick von oben geschützten Tälern Bosniens ansiedeln lassen. Seit den achtziger Jahren galt der Irak als einer der besten Abnehmer der in Novi Travnik, Visoko und Mostar hergestellten Militärgüter. Unter Federführung der Belgrader Ausfuhrkontrollbehörde Jugoimport hatten serbische gemeinsam mit bosnisch-serbischen Militärs über Jahre hinweg das Uno-Waffenembargo gegen den Irak gebrochen. Dass dies wirklich ohne Wissen der Nato geschah, ist angesichts der Präsenz des westlichen Bündnisses im Kosovo und in Bosnien nur schwer vorstellbar.

Doch während die Sfor und die Behörde des Hohen Repräsentanten bis Ostern keine Stellungnahmen über mögliche Verstöße muslimisch-kroatischer Firmen oder Behörden gegen das Uno-Embargo abgeben wollten, legte der Verteidigungsminister der Föderation, Miroslav Nikolic, bereits in der Karwoche eine Beichte ab. Entsprechende Ermittlungen seines Ministeriums seien bereits im Gange, sagte er der Tageszeitung Dnevni List Mitte April. Woher er seine Informationen habe? Vom US-Botschafter in Sarajevo, Cliffard Bond, und von der Sfor.

Dass die Nato sich einerseits das Recht vorbehält, sämtliche Bereiche des bosnischen Militärsystems zu kontrollieren, andererseits Verstöße gegen ihr eigenes Überwachungsregime aber nicht bekannt gibt, mag verwundern. Doch das Ziel der bosnischen Regierung, schon ab Januar 2004 durch Mitgliedschaft im PfP-Programm besser von den Nato-Strukturen profitieren zu können, muss durch eine weitere Waffenaffäre nicht unbedingt gebremst werden. Schon die Konsequenzen Ashdowns aus der Orao-Affäre haben zu einer seit Jahren nicht gesehenen politischen Dynamik geführt. Sollte demnächst auf Seiten der Föderation ein Verantwortlicher für Verstöße gegen das Uno-Embargo gesucht werden, könnte es also sehr gut einen muslimischen oder kroatischen Gegner der Reform Ashdowns treffen.

Denn nicht nur in Serbien führt internationaler Druck derzeit zu ungeahnten Folgen. So musste auch die Regierung in Zagreb dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Ende April zusichern, die Archive des verstorbenen früheren Verteidigungsministers Gojko Susak zu öffnen. Nach Zagreber Zeitungsberichten sollen das kroatische Finanz- und Verteidigungsministerium schätzungsweise 1,3 Milliarden Euro an die illegale Behörde der kroatischen Separatisten in Mostar transferiert haben. Die Hälfte des Geldes, das zur Finanzierung der kroatischen Truppen und für Kriegsopfer in Bosnien gedacht war, sei in private Hände geflossen. Näheres war in der Woche nach Ostern weiter unklar. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass in Sarajevo und Banja Luka am letzten April-Wochenende auch noch das orthodoxe Osterfest anstand. Danach könnten neue Beichten folgen.