Brüder, zur Sonne!

Das Aufbegehren der SPD-Basis gegen die geplanten unsozialen Reformen hält sich in Grenzen. Die Parteidisziplin wird groß geschrieben. von pascal beucker

Es tue ihm leid, sagt Jochen Ott zu Beginn des Gesprächs, er habe wirklich nur sehr wenig Zeit. Wieder jage ein Termin den anderen. Kein Wunder, schließlich ist Ott der jüngste SPD-Unterbezirkschef der Republik, ausgerechnet im Palermo der deutschen Sozialdemokratie, in Köln. Da erstaunt es nicht, dass der 28jährige Gesamtschullehrer wenig Verständnis für die Aufregung um Gerhard Schröders »Agenda 2010« hat.

Als hätte er nicht schon genug Probleme! Erst am Vormittag hatte die Staatsanwaltschaft mal wieder bei zwei Kölner Genossen, diesmal beim Chef des SPD-Ortsvereins Weidenpesch, Günther Jikeli, und seinem Kassierer, zur Hausdurchsuchung vorbeigeschaut. Außerdem soll nach dem Willen der Ermittler noch in dieser Woche die Immunität zweier Kölner SPD-Landtagsabgeordneter wegen falsch ausgestellter Spendenquittungen aufgehoben werden. Wen sollen da die Reformen des Kanzlers noch in Wallung bringen können?

Nein, in Köln gebe es kein Aufbegehren gegen die »Agenda 2010«, gibt sich Ott betont lässig. Natürlich werde auch hier viel diskutiert, aber insgesamt sehe die Basis das Ganze »relativ gelassen« und möchte Schröders Kurs »grundsätzlich unterstützen«. Ott nennt das einen »diskursiven Reformprozess«: »Wir sind uns einig, dass wir Reformen brauchen.« Soziale Einschnitte seien in dieser schwierigen gesellschaftlichen Situation eben notwendig. Was er denn dann von dem Mitgliederbegehren einiger linker Genossen halte? Seine Miene verfinstert sich: »Das ist töricht und dumm.« Ott weiß, was die Parteioberen von einem »Hoffnungsträger« erwarten, der es schon im besten Juso-Alter zu einem Parteiamt gebracht hat.

Die klare Linie hatte Nordrhein-Westfalens SPD-Vorsitzender Harald Schartau in der vergangenen Woche vorgegeben: »Eine Partei, die die Verantwortung für Entscheidungen auf ihre Mitglieder verlagert, ist nicht mehr glaubwürdig.« Die SPD müsse vielmehr »endlich klären, ob sie in schwierigen Zeiten regieren will oder nicht«. Deshalb erwarte er von den Mandatsträgern und Funktionären der Partei »ein klares Bekenntnis«. Denn »wer auf halber Strecke zuckt, will nicht regieren«.

Allerdings haben außerhalb Nordrhein-Westfalens noch nicht alle in der Partei die Zeichen der Zeit erkannt. So trommeln einige bayrische Landespolitiker im Verbund mit den örtlichen Jusos weiterhin eifrig für das Mitgliederbegehren gegen Schröders Agenda und handelten sich dafür ein paar kräftige Ohrfeigen ihrer ehemaligen Landesvorsitzenden ein. »Es ist leider so, dass dort, wo wir lange nicht an der Regierung waren, am lautesten gefragt wird: Was geht uns die Regierungsfähigkeit an«, beschied ihnen die Familienministerin, Renate Schmidt. Sie hingegen würde »lieber zehn Prozent in der Regierung durchsetzen, als 150 Prozent in der Opposition auf dem Papier stehen haben«.

Der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten, Niels Annen, scheint das nicht ganz einsehen zu wollen. Um sich noch rechtzeitig vor dem am 9. Mai beginnenden Juso-Bundeskongress in Bremen in Erinnerung zu bringen, forderte er den Rücktritt von Wolfgang Clement. Mit seinen Reformvorschlägen zum Kündigungsschutz setze Clement »wieder einmal einseitig nur die Interessen der Arbeitgeber durch« und habe »in einer rot-grünen Bundesregierung nichts mehr zu suchen«. In der bei den Jusos üblichen idealistischen Verklärung praktischer sozialdemokratischer Politik bescheinigte Annen dem Minister, er konterkariere »seit Monaten systematisch sozialdemokratische Politik«. Selbstverständlich wies Generalsekretär Olaf Scholz die Vorwürfe umgehend zurück und bezeichnete die Rücktrittsforderung als »abwegig«. Annen wolle sich nur »profilieren«.

Allerdings hielt sich Scholz’ Aufregung über den ungebührlichen Vorstoß des Juso-Vorsitzenden in Grenzen. Schließlich kennt er solches wortreiche wie folgenlose Rebellentum noch allzu gut. Anfang der achtziger Jahre, als der heutige »Juso-Linke« Annen die Grundschule besuchte, war der heutige SPD-Generalsekretär noch Schülerverantwortlicher im Bundesvorstand der Jungsozialisten. Das war in der Zeit, als die Juso-Linken noch »Stamokaps« genannt wurden und Scholz einer der eifrigsten Anhänger der Theorie vom »staatsmonopolistischen Kapitalismus« war. Damals, als er zwar schon so unsympathisch war wie heute, aber seine Lockenpracht noch etwas üppiger war, brachte er so wunderschöne Sätze zu Papier, wie den, »dass die Überwindung der kapitalistischen Ökonomie zu den Zielsetzungen der Sozialdemokratie zählen muss, und dass die Erkenntnis, erst eine sozialistische Welt werde dauerhaft den Frieden garantieren können, noch heute gilt«.

So etwas fließt ihm heute natürlich nicht mehr aus der Feder. Bewahrt hat er sich aus seinen revolutionären Zeiten das: Er ist nicht nur ein lebender Phrasomat geblieben, sondern auch weiterhin das, was der Duden unter einem Apparatschik versteht – ein Funktionär, »der Weisungen und Maßnahmen bürokratisch durchzusetzen sucht«.

Vorwürfe wie der von Reinhold Robbe, dem Sprecher des rechten »Seeheimer Kreises« in der SPD, er habe der Partei Schröders Reformkonzept nicht ausreichend vermitteln können, prallen an Scholz ab. Solche Kritik sei ein Teil des »Berufsrisikos«. »Immer dann, wenn es schwierig wird, gibt es auch Diskussion zu den Personen, die verantwortlich sind. Und wer Generalsekretär der SPD ist, muss in einer solchen Situation damit rechnen, dass so etwas passiert«, verkündete Scholz am Freitag. Fehler in seinem Reformmanagement sehe er deswegen jedoch nicht.

Warum auch? Dass Scholz die aufgeheizte Stimmung an der Parteibasis falsch einschätzte, deswegen zunächst einen Sonderparteitag zur »Agenda 2010« ablehnte und sich dann auch noch von dem Mitgliederbegehren »Wir sind die Partei« kalt erwischen ließ – ein lässlicher Fauxpas. Wenn die SPD an der Regierung war, reichte es seit den Zeiten Helmut Schmidts schließlich stets, wenn der höhere Funktionärsapparat den gewöhnlichen Parteisoldaten nur kräftig den Marsch blies, damit sie strammstanden.

Und so wird es auch auf dem Sonderparteitag am 1. Juni sein. Die so genannte Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion macht jetzt schon Männchen. Die große Mehrheit der Parteilinken wolle an den »Grundlinien der Agenda 2010« festhalten und liege »insofern nicht im Dissens mit dem Kanzler«, verkündete Ende vergangener Woche der Vize-Fraktionsvorsitzende und Sprecher der Linken, Gernot Erler. Es sei »eher eine kleine Gruppe, der grundsätzlich die ganze Richtung nicht passt«. Mehr als ein paar rhetorische Zugeständnisse ist da nicht nötig.

Und geht es nach dem mitgliederstärksten Landesverband der Partei, wird es dabei auch bleiben. Dessen Vorsitzender Schartau hat bereits angekündigt, die nordrhein-westfälischen Genossen würden »mit Argusaugen« darauf achten, dass die »überfälligen Reformen beherzt angepackt« werden. Zum Beispiel: »Ich finde es geradezu mies, einen Arbeitslosen durch fortgesetzte staatliche Zahlungen in seiner Situation zu halten.« Das sei nur »passive Sozialpolitik, die nichts bringt«.