Der linke Rote

ich-ag der woche

Er bleibt immer in der Opposition, auch wenn seine Partei an der Regierung ist. Nur zur Zeit der Kanzlerschaft Willy Brandts und wenig später, als es darum ging, Strauß zu stoppen, war ihm das süße Gefühl vergönnt, die Mehrheit stehe hinter ihm. Doch dann musste er schon wieder mit Helmut Schmidt über den Doppelbeschluss der Nato und über den Sachzwang streiten. Sein Leben währt drei Legislaturperioden, und wenn’s hoch kommt, so sind es vier. Und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist’s Mühe und Arbeit gewesen zum Wohl des Friedens und der Schwachen, und er war stellvertretender Vorsitzender seiner Bundestagsfraktion.

Einmal stürzte er sogar den Parteivorsitzenden mit einer einzigen aufrüttelnden Rede, dann saß er am Kabinettstisch; als er jedoch sah, dass die Partei seinen Empfehlungen nicht folgen wollte, trat er von allen seinen Ämtern zurück. Sie nannte ihn einen Verräter und hat ihm bis heute nicht verziehen.

In diesen Wochen ist oft von ihm die Rede. Aber er hat keine Chance, denn alle sind gegen ihn. Ein Gestriger wird er genannt. Und manchmal, kurz vorm Einschlafen, fragt er sich wohl, ob Stoiber nicht dieselbe Sozialpolitik machen würde, die nun Schröder macht. Kann schon sein, denkt er dann, aber der Friede! Und das Mitgliederbegehren! Jetzt wird der Kanzler mich wenigstens einmal anhören müssen! Ruhigen Gewissens schlummert er ein. Und genauso wird es noch hundert Jahre weitergehen mit ihm, dem linken Sozialdemokraten.

joachim rohloff