Einfach schön

Einige Werke Peter Raackes kennt jeder. Die Arbeiten des Industriedesigners in der Tradition des Bauhauses sind im Technikmuseum zu besichtigen. von ines kappert

Für Leute ohne Geld etwas Schönes zu machen«, erklärt Peter Raacke, »das war für mich immer eine Selbstverständlichkeit.« Geringer Materialaufwand, geringe Produktionskosten, niedriger Verkaufspreis, erklärt er weiter, seien die zentralen Kriterien für sein Design. Ökologische Überlegungen gewannen im Laufe der Zeit an Bedeutung und die Wiederverwertbarkeit der Materialien wurde wichtig. Die in den sechziger Jahren aus Kostengründen erforderliche Sparsamkeit am Material erwies sich dagegen als hinfällig, stattdessen musste die viel teurere Arbeitszeit minimiert werden. Immer aber sollte es »einfach und schön« sein.

Der 1928 geborene Peter Raacke gehört zur ersten Nachkriegsgeneration deutscher Industriedesigner. In der Tradition des Bauhauses stehend prägten sie einen funktionalistischen Stil, der in den Siebzigern synonym für deutsche Gestaltkunst stand: sachlich, praktisch, sparsam, systematisch. Das »German Design« richtete sich gegen eine Kultur des Wegwerfens sowie gegen die Repräsentationsästhetik der Besitzenden. Schnelllebige Luxusgüter galten den Künstlern schlicht als uninteressant. Statt an der hübschen Verpackung bzw. dem »schönen Schein« zur Ankurbelung des Kaufinteresses zu basteln, wollten sie mit einem »Design für alle« die Utopie von Gerechtigkeit und Gleichheit ein wenig voranbringen.

Die 1953 von der Geschwister-Scholl-Stiftung gegründete Hochschule für Gestaltung in Ulm, die »Ulmer Schule«, gilt bis heute als das nach dem Bauhaus international bedeutendste Institut für Design und verband exemplarisch linke Ansätze mit einer funktionalistischen Formensprache. Unter anderem vergab hier die Braun-AG viele Aufträge. Auch Raacke lehrte in Ulm, von 1962 bis kurz vor der Schließung des Instituts durch die baden-württembergische Landesregierung im Jahr 1968.

Die aktuelle Ausstellung im Berliner Technikmuseum zeigt einen Querschnitt durch Raackes Arbeiten, unter besonderer Berücksichtigung der eingesetzten Produktionstechniken sowie seiner rund 30jährigen Lehrtätigkeit an verschiedenen Hochschulen. Zuletzt war er als Professor für Design an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg tätig.

Unter dem Titel »Gestalten für den Gebrauch. 50 Jahre Peter Raacke Design« sind seine Klassiker versammelt: das schlichte Besteck ohne Materialverschnitt »mono-a« (1959), wahlweise aus Edelmetall oder mit farbigem Plastikstiel, der in eine kleine Schlaufe zum Aufhängen ausläuft, der Büroschreibtisch aus lackiertem Metall namens »Attaché« (1960) und die ersten Möbel aus Pappe »Sitz für Besitzlose« (1966/67) samt der Entwurfskizzen. Auch der denkbar schlichte »Revoluzzer-Koffer« aus zwei gleichförmigen, nur spiegelverkehrten bunten Plastikschalen, der ehemals Tapezierwerkzeug beherbergte, aber in den Siebzigern statt des Aktenkoffers auch von Architekten und Managern zwecks Understatement zur Arbeit getragen wurde, ist zu besichtigen. Er steht nicht weit von der Meisterschale des DFB, die Raackes Lehrerin Elisabeth Tresko 1948/49 entwarf und von ihrem damaligen Schüler anfertigen ließ. Denn Raackes Karriere begann mit einer Ausbildung zum Goldschmied.

Auch wer keine Ahnung von Design hat, wird in der Ausstellung einige Exponate wieder erkennen. Das Konzept »Design für alle« scheint aufgegangen. So unterschiedlich die Gegenstände sind, in ihrer strengen Schlichtheit gemäß dem Diktum von Alfred Loos (1908), »Ornament ist vergeudete Arbeitskraft« und insofern ein Verbrechen, gleichen sie einander.

Dass die Serialität und die Schlichtheit nicht immer im Dienste der Revolution, sondern auch im Dienste des kapitalistischen Fortschritts standen, zeigt sich an den bereits erwähnten Schreibtischen. Fasziniert von der neuen Rationalisierungsideologie, erntete Raacke Empörung, als er ein Schubfach für persönliche Dinge durch eine Hängeregistratur ersetzte und in guter Bauhausmanier erklärte, dass ein Schreibtisch schließlich nichts anderes als eine Werkbank sei. Ein Arbeiter würde seine persönlichen Sachen auch in den Spind hängen. Doch Raacke konnte sich nicht durchsetzen und musste bei manchem Schreibtisch das persönliche Schubfach wieder einsetzen lassen.

In seiner Argumentation kommt u.a. die Kritik der Bauhaus-Künstler an der Besserstellung der Angestellten (white collar) gegenüber den Arbeitern (blue collar) als bürgerliches Distinktionsgehabe zum Ausdruck. So progressiv diese Ansicht damals war, übersieht sie doch, dass die Sachlichkeit nicht nur das Ende bürgerlicher Gemütlichkeit, sondern auch die bestmögliche Einsehbarkeit des Arbeitsplatzes befördert. Die Angestellten können rundum kontrolliert werden. Raacke rationalisierte in seinen Entwürfen für ein modernes Großraumbüro der Firma Voko auch die Sichtblenden an den Schreibtischen auf der Höhe der Beine weg. Auch hiermit wird der oder dem Angestellten Rückzugsmöglichkeit genommen. Denn am Ende besteht der Arbeitsplatz aus einer geraden, leicht abwaschbaren Tischplatte mit zwei darunter befestigten Hängeschüben. Passend zu dieser Nüchternheit wurden die Büropflanzen durch pflegeleichte Kakteen und Trockengestecke ersetzt. Auch wenn Raacke heute lächelnd anmerkt, man könne »solche Rationalisierungen auch ›Sparen für die Kapitalisten‹ nennen«, ist er der Meinung, dass den Geistesarbeitern, anders als Fabrikarbeitern, immer noch genügend Entzugsmöglichkeiten zur Verfügung stünden und überhaupt heutzutage dem Persönlichen zu viel Bedeutung beigemessen werde.

Leider kommen in der Ausstellung gerade die für das Design so wichtigen gesellschaftlichen Debatten oder etwaige Gegenkonzepte anderer Strömungen kaum zur Sprache. Die Erklärungen in den einzelnen Räumen sind äußerst knapp und betont einfach gehalten. Der Katalog ist noch nicht fertig und weiteres Informationsmaterial nicht zugänglich.

Wichtiger als die gesellschaftliche Kontextualisierung scheint den AusstellungsmacherInnen etwa die Erklärung, wie Wellpappe hergestellt wird. Während man bei der ebenfalls in der Ausstellung gezeigten »Sendung mit der Maus« lernen soll, wie die Industrie die Pappe macht, kann man an der daneben stehenden Wellblechmaschine selbst ein Stück basteln und mit nach Hause nehmen. Der Versuch, Raacke dem Museumspublikum als Person näher zu bringen, indem eine seiner Hosen aus den Siebzigern – knatschbunt und wie aus dem Zirkus – aufgehängt wird, wirkt eher hilflos als informativ. Vielleicht sollte die Museumspädagogik ein wenig an sich halten und sich bei Ausstellungen, die für »die ganze Familie« geeignet sein sollen, nicht durchgängig an den jüngsten Besuchern orientieren.

Dennoch: Ingesamt gibt die kleine Ausstellung über Raackes Arbeiten auch einen Einblick in die Designerwelt der sechziger und siebziger Jahre. Außerdem – vielleicht aus Versehen – zeigt sie die Nähe der Neuen Sachlichkeit zu sozialistischen Ideen sowie ihre partielle Integration in den Neoliberalismus. Vor allem aber bekommt man Dinge des alltäglichen Gebrauchs zu sehen, die in ihrer Schlichtheit einfach schön sind.

Die Ausstellung ist bis zum 5. Oktober im Deutschen Technikmuseum Berlin, Trebbiner Str. 9, zu sehen (Dienstag bis Freitag 9 bis 17.30 Uhr, am Wochenende 10 bis 18 Uhr).