Folk ohne Volk

Die Diva, Bürgerrechtsaktivistin und Hohepriesterin des Soul, Nina Simone, ist tot. von tobias rapp

Es war eine Aufnahme vom Anfang ihrer Karriere, die Nina Simone gegen Ende ihrer Laufbahn noch einmal ins Bewusstsein des Publikums rufen sollte. 1987 wählte die Modefirma Chanel »My Baby Just Cares For Me«, ursprünglich aufgenommen 1957, als Musik für einen britischen Parfümwerbespot, und für Monate konnte man dem Stück kaum noch entgehen.

Doch auch wenn das weiße Yuppiepublikum, das seine ästhetischen Vorstellungen einer glamourösen Fünfziger-Jahre-Barwelt so perfekt in dem Stück gespiegelt glaubte, das genaue Gegenteil von all dem war, wofür Nina Simone Zeit ihres Lebens kämpfte – »My Baby Just Cares For Me« trägt die ganze Widersprüchlichkeit und Tragik ihrer Karriere in sich. Nina Simone verdiente keinen Cent an ihrem Comeback. Für wenig Geld hatte sie der Plattenfirma damals, zu Beginn ihrer Karriere, die Rechte abgetreten.

Es war ein ungewöhnliches Stück im Repertoire einer schwarzen Jazzsängerin der späten Fünfziger, Frank Sinatra hatte es bekannt gemacht. Es aufzunehmen, zeugte von eigenwilligem Geschmack und dem unbedingten Willen, sich mit der Aufteilung in schwarze und weiße Musik, Jazz und Pop nicht anfreunden zu wollen.

Eunice Waymon, wie sie mit Taufnamen hieß, muss wohl das gewesen sein, was man ein Wunderkind nennt. Ohne das Klavierspiel erlernt zu haben, so geht die Legende, habe sie sich im zarten Alter von drei Jahren an die Tasten gesetzt und »God Be With You Til We Meet Again« geklimpert. Ihre Mutter war Methodistenpredigerin, und mit sechs Jahren begleitete Nina deren Gottesdienste an der Orgel. Mit sieben begann die Gemeinde, ihr den Klavierunterricht zu finanzieren, mit elf Jahren gab sie ihr erstes richtiges Konzert. Die erste schwarze Konzertpianistin wollte sie werden, die Musik von Johann Sebastian Bach habe sie dazu gebracht, ihr Leben der Musik zu widmen, sagte sie später. Ein Stipendium für die New Yorker Juilliard School schien sie in ihren Ambitionen zu bestätigen.

Doch der Traum platzte, als sich das Konservatorium von Philadelphia weigerte, sie anzunehmen – aus rassistischen Gründen, wie zu betonen sie niemals müde werden sollte. Es war eine Zurückweisung, die sie der Welt niemals verzieh, deren Folgen jedoch ihre Karriere begründeten.

Zwar gab sie noch einige Zeit Klavierstunden für weiße Kinder, denen sie aktuelle Musicalmelodien und Frank-Sinatra-Lieder beibrachte. Als sie jedoch erfuhr, dass sie als Barpianistin mehr verdienen konnte, hängte sie den Job als Lehrerin an den Nagel und begann, in einer Hotelbar zu spielen. Als der Manager sie vor die Wahl stellte, entweder zu singen oder sich eine andere Bar zu suchen, begann sie zu singen. Zwischendurch improvisierte sie, fügte klassische Passagen ein. Genau das, wofür sie berühmt werden sollte, nämlich das Sprengen aller Kategorien, wie Duke Ellington einmal bewundernd über sie bemerkte, entstand aus der Not, Geld verdienen zu müssen. Ganz ähnlich verhielt es sich mit der Entscheidung, einen Künstlernamen anzunehmen. Damit ihre Mutter sich ob des unchristlichen Treibens ihrer Tochter nicht schämen musste, legte sie ihren Taufnamen ab und nannte sich fortan Nina Simone, nach der französischen Schauspielerin Simone Signoret.

Sie begann als Jazzsängerin mit einem Millionenhit, »I Loves You, Porgy« aus George Gershwins Musical »Porgy and Bess«. Mit der Kategorisierung als Jazzsängerin konnte sie sich jedoch nie anfreunden, sie glaubte, damit von weißen Jazzkritikern auf ein rassistisches Stereotyp festgelegt zu werden. Sie wurde mit Billie Holiday verglichen, was ihr auch nicht passte. (»Sie war eine Drogenabhängige. Ich war eine Diva«, sagte sie vor einigen Jahren.) Als habe sie den Gästen der Hotelbar, in der ihre Karriere begann, nie verziehen, dass sie ihre Musik für nichts weiter als Hintergrundbeschallung hielten, verachtete sie ihr Publikum, spielte bevorzugt mit dem Rücken zum Saal und brach des öfteren Auftritte ab, wenn sich Leute erdreisteten, während der Musik zu reden.

Als ihr das Dasein als Jazzsängerin nicht mehr reichte, begann sie ihr Repertoire durch Popstücke zu erweitern und sang Stücke von Bob Dylan (»Just Like A Woman«), den Gibb-Brüdern (»To Love Somebody«), von Leonard Cohen (»Suzanne«) und den Beatles (»Here Comes The Sun«) und eine wunderbare Coverversion von »Ain’t Got No / I Got Life« aus dem Musical »Hair«, womit sie ihr Jazzpublikum sehr verstörte. Auch wenn sie jedes Stück so nachhaltig zu ihrem eigenen machte, dass sich viele der Originale heute so anhören, als seien sie die Coverversionen. Sie begann, selbst zu schreiben: »Don’t Let Me Be Misunderstood«, »Backlash Blues«, »Four Women«, »I Wish I Knew How It Feels To Be Free« und 1964 »Mississippi Goddam«, das sie zur Ikone der Bürgerrechtsbewegung werden ließ.

Sie wurde zur »Hohepriesterin des Soul«, wie der Titel eines ihrer großartigen Alben aus den späten Sechzigern lautet. Sie war eine Diva, die manche ihrer Auftritte inszenierte, als betrete eine ägyptische Königin die Bühne. Zwar neigte sie eher dem radikalen Flügel der Black-Power-Bewegung zu, doch sie widmete Martin Luther King das ergreifende »Why? (The King Of Love Is Dead)«, ein Stück, das sie am Tag nach der Ermordung bei einem Konzert zum ersten Mal spielte. Die Aufnahme hat auch fast vierzig Jahre später nichts von ihrer Kraft verloren.

Mit der Krise der Bürgerrechtsbewegung in den frühen Siebzigern, der Repression gegen ihre militanten Teile, der beginnenden Krise des Soul und des Jazz begann auch der Niedergang ihrer Karriere. Dazu kamen private Probleme. Sie ging nach Liberia, was zum einen eine Flucht vor verschiedenen Ehemännern und den amerikanischen Steuerbehörden war, zum anderen ihre Suche nach dem panafrikanischen Traum. Später lebte sie in Barbados, um sich dann in Frankreich niederzulassen.

Tatsächlich hasste sie die USA bis an ihr Lebensende, wenn sie Europa auch nicht für viel besser hielt – der Kontinent war für sie ein Massengrab. Auch der Musikindustrie konnte sie so wenig abgewinnen (»Ausbeuter«) wie der Menschheit im allgemeinen (»dumm«).

Von Frankreich aus begab sie sich ab und zu noch zu bejubelten Auftritten in alle Welt, am Schluss ließ sie sich im Rollstuhl auf die Bühne fahren. Man kann allerdings davon ausgehen, dass auch ihr Lebensabend nicht sonderlich glücklich war. Vor einigen Jahren machte sie noch einmal Schlagzeilen, als sie mit einer Schrotflinte auf spielende Kinder schoss. Doch das Volk, für das sie sang, die immer darauf bestand, eine Folksängerin zu sein, die singt, was die Leute hören wollen und hören sollen, hatte sich längst aufgelöst, wenn es denn außerhalb der Nina-Simone-Konzerte einmal existiert haben sollte.

Nina Simone starb am Montag, dem 21. April, in Carry-le-Rouet in der Nähe von Marseille. Sie wurde 70 Jahre alt.