Let’s rave!

Rock ist ein leeres Ritual, Techno war Befreiung. von hansjörg fröhlich

Als sich Kurt Cobain im April 1994 eine Ladung Schrot in den Kopf schoss, bedeutete dies das Ende einer Zunft, deren Zeit schon lange abgelaufen war. Die junge Generation hatte genug von den ewig leeren Ritualen des Rockismus. Hatte genug von zerstörten Hotelzimmern, inszenierten Drogenskandalen, professionellem Pubertätsgebaren und zweifelhaftem Sozialengagement.

In den Clubs und Szenekneipen tanzten wir zu einer Musik ohne Biografie. Elektronische Musik von Leuten, die sich Namen wie X-press, LFO oder Plastikman gaben, um anonym zu bleiben. So konnte der Genuss dieser Tracks nicht dadurch geschmälert werden, dass sich die Urheber in den Medien zu Deppen machten. Anstatt zu Konzerten gingen wir zu Raves, in deren Mittelpunkt nicht mehr die meist phallischen Inszenierungen der Rockstars standen, sondern wir selbst, das Publikum. In den Plattenläden stritten wir um die letzten Exemplare der Nummer 17 des Labels XY. Die Vinyls waren meist in schwarze Hüllen verpackt. Informationen zum Künstler oder andere Angaben gab es nicht. Ein in die Auslaufrille geritzter Spruch wurde schon als erhöhtes Mitteilungsbedürfnis gewertet. Musik war plötzlich von der Last befreit, Aussagen transportieren zu müssen.

Techno war nicht schwarz oder weiß, repräsentierte weder eine spezifische Sozialisation noch eine Haltung zu gesellschaftlichen Prozessen. Sofern auf den Tracks überhaupt gesungen wurde, waren dies dadaistische Wortcollagen, die entweder überall oder nirgendwo auf der Welt verstanden wurden.

Techno lieferte in den neunziger Jahren lediglich eine Energie, die der Raver in seine individuellen Lebensbezüge einbauen konnte. Ein internationales Modul. Frei von nationalen Attributen schwang sich die elektronische Musik zu einer Lingua franca der Jugend dieser gebeutelten Welt auf.

Als alter Raver muss man jetzt schlucken, wenn einem 20jährige erzählen, die einzig wahre Musik stamme von Led Zeppelin und all die blöden DJs mit ihren Tracks hätten endlich abgedankt. Dass das, wofür man all die Jahre in verrauchten Clubs gefiebert und gekämpft hat, nun irgendwie obsolet sei. Entgeistert stellt man fest, dass die Jüngeren sich jetzt freiwillig in die Fänge des Rock begeben und das ganze Programm der alten Rituale neu beleben.

Erste Vorboten eines Paradigmenwechsels zeichneten sich schon vor zwei, drei Jahren ab, als die norwegische Band Kings of Convenience unter dem Titel »Quiet is the new loud« mit extrem rückwärtsgewandten Balladen Erfolg hatte. Auf antiquarischem Equipment gespielte Jammerlieder schickten eine ganze Generation von Schulabgängern zurück in eine Zeit, als Joan Baez und Bob Dylan noch ein Paar waren. Wer sagt denn, dass man alt und faltig sein muss, um den Blues zu kriegen?

Jetzt sind Bands wie The Strokes, The White Stripes oder The Hives angetreten, das Erbe des Prä- oder auch Post-Punk zu plündern. Mit den alten Ritualen der Grenzüberschreitung – wo längst keine Grenzen mehr sind –, dem Versprechen, die Regierung zu stürzen, oder ganz allgemein der Aussicht auf ein gefährliches Leben, haben sie die »new rock revolution« ausgerufen. Einfache und schnelle Produktion ist ihr Credo, ihre Videos geben sich amateurhaft. Das kommt einer Schallplattenbranche, die sich durch Ideenlosigkeit beim Downloadvertrieb und mangelnder Nachwuchsförderung in die Krise geritten hat, gerade recht. Das millionenfach verkaufte Album »White Blood Cells« der White Stripes wird vom New Music Express bereits als »das profitabelste Album der Musikgeschichte« bezeichnet. Die Studiokosten beliefen sich angeblich auf nur 9 500 Euro.

Legionen von Rockopas werden ihre Chance sehen und mit unsäglichen Comebacksongs den Alltag endgültig unerträglich machen. Und natürlich dürfte sich die Medienbranche darüber freuen, dass es jetzt wieder richtig menschelt. Vorbei sind die Zeiten, als gesichtslose Projekte die oberen Ränge der Charts bevölkerten, von denen es wie bei Daft Punk oder Mr. Oizo nicht mal ein Pressefoto gab. Jetzt gibt es wieder was zu berichten: von untreuen Bassisten, erfolglosen Entzugskuren, zerbrechlichen Künstlernaturen. Und die Alten können diesmal mitreden, denn in ihrer Jugend wurde die gleiche Kost aufgetischt.

Freunde der emanzipierten Musik, Freundinnen des reuelosen Schallgenusses, kommt zur Raison! Warum ohne Not die klangvolle Elektromoderne einer Drei-Akkord-Welt preisgeben? Verteilt Schrotflinten!