Obasanjo hat den Kuchen

Bei den nigerianischen Wahlen sicherte sich Olusegun Obasanjo die Präsidentschaft. Doch die Oppositionsparteien sprechen von Betrug. Das umstrittene Ergebnis könnte die Spaltung des Landes vertiefen. von alex veit
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Wieso nur ein Stück nehmen, wenn man die ganze Torte haben kann? Eine nette Feier sei es gewesen in Aso Rock, dem Sitz des nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanjo, erklärte dessen Sprecher Tunji Oseni nach der Verkündung der Wahlergebnisse. »Der Präsident schnitt, umgeben von all seinen Ministern, einen Siegeskuchen an. Er drückte gegenüber den Ministern seine Dankbarkeit aus und erinnerte sie daran, dass die Wahlen noch nicht vorüber sind. Im Ganzen war die Atmosphäre nicht nur von Glückwünschen, sondern auch vom Gefühl eines hart erkämpften Siegs geprägt.«

In der Tat, der Sieg Obasanjos bei den Präsidentschaftswahlen vor eineinhalb Wochen war eine gewaltige Anstrengung seiner regierenden People‘s Democratic Party (PDP). Knapp 62 Prozent der Stimmen soll der Amtsinhaber dabei gewonnen haben, so die Wahlkommission Inec. Doch wie schon bei den Parlamentswahlen eine Woche zuvor sprachen auch diesmal verschiedene Beobachtergruppen von weit verbreitetem Wahlbetrug. Einige Teilergebnisse, die Obasanjo in mehreren Bundesstaaten über 90 Prozent der Stimmen zusprechen, sind mehr als unglaubwürdig. In seinem Heimatstaat Ogun soll er sogar 99,92 Prozent erhalten haben. In Internetforen tauften einige Nigerianer die Wahl vom 19. April »419-Election«. »419« ist in Nigeria der Name des Betrugs durch märchenhafte Geldversprechen, die per E-Mail verbreitet werden.

Der erste Versuch der Machtübergabe von einer zivilen Regierung zur nächsten seit 20 Jahren hat das Land in eine prekäre Lage gebracht. Die größte Oppositionspartei All Nigerian People‘s Party (ANPP) um den Präsidentschaftskandidaten Muhammadu Buhari erkennt die Ergebnisse nicht an. Die gesamten Polizeikräfte sind ausgerückt, und die Armeeführung soll eine erhöhte Alarmstufe ausgelöst haben. In dieser Situation sollen am Samstag dieser Woche die Wahlen zu den Parlamenten in den Bundesstaaten stattfinden.

Buhari, der laut Inec 32 Prozent der Stimmen gewonnen hat, nannte die Wahl »die betrügerischste seit der nigerianischen Unabhängigkeit«. Der Ex-General putschte 1983 in einer ähnlichen Situation gegen die zivile Regierung, dies war der Auftakt zu 16 Jahren blutiger Militärdiktatur. Kurz vor den jetzigen Präsidentschaftswahlen drohte er im Falle des Betrugs mit unspezifizierten »Massenaktionen«. Am Dienstag nach der Wahl gab Buhari im Hauptquartier der Wahlkommission einen dramatischen Auftritt, indem er die Pressekonferenz der Kommission noch vor der Bekanntgabe der Ergebnisse kaperte und vor den auf die Inec wartenden Medienvertretern von einer »Vergewaltigung der Demokratie« sprach.

Doch während Buhari an diesem Abend einen Boykott des Wahlgangs am Samstag durch die ANPP in Aussicht stellte, hat Tony Momoh, Sprecher der ANPP-Wahlkampagne, die Anhänger seiner Partei inzwischen zur Teilnahme an der Regionalwahl aufgerufen. Außerdem will die Partei nun die umstrittenen Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vor Gericht anfechten.

In der von Paternalismus geprägten nigerianischen Politik sind Wahlen ein Spiel um alles oder nichts. Der Zugang zu den staatlichen Ämtern bedeutet auch Zugriff auf die Gelder aus der Förderung von Erdöl, Nigerias mit Abstand wichtigstem Exportprodukt. Um den Wahlkampf zu finanzieren, müssen Politiker allerdings große Summen aufbringen, und ein Gesetz zur Wahlkampffinanzierung existiert nicht. Die Abstimmung zu verlieren, bedeutet dabei nicht nur für die Politiker einen Verlust. Ganze Communities, etwa die in verschiedenen Großtädten auftretenden Gruppen aus zumeist männlichen Jugendlichen, sogenannte »Area Boys«, unterstützen den Wahlkampf bestimmter Politiker und stimmen en bloc für sie. Im Gegenzug erwarten sie besondere Zuwendungen für ihr Stadtviertel oder ihre Region nach einer gewonnenen Wahl.

Auf dieses Phänomen bezog sich Präsident Obasanjo, als er den Wahlbeobachtern der Europäischen Union vorwarf, sie verstünden die nigerianische demokratische Kultur nicht. »Aus meiner Sicht sind der Demokratie bestimmte Standards gemeinsam. Aber das kulturelle Milieu des Ortes, an dem die Demokratie praktiziert wird, muss auch beachtet werden,« erklärte er vor ausländischen Reportern. »In diesem Land einigen sich bestimmte Gemeinschaften in politischen Fragen. In den meisten europäischen Ländern gibt es diese Art von Kultur wohl nicht.«

Abgesehen von der Frage, welche Auswirkungen das hohe Gewaltpotenzial des Landes auf solche »Gemeinschaften« hat, kritisierten die EU-Wahlbeobachter aber vor allem das »Vollstopfen von Wahlurnen, Fälschen von Ergebnissen und den Diebstahl von Urnen«. Laut EU-Angaben waren von solchen Aktivitäten mindestens elf von 36 Bundesstaaten betroffen. Der vorläufige Bericht vermeidet allerdings klare Aussagen darüber, ob Obasanjo auch ohne die Manipulationen gewonnen hätte, was mehrere Umfragen vor der Wahl nahe legten. Im Gegensatz zu den USA und mehreren afrikanischen Staaten gratulierte die EU Obasanjo bis zum Wochenende nicht.

Andere Beobachtermissionen waren in ihren Aussagen wesentlich vorsichtiger. Die Delegation der Commonwealth-Staaten berichtete ebenfalls von Manipulationen, wertete die mit 17 Toten für nigerianische Verhältnisse aber friedlichen Wahlen genauso wie die Afrikanische Union als Erfolg. Die mit Abstand meisten Beobachter stellte die nigerianische Transition Monitoring Group (TMG), die aus 170 Menschenrechts- und Zivilgesellschaftsgruppen besteht. Nach ihren Angaben fanden die Wahlen zwar in verschiedenen Gebieten nicht statt, so dass die Ergebnisse in einigen Staaten irregulär seien, doch im Allgemeinen sei die Organisation besser geworden. »Der Wahlvorgang war friedlich, aber die Auszählung der Stimmen war besonders im Südosten und im Niger-Delta betrügerisch,« erklärte der Vorsitzende der TMG-Beobachter, Festus Okoye. Am schlimmsten sei die Situation im Bundesstaat Rivers gewesen. »Es gab eine generelle Unsicherheit und Angst, und die Wahlbeteiligung lag zwischen 60 und 70 Prozent. Es ist nicht möglich für die Regierung zu behaupten, sie habe dort mehr als 90 Prozent der Stimmen erhalten.«

Der Gewerkschaftsverband NLC, der ebenfalls einige Wahlbeobachter eingesetzt hatte, mahnte den Verlierer Buhari indirekt, die aufgeladene Stimmung im Land nicht durch Aufrufe zum Protest weiter zu verschärfen. »Im nationalen Interesse appellieren wir an alle Beteiligten, nichts zu tun, dass eine Einladung an antidemokratische Kräfte nahe legen würde, den demokratischen Prozess abzubrechen.«

Buhari, ein aus dem Norden des Landes stammender Muslim, könnte nun versucht sein, die regionale Spaltung des Landes zu vertiefen und den umstrittenen Sieg Obasanjos zu einer Niederlage aller Bewohner des Nordens zu erklären. Doch Obasanjos PDP ist durchaus auch im Norden des Landes populär und hat dort mehrere Gouverneursposten – allerdings unter zum Teil ebenfalls umstrittenen Umständen – für sich gewinnen können. Aufgrund der Wahlgesetze entsprechen die großen Parteien in ihrer Zusammensetzung nicht den ethnischen, regionalen oder religiösen Konfliktlinien des Landes, sondern gleichen temporären Zweckbündnissen, die nach Wahlen vom Zerfall bedroht sind.

Der glückliche Gewinner Obasanjo bezeichnete Buhari derweil als schlechten Verlierer: »Gute Politiker sollten gute Sportsmänner sein, Großmut und Demut im Sieg sowie Galanterie und Charakterstärke in der Niederlage zeigen.« Ob sein Großmut allerdings bedeutet, dass er Buhari ein Stück Torte abgeben wird, blieb bislang unklar.