»Steine schmeißen, das zerreißt mich«

MIA.

MIA. waren im letzten Jahr, als alle erst so richtig anfingen, von einer »Berliner Schule« zu reden, mit ihrem Debütalbum »Hieb & Stichfest« die Sensationsband schlechthin. So sehr das Quintett um die Frontfrau Miez von den einen für ihren rotzig frechen Neo-New Wave geschätzt wird, wird sie allerdings von anderen als Combo gescholten, die hemmungslos dem anhaltenden Achtziger-Jahre-Hype huldigt. Da hilft es auch nichts, dass Miez in jedem zweiten Interview betont, dass sie mit den ewigen Vergleichen mit Ideal nichts anzufangen weiß. Unbestritten ist jedoch, dass MIA. live eine Wucht sind. Andreas Hartmann befragte die Band, wie sie sich kurz vor ihrem Auftritt am 1. Mai um 17 Uhr zum Start der von Kritik & Praxis veranstalteten Berliner Demo fühlt.

Seid ihr überhaupt im Bild über die Grabenkämpfe, die im linksradikalen Spektrum um den 1. Mai ausgefochten werden und in die ihr nun hineingeraten seid? 15-Uhr-Demo der ALB lehnt 18-Uhr-Demo von Kritik&Praxis ab usw.

Miez: Das ist ja alles etwas Gemachtes. Von mir aus mögen sich die Veranstalter in den Haaren liegen, aber ansonsten gehen alle, die am 1. Mai auf die Straße gehen, aus demselben Grund und für dieselbe Sache auf die Straße. Die entscheiden sich nicht für die eine und gegen die andere Demo.

Das denke ich aber schon. Einige Aufrufer der 15-Uhr-Demo haben immerhin angekündigt, die Demo um 18 Uhr anzugreifen, und streuen das Gerücht, ihr, MIA., würdet gar nicht vor der 18-Uhr-Demo auftreten. Es ist durchaus eine Entscheidungsfrage, auf welche Demo ich gehe.

Gunnar: Der 1. Mai ist ein traditioneller Tag der Meinungsäußerung. Ich habe überhaupt keinen Bock, mir von irgendwelchen Antifa-Diktatoren sagen zu lassen, auf welche Demo ich zu gehen habe und dass ich auf der anderen nichts zu suchen habe. Das Ganze macht mich echt wütend.

Miez: Der 1. Mai sollte ein Tag der Einheit sein. In unserer Pressemitteilung lassen wir extra nochmals verkünden, dass unser Konzert keine Veranstaltung gegen die 15-Uhr-Demo ist.

So wird es aber wahrscheinlich aufgefasst werden. Vor allem spielt bei dieser Spaltung natürlich aktuell die Frage zum Irakkrieg eine große Rolle. Ihr werdet nun für die Veranstaltung spielen, die von den anderen als Schaulauf der Bellizisten verurteilt wird.

Miez: Wahrscheinlich, weil wir unter dem Motto »Nie wieder Frieden« spielen. Dabei ist das natürlich eine Provokation, die, so finde ich, eher auslösen soll: »Ich will aber Frieden.« Ich würde es jedenfalls nicht verstehen, wenn wir als Kriegsbefürworter bezeichnet würden.

Vor allem Atari Teenage Riot mussten sich als 1. Mai-Band von manchen Seiten anhören, sie seien auf einem der Wagen eher aus Promotiongründen denn aus echter Überzeugung mitgefahren. Dass sie sogar medienwirksam festgenommen wurden, habe ihre Plattenverkäufe erst so richtig angekurbelt, lautete der Vorwurf. Bei euch gibt es nun das Gerücht, ihr würdet bei eurem 1. Mai-Gig gleichzeitig einen neuen Videoclip drehen.

Miez: Nö, das stimmt überhaupt nicht. Wobei: Sollten wir vielleicht wirklich machen, oder?

Ingo: Letztlich ist natürlich jeder Auftritt irgendwo Promotion.

Miez: Wir spielen, um den 1. Mai zu unterstützen. Wir wollen sagen: »Wir sind genauso hier wie ihr, und wir unterstützen euch mit unseren Mitteln.«

Also habt ihr keine Angst davor, dass Stimmen laut werden, die euch vorwerfen, eine billige PR-Masche angeleiert zu haben?

Gunnar: Gegen eine solche Meinung kann man gar nichts machen.

Miez: Die Leute können gar nicht mehr glauben, dass man auch etwas einfach aus Lust und Spaß an der Sache macht. Ich freu’ mich jedenfalls voll drauf, am 1. Mai zu spielen.

Dieses Misstrauen euch gegenüber hat bestimmt auch etwas mit der Größe zu tun, die ihr inzwischen als Band habt. So etwas ist manchen Underground-Fanatikern nie geheuer.

Miez: Nenn uns doch einfach Institution.

Du nimmst mir das Wort aus dem Mund.

Robert: Wenn wir schon eine Institution sind, sollten wir diesen Status doch dafür nutzen, um für etwas zu spielen, was wir gut finden.

Ich verstehe das ganze Gerangel um den 1. Mai eh überhaupt nicht. Ich höre davon heute zum ersten Mal. Ich selbst bin schon immer am 1. Mai zur Volksbühne gegangen, ohne davor auf irgendwelche Plakate zu schauen.

Habt ihr keine Angst davor, dass es bereits bei eurem Auftritt, also noch vor der eigentlichen Demo, zu Aggressionen kommen könnte, gar zu Steineschmeißereien?

Miez: Da ist viel Platz für Spekulationen. Lasst uns einfach sehen, was passiert. Aber ich glaube nicht, dass so viel passieren wird. Ich habe mir gerade den Rosa-Luxemburg-Platz vor’s geistige Auge geholt, und dort gibt es ja auch gar nicht so viele Steine.

Ihr sagt, euer Medium zum Ausdruck einer Protesthaltung sei Musik. Findet ihr dennoch auch gewalttätige Mittel wie Steineschmeißen legitim?

Miez: Steine zu schmeißen, das zerreißt mich ein wenig. Da stellt sich ja auch immer die Frage: Wer wirft hier eigentlich den ersten Stein? Es wartet letztlich ja jede Seite nur darauf, dass die jeweils andere endlich mit den Aggressionen anfängt. Und für diese gibt es viele ganz unterschiedliche Auslöser. Wenn du so einem gepanzerten Polizisten gegenüberstehst, der nichts Menschliches mehr verkörpert, bei dem du keine Augen mehr siehst, dich ohnmächtig fühlst, wirst du so wütend und schmeißt dann einfach den ersten Stein. Du denkst dir: »Oh Mann, ey, du merkst sowieso nicht, wenn ich einen Stein auf dich werfe. Aber wenn du mich nur leicht schubst, dann tut mir das wirklich weh.«

Aber eigentlich sollte es, wie gesagt, am 1. Mai nicht um das Steineschmeißen gehen, sondern um eine Einigkeit, die uns alle miteinander verbindet. Alle sind wir schließlich gemeinsam für die Revolution.

Auch Nazis wollen am 1. Mai wieder irgendwo herumrennen.

Miez: Das ist wirklich krass, dass auch die NPD gegen den Krieg ist und auf den Antikriegsdemos herumrennt. Das ist, was die Toleranz betrifft, tatsächlich eine Zerreißprobe für jeden.

Andi: Da fängt Toleranz an, da, wo es schwer ist.

Gunnar: Für mich sind Nazis auf einer 1. Mai-Demo völlig unakzeptabel.

Noch kurz zu etwas anderem: Wann erscheint eure neue Platte?

Miez: Wir haben ja gerade erst »Kreisel«, die dritte Single unseres Albums, veröffentlicht. Ein neues Album steht noch nicht an.

In dem Clip zu »Kreisel« gibt es am Ende diese tolle Stelle, wo man dich, Miez, mit vor Vorfreude glühenden Backen Backstage kurz vor dem Auftritt sieht, bevor ihr dann gemeinsam auf der Bühne explodiert. So werden wir euch auch am 1. Mai erleben?

Miez: Genau. Lasst uns das »Kreisel«-Video im Hellen auf der Rasenfläche reproduzieren.

MIA. spielen am 1. Mai um 17 Uhr am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin.