Apokalypse No

Der Irakkrieg ist faktisch beendet. Die düsteren Prophezeiungen der deutschen Kriegsgegner sind nicht eingetreten. Eine Rückschau von peter bierl

Spätestens seit Nostradamus, dem Propheten des Weltuntergangs, gilt: Je zahlreicher und unbestimmter Vorhersagen sind, desto wahrscheinlicher ist, dass irgendeine davon eintrifft. Wie in den achtziger Jahren beschworen viele Kriegsgegner für den Fall eines Krieges gegen den Irak das Eintreten etlicher Übel, ja der Apokalypse. Doch der vorhergesagte Weltuntergang ist ausgeblieben.

Millionen Tote

Der Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim, Erich Schmidt-Eenboom, sprach von mehr als 100 000 Toten, einer halben Million Verletzten und Millionen von Flüchtlingen im Falle eines Irakkrieges. Der CDU-Politiker Willy Wimmer meinte in der Wochenzeitung Freitag, mit 300 000 Toten in den ersten Kriegstagen und fünf Millionen Flüchtlingen sei zu rechnen.

Die Gruppe Linksruck ging in einem Flugblatt von 360 000 Toten aus und stellte fest: »Der Einsatz von Atomwaffen würde Millionen das Leben kosten.« Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter prophezeite, ebenfalls im Freitag, »Hunderttausende von Menschen sollen zur Eroberung des irakischen Öls geopfert werden«.

Eine halbe Million Tote erwartete die Redaktion der Monatszeitung Analyse & Kritik (ak). Der Krieg werde »Opfer in einer Zahl mit sich bringen, die jene des ersten Irakkrieges (mindestens 150 000 Tote) um ein Mehrfaches übersteigen wird«, hieß es im vergangenen Dezember.

Tatsächlich aber wurden diese Zahlen weit unterboten. Bis zum 1. Mai zählte die Gruppe Iraq Bodycount maximal 2 653 tote Zivilisten im Irak. Der Londoner Guardian ging Mitte April von 1 400 toten Zivilisten und 2 320 getöteten irakischen Soldaten aus.

Der Weltenbrand

Der Generalsekretär der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG), Harald M. Bock, prophezeite im Februar: »In wenigen Wochen wird der Irak in einem Flächenbrand verlöschen.« Die DAG, deren Vorsitzender Jürgen W. Möllemann ist, gehört der Initiative gegen das Irak-Embargo an, beteiligte sich an Solidaritätsflügen nach Bagdad und unterstützte den von Friedensgruppen wie dem Bundesausschuss Friedensratschlag oder der DFG/VK veranstalteten Internationalen Irak-Kongress Anfang November 2002 in Berlin, auf dem auch Vertreter des Ba’ath-Regimes auftraten.

Der CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer behauptete vor dem Krieg, der ganze Nahe Osten werde »in einem Abgrund von Hass und Gewalt versinken« und Saddam Hussein werde »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit allen ihm zur Verfügung stehenden Waffen Israel angreifen«. Der Vorstand der IG Metall warnte, der Welt drohe »eine neue Stufe der Eskalation von militärischer Gewalt mit unkalkulierbaren wirtschaftlichen und politischen Risiken und humanitären Katastrophen«.

Horst-Eberhard Richter sah gar »die auf eine Weiterentwicklung von Menschlichkeit gegründete Zivilisation in elementarer Gefahr«. Im Freitag unkte Willy Wimmer: »Man ahnt, dass die Welt, die wir kennen, vielleicht die nächsten 14 Tage nicht überlebt. Ich frage mich zuweilen, ob wir Sarajevo und dem Sommer 1914 näher sind, als uns bewusst ist.« Wolfgang Ullmann, der frühere Abgeordnete der Grünen im Europaparlament, warnte im selben Blatt gar vor der »Inszenierung eines dritten Weltkrieges«.

Robert Kurz, der Nürnberger Prophet des bevorstehenden Zusammenbruchs des Kapitalismus, machte eine neue Qualität in den »Weltordnungskriegen« aus. Erstmals werde offen die großflächige Zerstörung und der massenhafte Tod der Zivilbevölkerung ins Auge gefasst und »das Risiko einer völligen Destabilisierung ausgerechnet der zentralen Ölregion in Kauf genommen«. Kurz diagnostizierte in der Zeitschrift konkret den sinnlosen Amoklauf eines losgelassenen Militärapparates, die »letzte Konsequenz des zerfallenden Konkurrenzsystems«.

Der ewige Krieg

Militärische Sandkastenspiele und gruselige Szenarien sind allemal spannender als Informationen und Analysen. Jürgen Rose, ein Oberstleutnant der Bundeswehr, prophezeite im Freitag unter dem Titel »Häuserkampf und nukleare Glut«, eine »Invasion gegen Bagdad könnte sich für das ›Neue Rom‹ als langwierige, äußerst blutige, enorm kostspielige Angelegenheit erweisen«. Die US-Truppen müssten »mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem verstrahlten und verseuchten Schlachtfeld kämpfen«.

Ein Vertreter der Antiimperialistischen Koordination Wien erklärte, man werde einen »Krieg ohne Skrupel, unter Einsatz aller Massenvernichtungswaffen, taktische Atomwaffen eingeschlossen«, erleben. Obwohl zu keiner Zeit etwas für eine Niederlage der USA sprach, schrieb die Redaktion von ak am 17. April auf der Titelseite: »Was zunächst unwahrscheinlich schien, ist jetzt Realität: Die USA haben im Irak gesiegt.«

Im Interview mit der jungen Welt hatte zuvor der Journalist Peter Scholl-Latour den Angriffstermin bestimmt. Der US-Präsident werde nicht auf den UN-Sicherheitsrat, sondern nur auf das Klima Rücksicht nehmen und bis Anfang März losschlagen: »Später wird es zu heiß in der Region.« Scholl-Latour, der »Derwisch aller Talkshows«, wie er sich selbst bezeichnet, sagte im Rheinischen Merkur »eine Verewigung des Krieges« voraus, einen Häuser- und Partisanenkrieg. »Bagdad wird dann natürlich das dicke Ende sein.« Die Zeitung titelte dazu: »Amerika sitzt in der Falle.«

Wie die Amerikaner auf jeden Fall zu schlagen sind, erklärte der frühere Fremdenlegionär der jungen Welt. Frankreich und Deutschland sollten sich zusammentun. »Und dann müssen diese beiden aufrüsten«, auch mit Atomwaffen, schlug Scholl-Latour vor. Der Sozialdemokrat Günter Gaus hingegen klagte wie so viele, dieser Präventivkrieg bedeute einen Rückfall hinter das Jahr 1648, als nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges das Prinzip der unverletztlichen staatlichen Souveränität anerkannt wurde.

Und vor allem fürchteten viele Kriegsgegner die Auswirkung auf den palästinensisch-israelischen Konflikt. »Mit einem eventuellen Irakkrieg wächst auch die Gefahr, dass die Sharon-Regierung nicht nur – wie angekündigt – die derzeitige Abriegelung der Palästinenser-Gebiete noch weiter perfektioniert, sondern auch den so genannten Transfer einleitet«, meinte Rainer Rupp in der jungen Welt. Seine These von der bevorstehenden Vertreibung der Palästinenser nach Jordanien legte Rupp auch auf der Internetseite des Friedensforums Duisburg dar. Der Titel dort: »Sharons Endlösung«.

Die Demokratisierung

Erfindungsreich zeigten sich jedoch auch so manche Antideutsche. Die Redaktion der Bahamas schien besser informiert als die CIA und schrieb vom »Milzbrandonkel Saddam«. Vorhersagen, die Lage im Iran und im Irak sei mit den letzten Tagen des Ancien Regime zu vergleichen, wie sie auch in der Jungle World zu lesen waren, oder im Irak werde sich ein bürgerlich-demokratisches und föderales System etablieren, erscheinen weiterhin kühn und harren ihres Eintreffens.