»Die Nato hat
keine Zukunft«

Ein Gespräch mit manfred messerschmidt, dem ehemaligen Leiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg, über den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee

Viele sagen, die traditionelle Sicht auf Kriege habe ausgedient. Stattdessen prägt das Schlagwort von den »asymmetrischen Bedrohungen« wie al-Qaida die Debatte. Was ist dran an dieser These?

Diese amerikanische Perspektive gleicht nicht unbedingt der europäischen. Die Amerikaner wollen uns gerne asymmetrische Bedrohungen als ein globales Problem verkaufen. Sie sind aber ein amerikanisches und wurzeln in der amerikanischen Weltpolitik. Die USA sind überall präsent, gerade militärisch. Wo Sie hinschauen, sehen Sie amerikanische Militärbasen, und häufig unterstützen sie dadurch Regime, die von der allgemeinen Stimmung im Lande nicht unterstützt werden.

Können die Amerikaner diese Stellung mit ihrer High-Tech-Armee aufrechterhalten, auch gegen internationalen Widerstand?

Auf eine gewisse Zeit sicher, allerdings unter enormen Anstrengungen und Kosten. Im Moment wird die militärische Überlegenheit der Amerikaner über jeden Gegner zu einem asymmetrischen Krieg führen. Das kann sich ändern.

Schon im Krieg gegen den Irak mussten die USA einen gewaltigen Apparat auffahren. Was geschieht, wenn sie mit stärkeren Gegner konfrontiert sind?

Ich sehe in der Zukunft als einen möglichen gleichgewichtigen Gegner nur China. Die amerikanische Politik, auch im Irak, hat damit zu tun, diesen Rivalen auszuschalten. Das ist nicht nur eine Politik um Öl. Es geht um geopolitische, geomilitärische Positionen. Nach dem Irak bilden nur noch Iran und Syrien weiße Flecken, den übrigen Nahen und Mittleren Osten kontrollieren die USA ja bereits. Ihre enge Verbindung mit der Türkei bedeutet Einfluss auf die zentralasiatischen Staaten. US-Soldaten stehen in Tadschikistan und Usbekistan und so weiter, bis an die Grenzen Chinas. Darüber sprechen die USA nie, stattdessen über das »Böse«. Das ist absurd. Dieses angebliche »Böse« richtet sich im Grunde auch nicht gegen die ganze Welt, sondern gegen Amerika.

Wie lange werden die Amerikaner ihre Überlegenheit aufrechterhalten können?

Die nächsten zehn Jahre wird ihnen das gelingen. Ich hoffe nur, dass sich in der amerikanischen Innenpolitik allmählich die Auffassung durchsetzt, dass hier nicht gegen das Böse gekämpft wird, sondern für partikulare Interessen innerhalb Amerikas. Ob die gesamte amerikanische Gesellschaft bereit ist, das unbegrenzt mitzutragen? In zehn Jahren kann sich vieles ändern.

Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg wollen eine gemeinsame Verteidigungspolitik entwickeln, im Sommer soll eine europäische Eingreiftruppe von 60 000 Soldaten antreten. Gibt es in der Militärgeschichte Beispiele für eine gemeinsame Armee verschiedener Staaten?

Das ist etwas Neues, zumal für Europa.

Wie realistisch ist es, dass eine europäische Armee entsteht? Bislang gibt es keine gemeinschaftliche Kommandostruktur.

Das ist keine große Schwierigkeit, eine gemeinsame Kommandostruktur hatte ja schon die Nato, unter amerikanischem Oberbefehl, auch für Europa. Und das müsste die Konsequenz des politischen Zusammenwachsens Europas sein. Wenn die gemeinsame Außenpolitik durchsetzungsfähig sein soll, müsste sie auch eine gemeinsame Streitkraft besitzen.

Kann sich die EU finanziell überhaupt eine Armee leisten, die in etwa die Größenordung der USA erreicht?

Das werden sie wahrscheinlich nicht schaffen, das ist aber auch nicht notwendig. Die Militärausgaben, die jetzt jedes europäische Land für sich bestreitet, könnten zusammengelegt und für eine gemeinsame Streitmacht investiert werden. Diese finanziellen Mittel würden ausreichen. Wir brauchen keine riesige Streitmacht wie die Amerikaner, die wirklich Krieg führen wollen. Europa würde zum Beispiel keinen Krieg gegen den Irak führen. Die Vorstellung, dass ein Staat das Böse repräsentiert und deshalb bekämpft werden muss, ist eine amerikanische und keine europäische.

Die Europäer verfolgen mit ihrer Armee also ganz andere Zwecke als die Amerikaner?

Es ist zu hoffen, dass diese Armee streng nach den Grundsätzen der Uno, nach den Grundsätzen des gegebenen Völkerrechts handelt und nicht im Interesse der amerikanischen Weltpolitik. Wenn Verteidigungsminister Peter Struck sagt, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, dann halte ich das für absoluten Blödsinn. Afghanistan hat niemals Deutschland oder irgendein anderes europäisches Land bedroht.

Die Europäer – wobei jetzt Spanien und England beiseite getreten sind – halten sich an die Regel, wonach kein Angriffskrieg gegen einen Staat geführt werden darf. Wenn aber Hilferufe kommen aus nachkolonialen Gesellschaften in Afrika oder Südostasien, wenn Regierungen Aufstände nicht unter Kontrolle bekommen, ginge es um ein vernünftiges Ziel für eine Streitmacht. Die US-Armee und die CIA haben in Südamerika meistens Diktatoren beschützt und nicht die Gesellschaft. Das wäre niemals das Ziel einer europäischen Armee.

Welche Zukunft sehen Sie für die Nato? Hat sie überhaupt noch eine?

Nein, die Nato hat keine Zukunft. Ich denke, dass die Europäer ihre Verteidigung selbst leisten und auch selbst entscheiden können, an welcher Konfliktlösung sie sich beteiligen. Die Nato war der westliche Reflex auf den Kalten Krieg, auf die vermeintliche Bedrohung. Man hat ja immer behauptet, es könnte einen Angriff des Ostens geben. Die Amerikaner meinen, sie brauchen die Nato nicht mehr. Sie benutzen das Bündnis nur als Hilfskonstruktion für ihre eigene Politik. Die machen die Nato im Grunde kaputt.

Die äußere Bedrohung hat seit dem Ende der Blockkonfrontation ab-, die Konflikte zwischen einigen europäischen Ländern und den USA haben zugenommen. Droht ein neuer Kalter Krieg zwischen ehemaligen Bündnispartnern?

Das glaube ich nicht. Es kann sogar sein, dass mehr Respekt erzeugt wird, dass ein starkes Europa als Handelspartner auch für die Vereinigten Staaten interessanter wird. Es kann psychologische Verstimmungen geben, die eine gewissen Zeit lang dauern, aber keine politische Feindschaft.