Erst kommt Blix,
dann Krieg

Die Suche nach irakischen Massenvernichtungswaffen blieb auch nach dem Sturz Saddam Husseins erfolglos. Die Uno fürchtet, das Vorgehen der USA könne künftige Waffeninspektionen gefährden. von martin schwarz, wien

Immer wieder Tuwaitha. Der New York Times war es eine prominente Platzierung wert, als US-amerikanische Waffenexperten am vergangenen Wochenende die für die US-Regierung freudige Kunde verbreiteten, in dem Nuklearforschungszentrum seien »radioaktive Materialien« gefunden worden. Es sei der »größte Fund radioaktiven Materials, der jemals im Irak gemacht wurde«, frohlockte Commander David Beckett, der Leiter jener Truppe, die der Bush-Administration endlich jenen Fund liefern soll, der ein für allemal die Furcht des Weißen Hauses vor der Bedrohung durch das Regime Saddam Husseins bestätigt.

Doch auch dieser letzte »größte Fund« ist nicht unbedingt eine Premiere. In Tuwaitha werden ständig radioaktive Materialien entdeckt. In der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien langweilt man sich inzwischen angesichts der Mitteilsamkeit der Amerikaner. »Das ist eine Anlage, die von der irakischen Regierung offiziell als Nuklearforschungszentrum deklariert wurde. Wenn die Amerikaner dort radioaktive Materialien finden und dauernd überrascht tun, ist das in etwa so, als würden Sie zu McDonald’s gehen und furchtbar erstaunt sein, dort Hamburger vorzufinden«, sagt ein hochrangiger Diplomat der UN-Behörde in Wien im Gespräch mit der Jungle World. Tuwaitha sei jene Anlage, die von den Inspektoren der IAEA in den letzten Monaten am häufigsten inspiziert wurde. »Hätten die Amerikaner auch nur einen unserer Berichte richtig gelesen, hätten sie das auch herausbekommen können.«

Nicht nur im UN-Zentrum in Wien macht man sich lustig über die bislang vollkommen erfolglose Suche der Amerikaner und ihrer Verbündeten nach jenen Massenvernichtungswaffen des Irak, die als Kriegsgrund herhalten mussten. Selbst der russische Präsident Wladimir Putin stellte in der vorletzten Woche in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem entsetzten britischen Premier Tony Blair Vermutungen darüber an, was mit Saddam Hussein selbst und seinem angeblich todbringenden Material passiert sein könnte: »Wahrscheinlich hockt Saddam Hussein mit seinem ganzen Arsenal in einem unterirdischen Bunker und wartet darauf, in letzter Minute sich und all seine Massenvernichtungswaffen in die Luft zu sprengen.« Ein neuer Tiefpunkt in den britisch-russischen Beziehungen war erreicht.

Gerade für Tony Blair ist es von größter Bedeutung, dass doch noch irakische Massenvernichtungswaffen gefunden werden. Denn im Gegensatz zum amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der in der Irakfrage bislang keine ernsthaften Probleme mit dem Kongress hatte, muss Blair sich vor dem Parlament verantworten. In den Monaten vor dem Krieg konzentrierte er seine ganze Argumentation auf die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen, während sein amerikanischer Freund Bush den größten Wert gerade in der Endphase der Waffeninspektionen auf die Befreiung des irakischen Volkes legte. »Wenn es keine Massenvernichtungswaffen im Irak gibt, dann hat Tony Blair das britische Parlament irregeführt«, sagt der ehemalige Verteidigungsminister Peter Kilfoyle.

Es wäre nicht das einzige Gremium, das die Staatsmänner ausgetrickst hätten. Vor allem die Inspektoren der Unmovic und der IAEA hatten unter der amerikanischen Umtriebigkeit zu leiden, die sie immer wieder auf falsche Fährten lockte. So berichtete US-Außenminister Colin Powell bei seiner berüchtigten Präsentation der angeblichen irakischen Arsenale am 5. Februar vor dem UN-Sicherheitsrat in New York von Dekontaminationsfahrzeugen, die von der irakischen Führung dazu benutzt werden könnten, die eigenen Truppen nach einem Giftgasangriff von den tödlichen Substanzen zu reinigen. Doch als sich die Unmovic-Inspektoren um den Hinweis der Amerikaner kümmerten und die Lastwagen fanden, war das Erstaunen groß. »Es waren Feuerwehrfahrzeuge«, so der norwegische Waffeninspektor Jörn Siljeholm.

Kühne Interpretationen wie eben diese Deklarationen von Feuerwehrfahrzeugen als mobile Entseuchungsstationen oder die Präsentation glatter Fälschungen wie jener Dokumente, die beweisen sollten, dass der Irak im Niger waffenfähiges Nuklearmaterial bestellt hatte, waren im Wesentlichen die Basis der Verdächtigungen. Dabei dürften auch die Geheimdienste der USA und Großbritanniens mit ihrem Zweifel an der Echtheit plötzlich aufgetauchter Dokumente nicht bis zu ihren Regierungen durchgedrungen sein. »Man hat sich im Weißen Haus und in Downing Street Nr. 10 vor allem auf die Informationen von Überläufern im Irak gestützt und Bedenken der Geheimdienste weggewischt«, sagt ein britischer Geheimdienstexperte der Jungle World.

Auch die Berichte der UN-Inspektoren, die in den Monaten vor dem Krieg zwar immer wieder Probleme bei der Kooperation mit den Irakern feststellten, jedoch keinerlei Hinweise auf das tödliche Arsenal Saddam Husseins enthielten, konnten die USA und Großbritannien nicht zufrieden stellen. Ganz im Gegenteil, der Überbringer der schlechten Nachricht wurde verantwortlich gemacht. »Die Bush-Administration war entsetzt über unsere Präsentationen«, sagt ein IAEA-Beamter in Wien, »weil wir sämtliche ihrer Vorwürfe zumindest im nuklearen Bereich schlicht abgeschossen haben.« Jetzt sei das Verhältnis zwischen der Unmovic und der IAEA einerseits und Washington andererseits schwer gestört. »Generaldirektor El Baradei ist, gelinde gesagt, stocksauer.«

Bei seinem Treffen mit dem australischen Premierminister John Howard in Texas forderte US-Präsident George W. Bush nun abermals Geduld, bis Saddams Arsenal endlich doch noch entdeckt werde. Im Irak, so die geographisch einwandfreie Argumentation des Weltbürgers Bush, gebe es »Tunnel, Höhlen, alle Arten von Komplexen«. Der Analyse der topographischen Eigenarten des Landes folgte die logische Schlussfolgerung, dass man die Massenvernichtungswaffen finden werde. »Es ist nur eine Frage der Zeit.«

Innerhalb seiner Regierung spekuliert man mittlerweile, dass es ein Jahr dauern könne, bis die US-Inspektoren endlich den entscheidenden Fund machen. »Wir wären schneller gewesen. Die USA haben ja argumentiert, dass jene drei Monate, die Hans Blix bis zur Vollendung seiner Mission veranschlagt hat, zu viel seien. Jetzt brauchen sie selber noch viel länger«, feixt ein ehemaliger UN-Inspektor.

Was im Irak schief gegangen ist, könnte nun auch schwerwiegende Auswirkungen auf andere Missionen von Waffeninspektoren haben. In Wien befürchtet man mittlerweile eine vollkommene Marginalisierung der UN-Kontrollen und eine Beschleunigung der nuklearen Proliferation. »Es gibt Staaten, die denken, dass sie nur durch den Besitz von Nuklearwaffen vor einem Angriff der USA gefeit sind. Nordkorea ist ein schönes Beispiel dafür. Also werden in der Zukunft viele Staaten versuchen, sich möglichst viel Nukleartechnologie zu besorgen«, urteilt ein UN-Experte.

Er füchtet, dass andere Regierungen das Vorgehen gegen Saddam Hussein als Modell für zukünftige Interventionen ansehen: »Einige Staaten werden aus dem, was im Irak passiert ist, ihre Schlüsse ziehen und Waffeninspektoren nicht ins Land lassen, weil sie ihnen ohnehin nur als Vorhut einer US-Invasion gelten. Zuerst kommen die Inspektoren, dann der Krieg.« Syrien hat mittlerweile Waffeninspektionen der Uno abgelehnt.