Guido kämpft
für dich

Nicht nur die Linken demonstrierten am 1. Mai in Berlin. Auch die FDP rief zu einer Kundgebung auf. Ihre Kampagne gegen die Gewerkschaften geht weiter. von alexander wriedt

Als die Gewerkschaften zu Protesten gegen die Reformpläne der Bundesregierung aufriefen, platzte ihm der Kragen. »Eine Kaste von Unbelehrbaren hat die Interessen der Arbeiter längst verraten«, schimpfte der FDP-Vorsitzende, Guido Westerwelle, und beschloss, am 1. Mai etwas dagegen zu unternehmen. Sein 1. Mai sollte eine »liberale Kampfansage« werden, denn, das hatte er von den Linken gelernt, ohne Kampf lässt sich dieser Feiertag nicht angemessen begehen. Guido Westerwelle rief deshalb seine Anhänger zu einer Kundgebung auf.

Tatsächlich versammeln sich an diesem Tag um 12.30 Uhr etwa 700 Liberale vor dem Thomas-Dehler-Haus in Berlin-Mitte, um für »blau-gelbe Vernunft gegen rote Fahnen des Klassenkampfes« zu demonstrieren. Statt Fahnen haben einige von ihnen blau-gelbe Regenschirme mitgebracht. »Wir sind die Zukunft«, steht auf den Plastikkarten, die den zumeist 40- bis 50jährigen wie Backstage-Pässe um die Hälse hängen. Vor der Mensa der Medizinischen Fakultät schmiert Westerwelle mit einem Besen Tapetenkleister auf ein Plakat, das eine rote Ampel mit der Aufschrift »DGB« zeigt. »Alle Räder stehen still, wenn der DGB es will«, ruft er in das Mikrofon.

Während sich in Kreuzberg die ersten Demonstranten unter den Augen tausender Polizisten in Kampfmontur versammeln und im hessischen Neu-Anspach Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gegen die Pfiffe und Buhrufe aufgebrachter Gewerkschafter anschreit, spazieren die Liberalen still und unbeobachtet zum Reichstag. Doch so harmlos wie der Spaziergang sind die Vorstellungen der Freidemokraten nicht.

Seit Jahren fordern sie Deregulierung, Flexibilisierung und mehr Eigenverantwortung. Alles, was die Bundesregierung und die von ihr eingesetzten Kommissionen vorschlagen, geht ihnen nicht weit genug. In dem Bericht der Hartz-Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes finden die Liberalen nur »wenige vernünftige Vorschläge«. Denn es bedürfe einer viel umfassenderen Deregulierung des Arbeitsmarktes. Dabei würden schon die von Schröder angekündigten Maßnahmen, die hinter den Hartz-Vorschlägen zurückbleiben, enorme Leistungskürzungen für Arbeitslose bedeuten.

Schröder plant die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe ab 2004, auf einer Höhe, die »in der Regel dem Niveau der Sozialhilfe entspricht«; die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds soll für alle, die jünger sind als 55 Jahre, auf zwölf, für Ältere auf 18 Monate begrenzt werden. Der Kündigungsschutz in Kleinbetrieben soll »besser handhabbar« werden, etwa bei der Sozialauswahl und bei Abfindungsregeln. Existenzgründer sollen zeitlich begrenzte Arbeitsverträge bei Neueinstellungen von bisher zwei auf vier Jahre ausdehnen dürfen.

Das reicht den Liberalen nicht, denn das schaffe noch keine Arbeitsplätze. Allerdings sind für sie Leistungskürzungen eine notwendige Voraussetzung für Reformen. Doch findet ein arbeitsloser Informatiker, der älter ist als 55 Jahre, leichter einen Job, weil der Staat ihm die Unterstützung streicht? Stellt ein Jungunternehmer mehr Personal ein, weil er die Arbeitsverträge auf vier statt auf zwei Jahre begrenzen kann? Während es für den Informatiker schlichtweg keine Jobs gibt, plagen den Jungunternehmer am meisten die fehlenden Aufträge.

Allenthalben setzt sich der Glaube durch, dass Reformen und Leistungskürzungen untrennbar miteinander verbunden seien. Wenn selbst ein sozialdemokratischer Bundeskanzler keinen anderen Ausweg als den der Leistungskürzungen sieht, werden die Forderungen der Liberalen nach scharfen Kürzungen im sozialen Bereich verständlicherweise immer populärer. Am liebsten würden die Liberalen den gesamten Sozialstaat entsorgen. Und deshalb greifen sie dessen vermeintlich machtvollen Verfechter an, die Gewerkschaften und ihre Führung.

Die Gewerkschaften sind für Westerwelle eine »Plage«, und diese soll beseitigt werden, indem man gemeinsam mit den Arbeitgebern zwei wichtige Grundlagen angreift: den Flächentarifvertrag und den Kündigungsschutz. Der Hauptvorwurf lautet immer wieder, der Flächentarif sei zu unflexibel. Dabei sind jetzt schon 60 Prozent aller rund 55 000 Tarifverträge individuelle Firmentarifverträge, etwa zwei Drittel aller Unternehmen in den neuen Bundesländern haben spezielle Vereinbarungen mit den Gewerkschaften getroffen.

Zahlreiche Klauseln ermöglichen zudem Sondervereinbarungen etwa für sanierungsbedürftige Unternehmen. Die FDP fordert nun, falls sich 75 Prozent der Mitarbeiter eines Unternehmens auf eine individuelle Regelung mit der Geschäftsführung einigten, müsse diese gelten, unabhängig davon, was die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen erstritten haben. Die Möglichkeit der Gewerkschaften, mit den Arbeitgebern über Löhne, Gehälter und Arbeitsbedingungen zu verhandeln, wäre dahin.

Dabei wurde bis vor kurzem noch die so genannte Sozialpartnerschaft gerade von den Unternehmern gelobt. »Dieses System erleichtert den Arbeitsplatzabbau deutlich«, schwärmte Stuart Walker, der Chef des britischen Bauzulieferers RMC im Jahr 1998. Das Unternehmen hatte in den neuen Bundesländern mehrere Betriebe gekauft und musste von 3 200 Stellen 2 000 streichen.

Erst die »konstruktive Zusammenarbeit« von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ermöglicht oftmals die erfolgreiche Sanierung von Unternehmen. Eine Kommission, die 1998 im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung und der Hanns-Böckler-Stiftung die betriebliche Mitbestimmung untersuchte, kam zu demselben Ergebnis. »Ich habe mich vom Saulus zum Paulus gewandelt«, gab Dieter Kirchner, damals noch Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und Mitglied der Kommission im Handelsblatt, zu. Selbst der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte damals: »Die Tarifpolitik ist die treibende Reformkraft in Deutschland.«

Ähnliches gilt für den Kündigungsschutz. Als Ende der neunziger Jahre in der aufstrebenden Branche der New Economy IT-Spezialisten, Webdesigner und Marketingleute gesucht wurden, spielte der Kündigungsschutz keine Rolle. Als ein paar Jahre später dieselben Unternehmen Pleite gingen oder um den Preis von Entlassungen saniert werden mussten, stand der Kündigungsschutz wieder niemandem im Wege.

Vergessen sind mittlerweile die Massenentlassungen in den neunziger Jahren, als jeder fünfte Industriearbeitsplatz wegfiel. Beim Autozulieferer Bosch verloren von 1990 bis 1996 mehr als 27 000 von 118 000 Menschen ihren Job. Der Elektronikkonzern Siemens strich bis 1997 rund 56 000 Stellen. Beim Autokonzern Daimler-Benz mussten 78 000 Mitarbeiter trotz des Kündigungsschutzes gehen.

Warum also jetzt der koordinierte Angriff? So wie der Flächentarifvertrag die Macht der Gewerkschaften sichert, so sichert der Kündigungsschutz den Arbeitnehmern ihre Rechte. Denn wer wagt es noch, sich beim Betriebsrat über unverschämte Vorgesetzte, den Verstoß gegen Arbeitsschutzbestimmungen oder unbezahlte Überstunden zu beschweren, wenn er ohne Begründung gefeuert werden kann? Liberale und Arbeitgeber wittern jetzt ihre Chance, die Gewerkschaften samt den Rechten der Lohnabhängigen ein für allemal loszuwerden. Guido Westerwelle sagt es offen: »Die Gewerkschaften müssen entmachtet werden.« Er meint es ernst.