Her mit der großen
Ich-Reform!

»Die Wutprobe« erzählt von der Zurichtung des Ichs für den Arbeitsmarkt. von jürgen kiontke

Es gibt Typen, die richten ihre Aggressionen nach innen, und welche, die sie nach außen richten«, erklärt der Aggressionstherapeut Buddy Rydell (Jack Nicholson) seinem neuen Patienten Dave Buznik (Adam Sandler) in Robert Segals Film »Die Wutprobe«. Buznik gehört zur unauffälligeren Sorte: »Sie richten sie nach innen.«

Das Urteil ist gefällt. Leute wie Buznik bekommen Ärger.Der Geschäftsmann ist introvertiert, still, zurückhaltend; er vermeidet Gefühlsäußerungen in der Öffentlichkeit und hält Frauen die Tür auf – aber das sind heutzutage keine Tugenden mehr. Ohne offensives Management des Selbst hat man keine Chance mehr, sagt uns der Film, der im Original den eindeutigeren Titel »Anger Management« trägt. Ja, selbst den Ärger, das Ziellose, das Unbewusste, kann man managen, dosieren, zentrieren, und so gerät das eigentlich Intime, das Innenleben des Menschen zum Witzreservoir; der Seelenhaushalt, ja auch er muss saniert werden. Her mit der großen Ich-Reform!

Weil er während eines Flugs in eine Schlägerei verwickelt wurde und von dem durch aufwändige Sicherheitsvorkehrungen nervös gewordenen Personals für den Initiator der Klopperei gehalten wurde, verurteilt ihn eine rigide Richterin zur Teilnahme am Anti-Wut-Training. Damit er elementare zivilisatorische Regeln erlernt, verknackt sie ihn zu einer Therapie bei eben jenem Mann, der im Flugzeug neben ihm saß und den Buznik als den eigentlich Schuldigen an dem Tumult ausgemacht hat. Alles Jammern hilft dem überangepassten Nerd nicht – er landet in der Gruppensitzung. Und was dort passiert, lässt sich leicht absehen. Rydell setzt auf konfrontative Verhaltenstherapie: Seinen jungen, sozialphobischen Patienten bringt er in absurde Situationen – im Berufsverkehr zwingt er ihn, den Wagen anzuhalten und die »West Side Story«-Hymne »I feel pretty« zu singen. Er zieht nicht nur bei ihm ein, sondern teilt auch noch das Bett mit ihm – um ihm eine Auseinandersetzung mit seinen Gefühlen zu ermöglichen. Wo Es ist, soll Ich werden, und das ist dann ein gut dosiertes, zentriertes Ich. Aggressionen, so lehrt der Therapeut, sind nichts Schlechtes, sie müssen aber ihren richtigen Platz finden.

Zunächst muss der eigentliche Gegner besiegt werden, derjenige, der Buznick sein Kindheitstrauma zugefügt hat: Ein Straßenschlägerkid hatte ihm beim ersten Kuss mit der Angebeteten die Hose heruntergezogen. Heute lebt der Schläger von damals gewaltfrei in einem buddhistischen Kloster und kriegt die Fresse poliert.

Auf diese und ähnliche Touren erlernt Buznik neue Verhaltensweisen und ist schließlich sogar imstande, seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen. So weit, so schön.

Buznik ist nicht wahnsinnig, sondern leidet nur unter einer kognitiven Störung, die ihm das Leben allerdings auch einigermaßen vermiest. »Die Wutprobe« folgt einem zur Zeit populären Muster bei der filmischen Darstellung von psychischen Störungen, die zum Motiv eines Entwicklungsromans werden, ähnlich etwa der Schizophrenenfilm »A Beautiful Mind«. Auch hier sah man dem Helden dabei zu, wie er mit seinen »Begleitern« – bedrohlichen Angstzuständen und Persönlichkeitsstörungen – umzugehen lernte: Das Bedrohungspotenzial wird identifiziert, hervorgeholt, betrachtet und anschließend wieder ins Ich integriert. Der Job des Therapeuten ist die Versöhnung des Menschen mit der Welt, und dieser Vorgang nimmt zuweilen quasireligiöse Züge an: Die Welt ist, wie man sie glaubt. Buznik erfährt seine Heilung als eine Initiation, denn der Ort des Heiratsantrags ist ein voll besetztes Football-Stadion, das Medium der Übermittlung das Mikro des Stadionsprechers. So problemlos können Gesellschaft und Einzelner also mit einander umgehen.

Der Film folgt einem hoffnungsfrohen Muster: Stelle dich deinen Ängsten, und du kannst sie bewältigen. Die dahinter stehende Gesellschaftstheorie ist hingegen weniger bunt. Buznik ist, ähnlich wie Kafkas K., der voll funktionsfähige Angestellte ohne Selbstbewusstsein. Die Vorstellung, dass man mit sich selbst im Reinen zu sein hat, um beruflich verlangte Individualität und Selbstsicherheit an den Tag legen zu können und letztlich den Job noch viel besser machen zu können, drängt die Therapie in die Rolle jener Instanz, die dieses Funktionieren garantieren soll. Am Ende steht das Glück der Emanzipation von den eigenen Zwängen, andere Zwänge gibt es nicht, so einfach geht das. Dabei ist der Zusammenhang zwischen Wahnsinn und Komödie augenscheinlich. Filme wie der Therapiestreifen »Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit« haben den Zusammenhang von Lachen und Befreiung in den Vordergrund gestellt. Und deshalb kann sich dem Charme der Therapie und des Therapiefilms niemand entziehen: Wenn ich das Zentrum des Handelns bin, befreie ich mich; wer sich von sich selbst emanzipiert, sagt uns Sigmund Freud durch Jack Nicholson, kann angstfrei leben.

Nach den literarischen und filmischen Darstellungen des Wahnsinns in den letzten 150 Jahren, die ihm große Macht über den Menschen, nämlich die Herrschaft des Es im Ich zugeschrieben haben, kommt das Wahnsinnige heutzutage locker und leicht wie ein neckischer Freund daher. Der Wahnsinn hat Methode, aber das kriegen wir hin. Die romantische Variation des Verrücktseins ist überwunden. »Es gibt Typen, die richten ihre Aggressionen nach innen, und welche, die sie nach außen richten« – vielleicht enthält ja diese Anfangssequenz einen viel versprechenden Therapieansatz. US-amerikanische Zuschauer finden das offenbar einleuchtend: Die »Wutprobe« hatte mit 44 Millionen Dollar Umsatz am ersten Wochenende einen extrem gelungenen Start, und das dürfte nicht nur an der prominenten Besetzung liegen. Das realistische Element in der Schilderung der Verhaltenstherapie scheint die Leute zu überzeugen. Der Film ist keine göttliche Komödie, sondern eine menschliche – es wird geklärt, wie man mit seinem Hirn umzugehen hat. Warum man eines hat, ist ihm egal.

Die »Wutprobe« wird garantiert auch in Deutschland ein Erfolg werden: Für entsprechende Promotion sorgt der Verleih, der dazu aufruft, am 10. Mai, während des Spiels Hertha BSC gegen Bayern München jemandem öffentlich im Berliner Olympiastadion einen Heiratsantrag zu machen. Nach »vollbrachter Tat«, so teilt der Filmverleih Columbia mit, wird ab 18 Uhr »über das Spiel – und natürlich auch über Ihren tollkühnen Heiratsantrag« bei »ran« berichtet. »Falls Sie selbst schon anderweitig vergeben sein sollten oder lieber Single bleiben wollen, würden wir uns auch über die bloße redaktionelle Erwähnung und Ankündigung dieser wunderbaren Aktion sehr freuen.« Dem sei hier Genüge getan. Finden werden sich für die Aktion sicher welche. Buddy Rydell könnte hier noch eine ganz andere Kundschaft vorfinden.