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Die französische Regierung hat einen Entwurf zur Neufassung der Ausländergesetze vorgelegt. von bernhard schmid, paris

Die gute Nachricht zuerst. »Ihre Aufenthaltsdauer wird verlängert«, verkündet der mit einer Polizeiuniform bekleidete französische Innenminister Nicolas Sarkozy einem jungen Afrikaner. Dann folgt die entscheidende Präzisierung: Der Aufenthaltsort ist ein Abschiebegefängnis. So sieht ein Karikaturist der Pariser Abendzeitung Le Monde den Kerngedanken des Entwurfs für eine Neufassung der Ausländergesetze, den Sarkozy am Mittwoch der vergangenen Woche im Kabinett präsentierte.

Eine der wichtigen Bestimmungen des Gesetzentwurfs ist die Verlängerung der Höchstdauer der Abschiebehaft. Sie beträgt derzeit zwölf Tage. Ursprünglich sahen die Pläne des Innenministeriums eine Verlängerung auf 60 Tage vor, doch der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht, widersprach in der vorigen Woche. Nun ist eine Ausdehnung auf 32 Tage geplant. Die Mehrzahl der EU-Länder erlaubt bisher eine längere Abschiebehaft als Frankreich. Deutschland zählt mit einer zulässigen Höchstdauer von 18 Monaten zu den Spitzenreitern.

In Frankreich hat bisher der Verfassungsgerichtshof eine Verlängerung verhindert. 1993 erklärte er noch eine Verlängerung über zehn Tage hinaus für unzulässig. Abschiebegewahrsam gilt in Frankreich juristisch nicht als Haft. Die Rechtsgarantien, auf die sich Straf- oder Untersuchungshäftlinge berufen können, sind nicht anwendbar. Das gilt nicht nur für eventuellen Freigang, sondern vor allem auch für Angehörigen- und sogar Anwaltsbesuche. Den Verfassungsrichtern zufolge hat der Abschiebegewahrsam ausschließlich der unmittelbaren Vorbereitung der erzwungenen Abreise zu dienen. Unzulässig ist es hingegen, ihn zur Verwahrung von Personen zu benutzen, von denen man befürchtet, dass sie sich dem staatlichen Zugriff entziehen und als so genannte illegale Einwanderer ihr Leben fristen.

Tatsächlich werden 85 Prozent der real erfolgenden Abschiebungen in der ersten Woche des Gewahrsams vorgenommen. Danach erhöht sich die Zahl nur noch unwesentlich. Was den Hardlinern der französischen Innenpolitik aber Sorge bereitet, ist die Situation, wenn das vermeintliche Herkunftsland die »Rücknahme« eines angeblichen Staatsbürgers verweigert. Um auch in diesen Fällen die Ausreise erzwingen zu können, möchte das Innenministerium nun die Gewahrsamsdauer ausdehnen. Claire Rodier von der Rechtsberatungsgruppe für Immigranten Gisti vermutet, dass im Hintergrund Absprachen mit Regierungen in der so genannten Dritten Welt getroffen werden. Es deute sich etwa an, dass der Senegal bereit sei, auch mal ein Auge zuzudrücken, wenn dorthin Abgeschobene gar keine senegalesischen Staatsbürger sein sollten.

Die seit März dieses Jahres regelmäßig zu Kollektivabschiebungen dienenden Charterflüge will Innenminister Sarkozy auch künftig verstärkt einsetzen. Er rechnete den Abgeordneten der Pariser Nationalversammlung stolz vor, im ersten Trimester des laufenden Jahres seien 7 000 unerwünschte Immigranten per Flugzeug oder per Schiff abgeschoben worden. Auf das Jahr hochgerechnet, komme man auf rund 30 000 Abschiebungen, was der jährlichen geschätzten Zahl der »illegalen« Einwanderer entspreche. »Wenn wir es schaffen, jedes Jahr die gleiche Zahl von Personen abzuschieben, so könnten wir die Situation zumindest stabilisieren«, führte Sarkozy aus. In einem Interview im Figaro fügte er hinzu: »Wir werden weiter gehen, indem wir jeden Monat die Zahl der abgeschobenen Sans-papiers (…) veröffentlichen, auf die gleiche Art, wie wir jeden Monat die Kriminalitätszahlen publizieren.« Die Polizei muss seit dem Amtsantritt Sarkozys vor einem Jahr monatlich ihre Erfolgsstatistiken bei der Verfolgung von Straftätern publizieren, angeblich um zu beweisen, dass die Politik der Härte die Kriminalitätsrate senkt.

Es liegt nahe, Sarkozy als reaktionären Scharfmacher zu kritisieren. Aber das reicht nicht aus. Der Mann, der längst davon träumt, bei der nächsten Präsidentschaftswahl in vier Jahren für die Nachfolge Jacques Chiracs zu kandidieren, kennt die Notwendigkeit eines ausgeglichen wirkenden Erscheinungsbildes. So überholt er seine Amtsvorgänger zugleich von der rechten wie von der linken Seite. Sarkozy schlägt in seinem Gesetzentwurf nämlich etwas vor, woran die Sozialisten in ihrer Regierungszeit kaum zu denken wagten, auch wenn linke Basisorganisationen und Menschenrechtsgruppen es immer wieder forderten: Er will die berüchtigte double peine (Doppelbestrafung) weitgehend abschaffen.

Doppelbestrafung bedeutet, dass ein Immigrant, wenn er eine der weit über 200 Straftaten begeht, die auf einer speziellen Liste erfasst sind, in der Regel nicht nur zu einer Haftstrafe verurteilt wird, wie französische Gesetzesbrecher, sondern zusätzlich abgeschoben wird. Meist wird er dadurch gleich dreifach bestraft, denn aufgrund des Verdachts, er könne sich der drohenden Ausweisung entziehen, werden ihm systematisch der Freigang und eine vorzeitige Haftentlassung gestrichen.

Die Anwendung der double peine führte zu offensichtlichen Ungerechtigkeiten, wenn Familien auseinander gerissen und Einwanderer, die seit ihrer Kindheit in Frankreich lebten, in ein ihnen unbekanntes Herkunftsland verfrachtet wurden. 1998 fand deswegen in Lyon ein Aufsehen erregender Hungerstreik statt. (Jungle World, 23/98) Die damalige sozialdemokratische Regierung unter Lionel Jospin reagierte bestenfalls mit herablassender Rhetorik. Jetzt hat ausgerechnet der konservative Sarkozy die Notwendigkeit einer Veränderung erkannt, angesichts immer wieder ausbrechender Proteste und dramatischer Schicksale.

Das hindert ihn allerdings nicht daran, ansonsten in seinem neuen Gesetzentwurf auch den Status von fest etablierten Einwanderern in Frage zu stellen. So ist vorgesehen, dass diese Gruppe die zehnjährige Aufenthaltserlaubnis künftig nicht mehr nach drei, sondern erst nach fünf Jahren erhält. In dieser Zeit müssen sich die Immigranten jedes Jahr um eine befristete Erlaubnis bemühen.

Wenn der Verdacht auf eine »Scheinehe« besteht, soll künftig der Bürgermeister die Eheschließung aussetzen und den Staatsanwalt einschalten können. Das Eingehen einer solchen Ehe würde als Straftat geahndet werden. Auch die Anerkennung einer Vaterschaft wird bei ausländischen Bewerbern in Zukunft von noch mehr Misstrauen begleitet. Wenn sich ein Betrugsverdacht bestätigt, soll der Aufenthaltstitel verweigert werden. Damit wird eine bedeutende Macht in die Hände örtlicher Verwaltungen gelegt. Ferner soll die Beihilfe zu illegaler Einreise oder illegalem Aufenthalt strenger bestraft werden. Das kann halbmafiöse Netzwerke treffen, aber auch Menschen, die aus humanistischen oder antirassistischen Motiven handeln.

Seit dem 22. April läuft ein Strafverfahren gegen Charles Frammezelle, ein Mitglied einer Initiative in Calais, die solidarische Aktionen für die Flüchtlinge im ehemaligen Auffanglager Sangatte veranstaltete, wegen »Beihilfe zum illegalen Aufenthalt«. Dafür drohen ihm theoretisch schon jetzt zehn Jahre Haft.