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Ausgeschossen

Charlton Heston. Höhepunkt und gleichzeitig Showdown in dem Film, den inzwischen wirklich jeder gesehen haben dürfte, Michael Moores »Bowling For Columbine«, ist der Besuch Moores bei Charlton Heston in dessen Prunkvilla. Moore inszeniert sich hier allein schon dadurch als Sieger über Heston, dass er beim ehemaligen Hollywoodstar nicht nur an der Pforte klingelt wie ein Schulbub, sondern tatsächlich Einlass bei Amerikas Waffen-Lobbyisten Nummer eins findet.

Gut, dass Moore seinen Film im Kasten hat, denn nun ist Charlton Heston, der Präsident der National Rifle Association (NRA), im Alter von 78 Jahren von seinem Job zurückgetreten. Was allerdings auch höchste Zeit war, denn Heston leidet inzwischen sichtbar an Alzheimer. Allerdings verliert die erzkonservative NRA mit ihren vier Millionen Mitgliedern eine höchst populäre Symbolfigur, und »Bowling For Columbine« wirkt plötzlich ein wenig weniger zeitgemäß.

Karolien machen fit

Werbestrategie. Manche Schokoladenexperten behaupten ja, die Schokolade des britischen Schokoladenherstellers Cadbury sei um einiges besser als die von Milka, und es sei deshalb ein Skandal, dass Cadbury in Deutschlands Supermärkten so gut wie nie zu finden sei. Sei’s drum. In Sachen Werbestrategien ist Cadbury in jedem Fall allen anderen Schokoladenfirmen um einiges voraus. Die Firma plant nämlich, ihren Schokoriegeln demnächst Sammelgutscheine für Schulsportgeräte beizulegen. Wenn die Schüler dann genug Gutscheine gesammelt hätten, würde Cadbury Sportgeräte liefern. Pfosten und Netz für ein Volleyballspiel gibt es beispielsweise bei 5 440 gesammelten Gutscheinen. Was umgerechnet bedeutet, dass Schokolade im Wert von 2 900 Euro konsumiert worden sein müsste. Von den Kalorien ganz zu schweigen. Die Menge an Schokolade würde ungefähr 1,25 Millionen Kalorien entsprechen.

Cadburys Werbestrategie ist also nur scheinbar absurd und eigentlich völlig logisch: Denn wer viele Kalorien zu sich nimmt, sollte diese auch wieder abbauen, und dafür sind Sportgeräte eben nicht das Schlechteste. Schokolade essen wird für britische Schüler also demnächst keine Sünde mehr sein, oder doch zumindest eine, die ihnen vergeben werden kann. Danke, Cadbury.

Eher Sie als du

Umgangston. Das Duzen nimmt ab. Eine Unsitte, die in Berliner Naturkostläden geradezu eine zwanghafte Dimension erreicht hat und in linken Kreisen Ausdruck von Solidarität oder Bruderschaft sein soll, ist auf dem Rückmarsch. Eine repräsentative Allensbach-Umfrage hat 1993 ergeben, dass 59 Prozent der jungen Leute zwischen 26 und 29 Jahren bereits nach kurzer Bekanntschaft zu einem Du übergehen würden. Heute ist das nur noch bei 48 Prozent der Fall.

Vielleicht liegt der Rückgang des Dus daran, dass seit dem Du-Boom, den die neuartigen Strukturen der New Economy ausgelöst hatten, die Leute einfach genug davon haben, mit einem Du vom Chef Kumpelhaftigkeit suggeriert zu bekommen. Nur damit man am Ende freiwillig zwei Stunden länger am Tag arbeitet.

Gericht liebt Fuckparade

Technokultur. Die große Zeit der Fuckparade, der inoffiziellen Gegenveranstaltung zur Love Parade in Berlin, ist vorüber. Immerhin durfte im letzten Jahr beim Umzug der Gabba- und Breakcore-Freaks überhaupt Musik gespielt werden, nachdem dies im Jahr davor verboten war. Allerdings durften nur in geringer Lautstärke Platten aufgelegt werden, und man musste ein gewisses Pensum an politisch motivierten Redebeiträgen bringen, um als politsche Demo durchgehen zu können.

Nun wurde Fuckparade-Veranstalter Martin Kliehm aka DJ Trauma XP dennoch verklagt, gegen beide Abmachungen verstoßen zu haben. Weil die gemessene Lautstärke einmal zwei Dezibel über dem erlaubten Höchstwert lag und die Kundgebungen insgesamt sieben Minuten zu kurz waren, um für wirkliche politische Relevanz sorgen zu können.

Zum Glück wurde die Anklage nun vor Gericht abgewiesen. Denn allzu lächerlich wäre es gewesen, wenn diese poplig leise Fuckparade mit einer Geldstrafe belegt worden wäre.

Die Fuckparade wird auch dieses Jahr wieder stattfinden, und zwar am 5. Juli 2003. Wieder in abgespeckter Form, aber immerhin.

Schatten über New York

Ground Zero. Daniel Libeskind, internationaler Stararchitekt, entwirft keine Gebäude, sondern Visionen. Umgesetzt werden diese jedoch im seltensten Fall. Das Jüdische Museum in Berlin ist da eine der wenigen Ausnahmen, auf die sich der Meister jemals eingelassen hat.

Doch nun soll bekanntlich der Entwurf von Libeskind der Neubebauung von Ground Zero in New York zugrunde liegen. Und jetzt schon werden Stimmen lauter, die meinen, Libeskind sei nicht viel mehr als ein Scharlatan, der vom Drang besessen ist, alles bedeutungsschwanger symbolisch aufzuladen.

So hat Libeskind für das Nachfolge-Gebäude des World Trade Centers sich unter anderem pädagogisch und didaktisch äußerst wertvollen Klimbim einen ganz speziellen Ort ausgedacht. An diesem soll künftig an jedem 11. September in der Zeit von 8.46 Uhr bis 10.28 Uhr – Sie ahnen, was in diesem Zeitraum passiert ist – kein Schatten zu sehen sein. »Als gespenstisch lichtvolle Erinnerung an jenen Tag des Jahres 2001«, erläutert die Süddeutsche Zeitung.

Nun will jedoch der eifrige Libeskind-Kritiker Eli Attia nachgewiesen haben, dass sämtliche Berechnungen Libeskinds glatter Humbug wären, und der Platz komplett im Schatten stehen würde. Deshalb wirft der Kritiker Libeskind nun Ignoranz, Unvorsichtigkeit und Betrug vor.

Was nach einem Streit zwischen Profilierungssüchtigen aussieht, wirft zumindest auch eine richtige Frage auf. Und zwar die, ob man nicht auf ein bisschen weniger Betroffenheitskitsch bei der Neubebauung Ground Zeros setzen könnte.