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Bei den Kommunal- und Regionalwahlen in Großbritannien gewinnen die Außenseiterparteien. Vor allem die rechtsextremen. von alex veit
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Wir werden den Ort komplett verändern. Ich hoffe, dass das Parlament ein bisschen wie das Big-Brother-Haus werden wird und dass die Menschen fernsehen werden, um mitzubekommen, was passiert. Sie werden verblüfft sein über die Verrücktheiten, die geschehen werden«, versprach Rosie Kane am Tag nach ihrer Wahl ins schottische Parlament. Falls sie Wort hält, dürften sich die schottischen Fernsehzuschauer auf Debattenübertragungen aus dem Parlament in Edinburgh freuen. Das Amüsement der Abgeordneten der etablierten Parteien hielt sich angesichts des unerwarteten Erfolgs der linksnationalistischen Scottish Socialist Party (SSP) allerdings in Grenzen.

Die SSP konnte sich bei den Wahlen zum schottischen Parlament am vergangenen Donnerstag von einem auf sechs Mandate verbessern, was unter den Trotzkisten frenetischen Jubel hervorrief und sie die »Internationale« absingen ließ. Für die allein erziehende Mutter und Jugendsozialarbeiterin Rosie Kane bedeutet der Wahlerfolg erst einmal eine finanzielle Erleichterung: »Jetzt kann ich meine Telefonrechnung und meine Council-Steuer bezahlen, da letzte Woche mein Gehalt nicht ausgezahlt worden ist.«

Colin Fox, der ebenfalls neu ins Parlament gewählt wurde, drohte der schottischen Regionalregierung gar mit einem Regime Change: »Die SSP hat die schottische Politik am Genick gepackt.« Die Grünen, die sogar einen Sitz mehr als die SSP erreichen konnten, gaben sich etwas bescheidener und wohl auch realistischer. Ihr Vorsitzender Robin Harper erklärte, sie hätten einen »Durchbruch« geschafft. Die Ökopartei konnte wie die SSP wohl von ihrer konsequenten Ablehnung des Irakkriegs sowie von einer generellen Neigung zu politischen Außenseitern profitieren.

Neben den linken Parteien schaffte es auch ein Unabhängiger ins Parlament, dessen einziges Thema der Erhalt seines lokalen Krankenhauses war, sowie eine Partei, die sich für die Rechte von Rentnern einsetzt. Von der Schwäche der drei großen britischen Parteien profitierte allerdings auch die neofaschistische British National Party (BNP), die sich in den englischen Lokalwahlen um elf auf 15 Sitze verbessern konnte.

Neben den Erfolgen der Außenseiter war die wichtigste Nachricht der britischen Lokalwahlen, bei denen am vergangenen Donnerstag neben dem schottischen und dem walisischen Parlament auch die Lokalverwaltungen in England und Schottland neu zusammengesetzt wurden, die extrem niedrige Wahlbeteiligung. Während in Schottland immerhin knapp die Hälfte der Wahlberechtigten teilnahm, war es im Rest der Insel ein Drittel. Damit wurden die Tiefstände der vergangenen Jahre noch einmal unterboten. Insbesondere der walisischen Versammlung, die wie das schottische Parlament erst seit 1999 existiert, fehlt angesichts ihrer geringen Vollmachten aus der Sicht von mehr als 60 Prozent der Wahlberechtigten offensichtlich die nötige Relevanz.

Die größten Misserfolge fuhren die bürgerlichen Separatisten in Schottland und Wales ein, wo sowohl die Scottish National Party als auch Plaid Cymru Sitze in den Regionalparlamenten verloren. In beiden Landesteilen ging Labour als die stärkste Kraft hervor, die in Wales künftig sogar allein regieren kann. Dies gelang aber vor allem, weil beide lokalen Ableger der Regierungspartei eine sozial ausgewogenere Politik als Blairs Londoner Kabinett verfolgen.

Trotz der auf den ersten Blick großen Verluste seiner Labour Party, die insgesamt mehr als 800 Sitze in den Lokalverwaltungen abgeben musste, kann Premierminister Tony Blair beruhigt sein. Weder gab es für Labour einen erhofften »Baghdad Bounce« für den erfolgreichen Irakkrieg noch gab es den befürchteten »Baghdad Backlash« der enttäuschten Kriegsgegner unter den Wählern. Zwar ging in Birmingham die Mehrheit in der zweitgrößten englischen Stadt verloren, was möglicherweise der Wahlenthaltung der muslimischen Bevölkerung geschuldet ist. Doch viel wichtiger für Blair ist wohl der nur relative Erfolg der Konservativen Partei, an deren Spitze sich wohl der glücklose Parteiführer Ian Duncan Smith halten wird.

Smith selbst zeigte sich nach der Wahl erfreut und wettete sogar 100 Pfund auf einen Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen. Die Quote von vier zu eins war allerdings sehr optimistisch, denn selbst die zerstrittenen Tories gehen davon aus, dass der harmlose Duncan Smith niemals Premierminister werden wird. Da sie nun allerdings 35 Prozent der Stimmen in England gewannen und die Mehrzahl der lokalen Abgeordneten stellen, wird es vorerst auch keine Revolte gegen ihn innerhalb der Parlamentsfraktion geben.

Die Freude über die begrenzten Gewinne der Tories wurde allerdings noch vor ihrer Bekanntgabe durch den Rücktritt des Schattenministers der Konservativen für Energie und Wissenschaft, Crispin Blunt, vermiest. Dieser warf Smith vor, nicht die nötige »Wirkung« als möglicher künftiger Premierminister zu erzielen und ein »Handicap« für die Partei zu sein. Smith bezeichnete den perfekt inszenierten Rücktritt des bislang weitgehend unbekannten Blunt als »irrelevant«.

Irrelevant für die Londoner Politik, aber möglicherweise folgenreich für das lokale politische Klima dürften die Erfolge der British National Party in den Midlands von England sein. In Burnley, wo es vor zwei Jahren zu mehrtägigen Auseinandersetzungen zwischen Neofaschisten und Jugendlichen mit migrantischem Hintergrund gekommen war, stellt die BNP nun die zweitstärkste Fraktion. »Die Menschen in Burnley sind nicht rassistischer als in anderen britischen Gemeinden. In der Stadt haben die besonderen Umstände, vor allem die Enttäuschung über die Lokalverwaltung sowie der Niedergang der Tories, der BNP die Chance gegeben, hereinzukriechen«, analysierte der Vorsitzende der Kommission für »Racial Equality«, Trevor Phillips, das Ergebnis.

Tatsächlich haben in Burnley die Menschen aus den Arbeitervierteln mehrheitlich wieder für Labour gestimmt. Gewählt wurde die BNP hingegen in bürgerlichen Vierteln. Drastischer als Phillips drückte sich Shahid Malik aus dem Labour-Vorstand aus: »Sie verbreiten sich wie Krebs über das Land.«

Die BNP versucht seit Jahren, durch einen sich modern gebenden Rassismus und soziale Rhetorik bei Lokalwahlen Erfolge zu erzielen. Doch der Parteivorsitzende Nick Griffin konnte in Oldham, wo die BNP vor zwei Jahren ebenfalls die rassistische Stimmung angeheizt hatte, keinen Sitz erlangen. In Sunderland, wo die Partei die meisten Kandidaten aufgestellt hat, gewann sie ebenfalls keine Mandate. Alison Dawson von der »Sunderland Coalition for Unity and Harmony in the Community«, die seit zwei Monaten eine Kampagne gegen die BNP führt, warnte davor, die Neofaschisten deshalb zu unterschätzen: »Es ist wichtig, dass wir vermitteln können, dass die BNP nach ihren eigenen Aussagen erst am Anfang steht.«

Die Tories und die Labour Party hatten sich bereits vor der Wahl gegenseitig beschuldigt, für die Erfolge der BNP verantwortlich zu sein. Die Konservativen argumentierten, die angeblich »chaotische« Asylpolitik Labours sei schuld an der Misere. Labour-Politiker kritisierten hingegen den offen rassistischen Wahlkampf von einigen Tory-Ortsverbänden. Beide Parteien hetzen allerdings seit Jahren gemeinsam mit rechten Boulevardblättern gegen Flüchtlinge, betonen jedoch, diese Politik richte sich nicht gegen die ethnischen Minderheiten im Land.

In Burnley haben viele Wähler aber andere Schlüsse gezogen und mit der BNP lieber gleich das Original unterstützt.