Der König
bittet zur Wahl

Die Antikriegsstimmung in der Bevölkerung richtet sich auch gegen Jordaniens König Abdullah II. Einen Sieg der Opposition bei den Wahlen im Juni muss er dennoch nicht fürchten.von florian bernhardt, amman

Mangelndes Selbstbewusstsein kann man dem jordanischen Premierminister Ali Abu Ragheb nicht vorwerfen. »Wir sind auf dem richtigen Weg und leisten gute Arbeit«, sagte er in der vergangenen Woche der New York Times. »Es gibt für uns nichts zu lernen. Tatsächlich sollten die Leute von uns lernen.«

Die Regierung und König Abdullah II. haben den Irakkrieg unbeschadet überstanden, entgegen den Befürchtungen vieler Beobachter, der Krieg gegen den Irak könne ein Auseinanderbrechen Jordaniens und den Sturz der Monarchie zur Folge haben. Tatsächlich hat der Krieg der USA in der Bevölkerung große Wut hervorgerufen und die ohnehin schon verbreitete antiamerikanische Stimmung verstärkt. Der Feldzug, so sehen es die meisten, diene lediglich der amerikanischen Vorherrschaft über den Irak und seine Ölreserven.

Die Wut der Bevölkerung richtet sich jedoch auch gegen König Abdullah II. Er sprach sich öffentlich gegen den Krieg aus, doch Jordanien ist ein verlässlicher Partner der USA und erhält großzügige US-Militärhilfen. Nach offiziellen Angaben sollen sich nur wenige hundert US-Soldaten im Land befinden, die allein zur Bedienung von drei Patriot-Raketenabwehrbatterien eingesetzt werden. Es ist jedoch ein offenes Geheimnis, dass weit mehr, nach manchen Berichten 10 000 Soldaten im Osten des Landes, nahe der irakischen Grenze stationiert waren und auch in den Krieg eingriffen.

Der König und die Regierung begannen bereits vor längerer Zeit damit, die Öffentlichkeit auf den Irakkrieg vorzubereiten. Eine wichtige Rolle spielte hierbei die im letzten Oktober gestartete Kampagne »Jordanien zuerst«, mit der die Bevölkerung unter nationalistischen Vorzeichen auf die Politik des Königs eingeschworen werden sollte.

Das Parlament löste der König im Juni 2001 auf, da es einigen seiner Reformen nicht zustimmen wollte. Seitdem regiert er durch Erlasse, gestützt auf einige einflussreiche Stämme und die Sicherheitskräfte. In der Verfassung garantierte Bürgerrechte wurden seit dem Beginn der Intifada in den palästinensischen Gebieten durch königliche Dekrete erheblich eingeschränkt.

Nach dem Beginn des Krieges verschärfte sich der Ton gegenüber der Opposition. Aktivisten wurden eingeschüchtert und verhaftet, Proteste gegen den Krieg oft durch massiven Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas beendet oder bereits im Vorfeld verhindert. Das Establishment übte sich aber auch in versöhnlichen Gesten. Fast täglich berichteten die Medien über Friedensinitiativen des Königs oder zeigten ihn zusammen mit Königin Rania beim Blutspenden für irakische Krankenhäuser.

Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich hat der Krieg Jordanien schwer getroffen. Das Königreich deckte bis zum Beginn des Krieges seinen gesamten Ölbedarf von etwa 100 000 Barrel am Tag aus irakischen Lieferungen zu Vorzugspreisen. Der Irak war mit einem Anteil von 22 Prozent auch der wichtigste Handelspartner. Sowohl die Öllieferungen als auch der Handel sind zum Erliegen gekommen, und der Krieg bedeutet auch einen Rückschritt für den Tourismus, der wegen der Intifada und der Anschläge vom 11. September ohnehin schon schwere Einbußen hinnehmen musste.

Um die wirtschaftlichen Folgeschäden des Krieges für Jordanien gering zu halten und das Land für seine proamerikanische Position zu belohnen, ist aber bereits von mehreren Seiten Hilfe zugesagt worden. So haben die USA versprochen, ihre finanzielle Unterstützung in diesem Jahr auf 500 Millionen Dollar zu erhöhen.

Hilfe kommt außerdem von der Weltbank, deren Präsident James Wolfensohn bereits Anfang März bei einem Besuch in Amman weitere umfangreiche Kredite zur Bewältigung der Kriegsfolgen zugesagt hat, und der EU, die Jordanien in eine Freihandelszone einbinden will.

Die Wut der ersten Kriegswochen ist nach dem überraschend schnellen Ende der Kämpfe einem Gefühl der Enttäuschung und Niedergeschlagenheit gewichen. Viele Jordanier waren fassungslos, weil Bagdad so schnell und ohne Widerstand in die Hände der Amerikaner fallen konnte. Bis zuletzt war der Glaube an einen militärischen Sieg des Irak selbst in akademischen Kreisen weit verbreitet. Die arabischen Medien hatten einen wesentlichen Anteil am Entstehen dieser verzerrten Sichtweise. Märchen wie das über den irakischen Bauern, der angeblich mit seinem alten Gewehr einen Hubschrauber vom Typ Apache abgeschossen haben soll, wurden einfach so kolportiert.

Die für Mitte Juni angesetzten Parlamentswahlen finden anscheinend zu einem denkbar ungeeigneten Zeitpunkt statt. Tatsächlich wird aber die Politik Jordaniens von nichts so wenig beeinflusst wie von Wahlen. Abdullahs Vater Hussein verzichtete jahrzehntelang ganz auf sie. Erst im Jahr 1992 hob er das seit 1967 herrschende Kriegsrecht auf und ließ politische Parteien wieder zu.

Das in Jordanien geltende Mehrheitswahlrecht ist ohnehin völlig auf die Bedürfnisse des Königs zugeschnitten. Distrikte, in denen überwiegend königstreue Beduinen leben, werden bei der Einteilung der Wahlkreise gegenüber mehrheitlich von Palästinensern bewohnten Gebieten bevorzugt.

Bei den letzten Wahlen 1997 repräsentierte im zweiten Wahlbezirk von Amman ein Abgeordneter 172 000 Einwohner. Im südlich gelegenen Tafileh genügen 18 000 Einwohner für ein Mandat. Kleinere Unregelmäßigkeiten wie etwa die doppelte Registrierung von Wählern und die Schikanierung unliebsamer Kandidaten durch die Sicherheitskräfte taten ein Übriges, um ein Parlament nach den Wünschen des Königs zu schaffen.

Die wichtigste Oppositionspartei, die von der Muslimbruderschaft dominierte Islamische Aktionsfront (IAF), hat in der vergangenen Woche erklärt, dass sie, anders als noch beim letzten Mal, als ein breites Bündnis von Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen die Wahlen boykottierte, an der Abstimmung teilnehmen wird. Vorausgegangen war ein Treffen zwischen König Abdullah und dem Führer der Muslimbruderschaft Majid Thneibat. Offenbar suchen beide Seiten nach jahrelangem Streit, zuletzt wegen des Krieges, eine Annäherung.

Die kleineren Parteien wie die KP haben sich inzwischen der Entscheidung der IAF angeschlossen. Im politischen System Jordaniens spielen Parteien aber ohnehin keine Rolle. Bei einer Umfrage des Instituts für strategische Studien der Universität Amman konnte nur einer von drei befragten Jordaniern überhaupt den Namen einer Partei nennen. »Die Leute sind frustriert und sowieso nicht in der Stimmung, wählen zu gehen« glaubt Laila Hamarneh, eine Sprecherin der KP.

An der Universität von Amman, wo es während des Krieges immer wieder Proteste gab, halten viele die Wahlen für reine Propaganda: »Niemand glaubt an Wahlen, außer denen, die von diesem System profitieren«, meint zum Beispiel Khaled, ein Student der Rechtswissenschaften. Die Einschätzung vieler Beobachter, die mit dem Krieg auch das Ende der Haschemitendynastie gekommen sahen, teilt er jedoch nicht: »Es ist bis jetzt gut gegangen und es kann noch Jahrzehnte so weitergehen.« Zumindest so lange, wie die USA an ihrem Verbündeten festhalten und weiterhin zahlen.