Endlich souverän

Polen hat wichtigere Probleme als die Verwaltung des Irak. Über die Emanzipation von Kerneuropa freuen sich Politik und Presse trotzdem leise. von konrad lischka

Ein Präsident triumphiert nicht. Als am vergangenen Samstag Aleksander Kwasniewski im »politischen Salon« des öffentlich-rechtlichen Radios von den Erfolgen der Regierung unter Ministerpräsident Leszek Miller sprach, erwähnte er die polnische Verwaltungszone im Irak in keiner Weise. Die Menschen hätten leider vergessen, dass die amtierende Regierung doch auch Erfolge aufzuweisen habe, sagte er. Und dann berichtete Kwasniewski von den Verhandlungsergebnissen in Kopenhagen, der Aufbesserung der Staatsfinanzen und einer zugleich verhältnismäßig sozialen Politik.

Die Innenpolitik dominiert nach wenigen Tagen selbst das sonst nie um patriotische Schlagzeilen verlegene Boulevardblatt Super-Express. Eine schöne Übersichtsgrafik der polnischen Verwaltungszone hatte man gebastelt – komplett mit wehender rotweißer Flagge und einem Soldaten darunter. Doch am vergangenen Samstag rutschte das Kunstwerk ins Zeitungsinnere, auf der Titelseite wurde geschimpft über neue Abgaben, welche die Ärmsten treffen sollen.

Die neue polnische Rolle im Nachkriegs-Irak und das deutsch-französisch-polnische Gipfeltreffen in Wroclaw unter diesen Vorzeichen rufen keinen Hurra-Patriotismus hervor. Es herrscht eher eine stille Genugtuung über die gewachsene Bedeutung Polens. So nannte zum Beispiel Premier Leszek Miller das Treffen in Wroclaw ein historisches Ereignis. Das war mehr als Wortgeklingel, denn Miller begründete sein Urteil so: »Das ist kein Treffen, bei dem jemand Entschuldigungen annimmt. Es ist ein Treffen gestandener Politiker, die gemeinsam über die Zukunft der Welt, Europas, der Europäischen Union und der transatlantischen Beziehungen nachdenken.« Soll heißen: Polen diskutiert auf gleicher Augenhöhe mit Frankreich und Deutschland.

Dieses neue Verhältnis unter Gleichberechtigten glaubten viele polnische Beobachter beim Treffen in Wroclaw zu erkennen. Die konservative Zeitung Rzeczpospolita schrieb von einem »fundamentalen Wandel«. Man müsse nur einmal zwei Jahre zurückdenken, als die so genannte Troika nicht einmal mehr auf der Basis unverbindlicher Höflichkeit existierte. Damals »erschienen der französische Präsident und der deutsche Bundeskanzler sehr oft am Himmel über Polen – auf dem Weg nach Moskau und zurück«. Nun ist das für die Rzeczpospolita anders: Polen wird in Beratungen einbezogen.

Als Grund für diese Veränderungen erkennen Politiker wie Presse das gute Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Man sieht sich in einer komfortablen Position, nicht mehr abhängig von der Gnade kerneuropäischer Mächte. Die Anschuldigungen von Verteidigungsminister Peter Struck und die Angriffe aus Deutschland werden vor diesem Hintergrund entspannt bis belustigt wahrgenommen.

Der Abgeordnete Jerzy Dziewulski von der regierenden Demokratischen Linksallianz (SLD) ist da viel deutlicher als sein Premier: »Deutschland und Frankreich haben erkannt, dass sie die falsche Entscheidung getroffen haben. Sie bedauern, dass nun nicht sie die lukrativsten Aufträge beim Aufbau des Irak ergattern werden. Wir sollten nicht darauf reagieren, das muss man aussitzen.«

Ähnlich verhält sich das gesamte politische Spektrum, abgesehen von der radikalen Rechten der Samoobrona des Populisten Andrzej Leppers. Er war immer für ein starkes Polen und unbedingt gegen Amerika. Zu diesem Thema schwieg er jedoch in der vergangenen Woche. Anders die extrem rechte »Liga der Polnischen Familien« (LPR), die bislang gegen den Irakeinsatz war. Ihr Vorsitzender Roman Giertych ist nun für eine polnische Verwaltung im Irak, weil »Polen dort besser aufgenommen werden als Amerikaner«. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass die Beziehungen zu Deutschland und Frankreich schlechter werden.

Auch die vor kurzem in die Opposition gewechselte Polnische Bauernpartei (PSL) nutzte die neue Entwicklung nicht für Angriffe auf die Europäische Union oder die eigene Regierung. Polen spiele nun eine bedeutendere internationale Rolle, was Deutschland und Frankreich übel nähmen. Mehr sagte der stellvertretende PSL-Vorsitzende Eugeniusz Klopotek nicht. Ludwik Dorn, Chef des Wahlkampfstabes der populistischen Bewegung »Recht und Gerechtigkeit« (PiS), äußerte sich am schärfsten: Bösartigkeit sei doch das Einzige, was der deutschen Regierung geblieben sei, nachdem sie die Beziehungen zwischen den USA und Europa so geschädigt habe. Doch auch Dorn empfahl der Regierung, nicht auf die Anwürfe aus Deutschland zu reagieren. Das sei Aufgabe der Presse.

Die blieb sachlich. Bronislaw Wildstein wies in der Rzeczpospolita nach den Attacken Strucks darauf hin, dass zum einen Polen Deutschland sehr wohl vorher konsultiert habe und dass zum anderen Deutschland und Frankreich diejenigen waren, die Polen und die europäischen Partner nicht über ihre Friedensinitiativen mit Russland informierten. Das Wochenmagazin Wprost warnte gar, man solle das neue politische Kapital nicht dafür nutzen, Deutschland und Frankreich alte Bösartigkeiten vorzuhalten.

Nur hat das bislang niemand getan. Präsident Kwasniewski entschuldigte sich sogar zaghaft vor dem Gipfeltreffen am vergangenen Freitag in einem Radiointerview: »Ich akzeptiere die Kritik in einem Punkt. Es war ein Versäumnis, Paris und Berlin nicht wegen des Briefs der acht zu konsultieren.« Allerdings gebe es keine gemeinsame Politik der EU zum Irak, weshalb der Vorwurf, Polen habe gegen sie verstoßen, falsch sei.

Auf die neuen Attacken aus Deutschland gegen die Besatzungsmacht Polen ging Kwasniewski nicht ein. Der weit verbreitete Standpunkt ist der, dass Polen nicht um diesen Einsatz gekämpft hat, sondern dass die Idee in Washington entwickelt wurde. Die Aufgabe hat man zwar mit einem gewissen Stolz übernommen, doch die finanziellen Probleme wurden dabei von Anfang an ganz realistisch diskutiert.

Ebenso wenig schwingt sich Polen nun zum transatlantischen Vermittler auf, wie in manchen deutschen Medien dargestellt. Marek Siwiec, der Sicherheitsberater des polnischen Präsidenten, sagte vor dem Treffen in Wroclaw: »Deutschland und Frankreich haben selbst ausgezeichnete Wege, um zu einer Übereinkunft mit der Washingtoner Regierung zu kommen. Daher würde ein Versuch Polens, als Vermittler aufzutreten, negativ aufgenommen werden.«

Für solche Eskapaden ist das Land derzeit auch viel zu sehr mit der Innenpolitik beschäftigt. Das hat der für Stimmungen sehr feinfühlige Rechtspopulist Andrzej Lepper erkannt. Mit keinem Wort erwähnte er die Außenpolitik, als er am Tag des Treffens in Wroclaw einen Brief an Präsident Kwasniewski schrieb. Darin bot er der Regierung die Unterstützung seiner Samoobrona an, weil es so nicht weitergehen könne. Lepper warnte vor einem großen »gesellschaftlichen Ausbruch«. Was immer er damit meint – die hohe Arbeitslosigkeit und das langsame Wirtschaftswachstum sehen eigentlich alle politischen Gruppen als Polens dringlichstes Problem. Deshalb wird der EU-Beitritt ebenso wie der Einsatz im Irak sehr oft allein aus der wirtschaftlichen Perspektive betrachtet. Für Patriotismus bleibt da wenig Platz.

Viele Medien weisen in ihren Berichten darauf hin, dass der Irak vor 1990 mit 250 Millionen Dollar Handelsvolumen Polens wichtigster Partner unter den Entwicklungsländern war. Der Irak ist auch der größte Schuldner Polens; 564 Millionen Dollar stehen noch aus, die zwischen 1984 und 1988 für den Kauf von Militärausrüstung geliehen wurden.

Kritik muss die polnische Regierung nicht so sehr wegen des eigentlich von der Bevölkerungsmehrheit abgelehnten Irakeinsatzes einstecken, sondern eher wegen ihrer schlechten Wirtschaftspolitik auch auf diesem Gebiet. Bauunternehmer wie Edward Szwarc von Instaleksport klagen über die spärlichen Informationen von der Regierung: »Wir wissen gar nicht, was im Irak aufgebaut werden muss.«