Hüter der Zivilisation

Plünderung irakischer Museen von jörn schulz

Wir verdanken ihnen wichtige zivilisatorische Errungenschaften wie die Schrift, das Bier und die Dekadenz. Sie erfanden allerdings auch den Staat, die Todesstrafe und die Peitsche, den Vorläufer des Polizeiknüppels. So ist uns die recht aktuell anmutende Klage eines anonymen mesopotamischen Dichters überliefert: »Man preist das Wort des Großen, der morden gelernt hat, man erniedrigt den Kleinen, der ohne Sünde ist.«

Sumer, Akkad, Babylon und die anderen auf dem Boden des Irak entstandenen »Hochkulturen« können auch heute nicht unpolitisch betrachtet werden. Denn der zentrale Widerspruch der Klassengesellschaft, die den Menschen aus den Zwängen der Natur befreit, ihn aber der Ausbeutung und der Staatsgewalt unterwirft, ist bis heute ungelöst.

In der festen Überzeugung, er stehe in einer Reihe mit den bedeutendsten Herrschern der Geschichte, ließ Saddam Hussein ab 1980 das alte Babylon wieder aufbauen. Mit der ihm eigenen Bescheidenheit ließ er in die Mauern hunderte Ziegel einfügen mit der Aufschrift »Saddam Hussein, Hüter der Zivilisation, baute den Palast Nebukadnezars wieder auf« in die Mauern einfügen.

Nebukadnezar hatte es dem Diktator wohl besonders angetan, weil er die Juden in die babylonische Gefangenschaft führte. Zum Direktor des Nationalmuseums machte er Jaber al-Tikriti, einen Angehörigen seines Herrscherclans, und alljährlich veranstaltete Saddam ein Babylon-Festival unter dem Motto: »Von Nebukadnezar bis Saddam Hussein erhebt sich Babylon erneut auf dem Weg des Aufbaus und des ruhmreichen Jihad.« Die Aufbereitung des Erbes der altorientalischen Despotie sollte die moderne Despotie hinter einer imposanten Fassade vergangener Größe verbergen. »Das Ministerium für Antiquitäten und das Irak-Museum wurden mit dem Regime identifiziert«, erklärt die irakische Archäologin Fatima Abbas die Plünderungen.

Außerhalb des Landes aber haben jene das Wort, die »Kulturgüter« als Investitionsobjekt, Standortvorteil oder Quelle des Prestiges betrachten, sich für deren Bedeutung allerdings selten interessieren. Wenige gehen so weit wie der saudische Professor Afnan Fatani, der eine jüdische Verschwörung am Werk sieht, weil Tafeln, die Juden bei der Huldigung vor Nebukadnezar zeigen, nur »von Israel organisierte Banden« gestohlen haben können. Weiter verbreitet ist die unter anderem von Außenminister Joseph Fischer vorgetragene Klage, dass »die kulturelle Identität des Irak« und ein »Teil des Menschheitserbes« gefährdet sei.

Meist wird sie verbunden mit der Vorstellung, dass die geschichtslosen Amerikaner den Wert der antiken Artefakte natürlich nicht würdigen können, wenn sie nicht durch die Förderung des Kunstraubs sogar ganz bewusst den Irak, und danach den Rest der Welt, in die eigene Kulturlosigkeit herabziehen wollen. Das »alte Europa« hätte den Plünderern wohl mit MG-Salven Respekt vor der Kultur beigebracht.

Derzeit melden die internationalen Medien, dass weit weniger als die anfangs kritiklos kolportierten 170 000 Artefakte gestohlen wurden. Die Forschung könnte in einigen Bereichen dennoch weit zurückgeworfen werden. Andererseits wird in Zukunft kein Saddam Hussein mehr historische Stätten durch seine Paläste verschandeln. Die »kulturelle Identität« des Irak wird jetzt neu ausgehandelt, sie dürfte bessere Vorbilder finden als die altorientalische Despotie. Und erstmals seit Jahrzehnten konnten Kommunisten am 1. Mai in Bagdad wieder für eine Welt demonstrieren, in der das Wort der mordenden Großen nicht mehr gepriesen wird.