Mann im Ohrwaschel

Alle abhören und Autokennzeichen filmen: Die CSU wollte in Bayern eine umfassende Überwachung ermöglichen. von jan süselbeck

Wenn es demnächst auch in Ihrem Ohr leise »Klick« macht, sollten sie zumindest wissen, warum. Immer meh Telefonate in Deutschland werden abgehört. Die rechtsstaatlichen Standards des gesetzlich verankerten Datenschutzes werden abgebaut. Zuletzt versuchte es die CSU, den Freistaat Bayern zum Vorreiter auf dem Weg in die totale Überwachung zu machen. Doch wegen starker Proteste gegen die geplante Ausweitung der polizeilichen Telefonüberwachung trat sie in der vergangenen Woche den vorläufigen Rückzug an.

Der Gesetzentwurf soll überarbeitet und erst im Herbst in den Landtag eingebracht werden. Der Fraktionsvorsitzende der CSU im bayerischen Landtag, Alois Glück, sagte, eine sachbezogene Diskussion sei im Wahljahr nicht möglich. Die Bayern wählen im Herbst einen neuen Landtag.

Mit einer Änderung des Polizeiaufgabengesetzes wollte die bayrische Staatsregierung das Abhören von Telefongesprächen erleichtern. Es sollte möglich werden, Personen zu überwachen, auch wenn sie noch gar keine Straftat begangen haben. Die bayerische Polizei sollte mit Befugnissen ausgestattet werden, wie sie sonst nur Geheimdienste innehaben.

Mobilfunkbetreiber etwa sollten die Daten ihrer Kunden an die Polizei weitergeben, damit sich im Einzelfall rekonstruieren lasse, von wo aus ein Handybesitzer mit wem telefoniert hat. Telefonate, Faxe, E-Mails und SMS sollten auf Verdacht aufgezeichnet werden. Bisher hatte höchstens der Verfassungsschutz ein Recht auf solche Daten, nicht aber die Polizei.

Zudem wollte die CSU Personen abhören lassen, die nach der Strafprozessordnung durch ein Zeugnisverweigerungsrecht geschützt sind. So wären auch Anwälte, Ärzte, Pfarrer, Drogen- und Steuerberater sowie Journalisten »vorbeugend« zu Objekten des totalen Lauschangriffs geworden. Sie hätten damit rechnen müssen, dass die bayrische Polizei mithört, wenn sie mit Hilfe suchenden Menschen vertraulichen Kontakt aufnehmen.

Doch damit nicht genug. Die CSU wollte außerdem vor Bahnhöfen, Flughäfen, konsularischen Einrichtungen und Demonstrationsorten die Kennzeichen von Autos systematisch erfassen und auswerten lassen. In der Begründung des Gesetzentwurfs hieß es, die grenzüberschreitende Kriminalität im Zuge der europäischen Integration und die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus »zwingen dazu, das polizeiliche Handeln immer effektiver und effizienter zu gestalten«.

Die bayerische SPD lehnte die Pläne der CSU als »Bayerns Weg in den Überwachungsstaat« ab. Auch die Grünen und der Deutsche Anwaltsverein (DAV) kritisierten das Ansinnen. Der Vorstoß solle »Modellcharakter für andere Bundesländer und für den Bundesgrenzschutz haben«, sagt Hans-Christian Ströbele, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag.

Der Vorsitzende des Bayerischen Journalistenverbandes, Wolfgang Stöckel, warnte davor, die Pläne der CSU könnten die Arbeit von Journalisten in der ganzen Bundesrepublik beeinträchtigen. Die Voraussetzungen für die präventive Telefonüberwachung seien »niedrigschwellig und nebulös«. Stöckel verwies auf eine Studie der Universität Bielefeld, nach der in Deutschland bereits jetzt jedes Jahr rund eine Million Anschlüsse abgehört würden. In den USA seien es nur 25 000.

Auch beim bayerischen Datenschutzbeauftragten, Reinhard Vetter, stieß das Vorhaben der CSU auf Bedenken. Er kritisierte, dass der Straftatbestandskatalog, bei dem die Polizei die neuen Abhörtechniken präventiv einsetzen will, »zu weit und zu unbestimmt« sei. Vetter sieht den Grundsatz der »Polizeifreiheit des Bürgers« verletzt: Jeder Mensch habe das Recht, von der Polizei so lange nicht behelligt zu werden, wie er keinen Anlass dazu biete.

Derweil macht sich bei den vorläufig ausgebremsten bayrischen Überwachungsstrategen Zerknirschung breit. Der Pressesprecher der CSU-Landtagsfraktion in Bayern, Oliver Platzer, sagte der Jungle World, es gebe »nur einen«, der in der Partei gegen das neue Gesetz gewesen sei: der Münchener Landtagsabgeordnete Joachim Haedke, der »immer aus der Reihe tanzt«. Haedke gehe es nicht um Inhalte, sondern um »die eigene Profilierung«. Er sei »nicht ernst zu nehmen«. Genauso wenig wie die Opposition, die stets laut aufschreie, ohne sich mit der Materie auseinandergesetzt zu haben, sagte Platzer. Man werde das Gesetz im Laufe des Jahres noch »ohne Probleme« durchbringen.

Haedke zeigte sich gegenüber der Jungle World »etwas verwundert« über diese Äußerungen Platzers. Der 33jährige gehört dem Innenausschuss des bayerischen Landtags an und wandte sich von Beginn an gegen das Gesetz, weil er es für »nicht haltbaren Schmarrn« hielt. Haedke prophezeite seiner Fraktion frühzeitig »das jetzt eingetretene Medien-Fiasko« und meint, man solle den gesamten Entwurf »nicht nur auf Oktober verschieben, sondern schleunigst in den Abfall werfen«.

Er sei »nicht ganz zufrieden« damit, dass das Vorhaben nur in die nächste Legislaturperiode verschoben worden sei. Es sei die kuriose Situation entstanden, dass die CSU nach dem Stimmungswandel in der Fraktion dem Antrag der Grünen zugestimmt habe, noch vor Beginn der parlamentarischen Beratungen eine Anhörung durchzuführen. Nach Haedke sei es ein »einmaliger Vorgang, dass die CSU einem Antrag der Grünen ohne jede Änderung zugestimmt« habe.

Trotz dieser Entwicklung stellt das bayerische Vorhaben eine neue Qualität der Versuche dar, demokratische Grundrechte einzuschränken. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Joachim Jacob, nennt in seinem aktuellen Jahresbericht die Zahl von 21874 Telefonüberwachungsanordnungen im Jahr 2002. Eine solche Anordnung kann das Abhören tausender Telefonate zur Folge haben (Jungle World, 20/03). Die Zahl solcher Anordnungen steige und habe sich seit 1995 fast verfünffacht. »Wir dürfen nicht zulassen, dass sich in unserem Land schleichend und fast unbemerkt eine Überwachungskultur entwickelt, deren tatsächliche Effizienz und Notwendigkeit nicht nachgewiesen ist«.