Mischt mit

Der letzte linke Student XXIII:

Der letzte linke Student ist froh. Denn: er ist in die große Stadt gezogen. Und er ist nicht nur in eine große Stadt gezogen. Nein: er ist in die ganz große Stadt gezogen. Das hat selbstverständlich Gründe. Der erste Grund ist: Man muss näher am Geschehen sein. Der zweite Grund ist: Wo das Geschehen ist, ist immer was los. Der dritte Grund ist dann der: Die anderen sind auch schon alle in die große Stadt gezogen. Die anderen, das sind: die Vorsitzende des AStA, die schönste Studentin und der, der sich noch immer Kommunist nennt. Nur die drei neuen Freunde, die sind noch nicht in die große Stadt gezogen. Denn: die große Stadt macht dekadent, sagen sie. Weil: jede Stadt, die groß ist, dekadent macht. Und dekadent ist: nicht links.

Aber: das findet der letzte linke Student nicht. Das mit dem dekadent und links schon. Aber nicht: das mit der großen Stadt. Nämlich: gerade in der großen Stadt wird Politik ganz groß geschrieben! Etwa: letzte Woche. Da haben die Studenten protestiert gegen die Studiengebühren. Und das: noch bevor die überhaupt beschlossen sind. Und das sogar: spontan! Was beweist: in der großen Stadt gibt es noch Aufruhr.

Das sagt der letzte linke Student dem, der sich noch immer Kommunist nennt. Er sagt es ihm: in der einen Uni in der großen Stadt, die außerdem noch eine andere Uni hat. Doch der, der sich noch immer Kommunist nennt, was sagt der? Der sagt: »Das ist doch blöd. Wenn du nicht hergezogen wärest, müsstest du nicht bald Studiengebühren zahlen.« Doch: der letzte linke Student ist ja nicht auf den Kopf gefallen! Darum: sagt er prompt: »Du bist doch auch hergezogen!« Und: lächelt erhaben.

Der, der sich noch immer Kommunist nennt, sagt dann: »Das war doch meines Freundes wegen.« Allein: das findet der letzte linke Student lächerlich. Weil: das ist ja nun wirklich dekadent. Und zwar: total dekadent. Darum sagt der letzte linke Student: »Ich bin der Politik wegen hier.« Und lässt: den, der sich noch immer Kommunist nennt, einfach stehen. Er geht nämlich: weg.

Dann ist der letzte linke Student zuhause. Er wohnt jetzt: in einer WG. Das ist: gut. Weil: das ist kommunal. Und weil: Politik schon im Kleinen anfängt. Er sitzt in seiner Bude und öffnet das besondere Notizbuch. Er betrachtet das leere Blatt. Und: hat das Gefühl, das leere Blatt betrachtet auch ihn. Aber: der letzte linke Student kennt keine Angst vorm leeren Blatt. »Natürlich ist das Persönliche auch wichtig!« Das schreibt er. »Aber das Persönliche ist nie genug. Nur das Politische ist wirklich wichtig für einen selber. Denn das Politische ist für alle wichtig, und wir alle sind Einzelne, die dann das Ganze bilden. Wenn ich also hierher ziehe, dann wegen der Politik. Und da sind Studiengebühren kein Hindernis. Nein! Sie sind ein Opfer, das ich gern bringe.« So.

Der letzte linke Student liest noch mal, was er geschrieben hat. Aber: er ist nicht ganz zufrieden. Denn: ein Bonmot ist das nicht. Das ist mehr so: Tagebuch. Jedenfalls: vom Stil her. Allerdings: Tagebücher sind auch nicht schlecht, denn sie sind sehr ehrlich. Und: Dutschkes Tagebücher zum Beispiel sind sehr lehrreich. Man soll ja: auch an die Zukunft denken. Das denkt der letzte linke Student. Dann schaut er aus dem Fenster. Denn: vielleicht ist ja wieder was geschehen. Und wir, wir sollten auch mal schauen, was alles geht.

jörg sundermeier