Sozialismus und Barbarei

Hinrichtungen, drakonische Haftstrafen für Dissidenten und Repression in allen Bereichen – was ist eigentlich in Kuba los?von leonie fuhrmann

In Kuba mehren sich die Zeichen einer fortgeschrittenen Dekadenz des zentralistischen Modells der Macht. Ein Modell, das fälschlicherweise den Gehorsam gegenüber den Befehlen von oben zum revolutionären Verdienst gemacht hat.« So kommentiert der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano die jüngsten Ereignisse in Kuba.

»Kuba schmerzt«, hat er seinen Text betitelt, und damit bringt er ein Gefühl zum Ausdruck, das all jenen, die die kubanische Revolution lange solidarisch begleitet haben, längst nicht mehr unbekannt ist. Der Anlass für die jüngste Kuba-Debatte, in der sich neben Galeano auch andere linke Intellektuelle wie Noam Chomsky oder José Saramago zu Wort meldeten, sind die Verhaftung und Verurteilung von 84 Dissidenten seit der zweiten Märzhälfte sowie die Hinrichtung von drei Männern, die eine Fähre aus dem Hafen der Hauptstadt entführten, um in die USA zu gelangen.

Seit der Exekution des populären Generals Arnaldo Ochoa im Jahr 1989 hat keine Hinrichtung in Kuba so viel Aufsehen erregt wie die drei jetzt erfolgten Erschießungen. Wie viele Hinrichtungen es auf der Insel seit dem Fall Ochoa im Stillen gab, weiß kaum jemand. Doch wurde die Todesstrafe in den letzten drei Jahren offenbar nicht mehr angewendet und ihre Abschaffung war zumindest in der Diskussion.

Diese dürfte mit den jüngsten Vorfällen beendet sein. Wie immer, wenn es um Kuba geht, ist die internationale Debatte stark von ideologischem Lagerdenken geprägt. Einige Autoren betrachten die Hinrichtungen und die extrem hohen Haftstrafen für Journalisten und Oppositionelle schlicht als Kollateralschäden in der Konfrontation mit den USA und mahnen zur politischen Disziplin.

Doch wirft diese Position nicht nur ethisch-politische Grundsätze über Bord, sie argumentiert auch an den Lebensbedingungen und Bedürfnissen der kubanischen Bevölkerung vorbei, um derentwillen die Revolution einst stattfand. Die Repression, die die Insel während des Irakkonflikts erlebte, hat für alle KubanerInnen Konsequenzen. Den Auftakt markierte Anfang Januar eine Antidrogenkampagne, die Regierung räumte offiziell die Existenz eines illegalen Drogenmarktes ein und kündigte Maßnahmen an. Sie würden sich auf jegliche Spielart illegaler Geschäfte und persönlicher Bereicherung erstrecken.

In Havanna, später auch in der Provinz, wurden bei Polizeirazzien beachtliche Mengen Marihuana, Kokain und Crack sowie ca. 100 Wohnungen beschlagnahmt. Schätzungsweise 150 Personen wurden verhaftet. Sie erwarten hohe Haftstrafen von 25 bis 30 Jahren. Der Schlag gegen den Drogenhandel, bei dem die kubanische Regierung sogar punktuell mit US-Behörden kooperiert, war offenbar deshalb so erfolgreich, weil die Fahnder über Insider-Informationen aus der entsprechenden Szene verfügten.

Die Kampagne stieß zunächst auf das Wohlwollen einer Bevölkerung, die durch die immer noch extrem niedrige, aber in den letzten Jahren doch merklich steigende Kriminalitätsrate verunsichert ist. Denn seit der Einführung des Dollar als zweite Währung wächst die soziale Ungleichheit rapide, und mit ihr sind Diebstahl, Raub und vereinzelte Gewaltdelikte in den kubanischen Alltag zurückgekehrt.

Die Razzien und Festnahmen wurden rasch auf andere illegale Geschäftszweige ausgedehnt, die als Folge der ökonomischen Zwangslage entstanden sind und auf denen ein Gutteil der heutigen kubanischen Binnenökonomie basiert: die Zimmervermietung an Touristen, der Vertrieb von Waren, die ohne Lizenz in Heimarbeit produziert oder aus dem staatlichen Rationierungskreislauf abgezweigt werden, Prostitution und Zuhälterei, illegale Lottogeschäfte etc.

Es ging plötzlich darum, die auf Kuba seit der Krise der neunziger Jahre verbreitete Korruption anzugreifen. Selbst Persönlichkeiten aus der Militärhierarchie wurden diesmal verhaftet. Die Folge war eine merkliche Ausdünnung des Schwarzmarktes und ein allgemeines Klima der Verunsicherung, das viele informelle Aktivitäten erschwerte.

Diese Offensive gegen »unerlaubte Aktivitäten« fügt sich in eine Wirtschaftspolitik, in der die Regierung das private Kleingewerbe zwar aus der Not und in einem engen Rahmen erlaubte, es aber seitdem durch Gängelung und überzogene Steuern wieder zurückzudrängen versucht.

So werden viele Bürger gezwungen, sich in einer gesetzlichen Grauzone zu bewegen. Eine kubanische Oppositionsgruppe, das Centro de Estudios del Socialismo Democrático Diego Vicente Tejera, konstatiert in einem Papier vom letzten Jahr, dass in Kuba »zwei ethische Konzepte parallel existieren. Auf der einen Seite die vorherrschende Überlebensmoral und auf der anderen die Ethik der bedingungslosen Aufopferung, die das Regime verkündet. Dies führt zu einem fatalen Widerspruch zwischen dem Menschentyp, den der Staat von den Bürgern einfordert, und dem Menschen, der man sein muss, um zu überleben.«

Die Repression wurde von einer ideologischen Offensive begleitet, die im klassischen Kampagnenstil alle gesellschaftlichen Bereiche einbezog. Das staatliche Fernsehen zeigte wiederholt Aufklärungsfilme über Drogen, und in Schulen, Betrieben und Massenorganisationen wurden die BürgerInnen in speziellen Versammlungen aufgefordert, die revolutionäre Wachsamkeit zu verstärken und sich mit eigenen Vorschlägen an der Kampagne zu beteiligen. Somit werden die Handlungsspielräume für die Einzelnen im Alltag noch enger.

Vor diesem Hintergrund muss auch die Serie von Flugzeug- und Fährenentführungen gesehen werden, die sich im März ereigneten. Die Entführer zweier Inlandsflüge konnten sich mit Androhung von Waffengewalt durchsetzen und gelangten in die USA, wo sie offenbar von der Justiz nicht ernsthaft behelligt werden. Eine dritte Flugzeugentführung wurde schon im Ansatz verhindert, und die Entführer einer Fähre wurden von Sondereinheiten überwältigt.

Während in den kubanischen Medien über diese Vorfälle ausführlich berichtet wurde und der Irakkrieg die Welt beschäftigte, wurden gleichzeitig im Stillen die so genannten Dissidenten verhaftet. Erst als die Schnellverfahren schon liefen, wurde die Öffentlichkeit auf das Bevorstehende vorbereitet. Der neue US-Interessenbeauftragte in Kuba, James Cason, wurde der wiederholten Provokation und Verletzung diplomatischer Regeln bezichtigt, weil er die Opposition offen unterstützt habe.

Doch anstatt diplomatische Gegenmaßnahmen zu ergreifen, ging die Regierung gegen den Teil der Binnenopposition vor, die logistische Unterstützung von den USA angenommen hat. Dabei kam heraus, dass eine Reihe von Schlüsselfiguren und Koordinatoren der so genannten grupúsculos Agenten im Dienste der Regierung waren.

Keinem der Journalisten und Oppositionellen, die nun zu Strafen zwischen acht und 28 Jahren Haft verurteilt wurden, konnten Kontakte zum US-Geheimdienst oder verschwörerische Aktivitäten nachgewiesen werden. Ihr Vergehen war, sich außerhalb der vom Staat vorgegebenen Partizipationskanäle organisiert und geäußert zu haben. Die Verhaftung der Dissidenten und die Hinrichtung der drei Entführer sind Elemente einer Aufräumkampagne, mit der die Regierung sich der Kontrolle über alle relevanten Vorgänge im Land versichern will. Sie macht deutlich, dass sie in jedem Fall eher bereit ist, präventiv zuzuschlagen, als sich dem Risiko böser Überraschungen auszusetzen.

Für die Regierung und ihre bedingungslosen Verteidiger in der Welt scheint der bloße Machterhalt unter dem Label »Sozialismus« längst zum Selbstzweck geworden zu sein. Wie viel von der Menschenwürde, in deren Namen die Revolution einst antrat und die sie auch heute noch betont, im Land noch übrig ist, wird dabei nicht mehr gefragt. Vielleicht ist ein solches Ende des Projekts Kuba genau das, was den Interessen der USA gelegen kommt.