Tamm-Tamm im Hause Springer

Ausgerechnet an seinem 75. Geburtstag muss Ex-Springer-Chef Peter Tamm um die Existenz der Welt bangen. von jan freitag

Wenn Peter Tamm vom Balkon seines »Wissenschaftlichen Instituts für Schifffahrt und Marinegeschichte« auf die Elbe blickt – im Rücken die feine Hamburger Elbchausse –, ist er in seinem Element. Blauer Zweireiher, Manschettenknöpfe, dicke Havanna – hanseatisch durch und durch zeigt einer der weltweit findigsten Sammler maritimer Exponate auf die Freifläche unter der Prunkvilla, auf alte Kanonen und Bordgeschütze, reihenweise Torpedos und ein NVA-Schnellboot.

Die Welt voller Kriege, der Mensch allein durch martialische Gesten friedensfähig – Peter Tamms Weltbild oszilliert eigentlich zwischen Clausewitz und Ronald Reagan, aber es lässt sich auch problemlos auf einen ganz anderen aktuellen Kriegsschauplatz anwenden: das Berliner Zeitungswesen.

Dort nämlich führt sein ehemaliger Arbeitgeber, der Springer-Verlag, ein offenes Gefecht um die Lufthoheit über den Briefkästen der Stadt. Dessen Waffe ist die simple Drohung, die hauseigene Zeitung Welt einzustellen. Sollte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement nach dem Einspruch von Bundeskartellamt und Monopolkomission per ministerieller Intervention die Übernahme des einstigen Gruner+Jahr-Blattes Berliner Zeitung durch den Stuttgarter Holtzbrinck-Verlag im Nachhinein genehmigen, droht der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner damit, die Welt einzustellen. Die Begründung für diese Offensivverteidigung lautet: Mit der Berliner Zeitung als Ostmarke und dem vornehmlich im Westteil Berlins gelesenen Tagesspiegel würde Holtzbrinck zusammen 61 Prozent des Anzeigenmarktes für Abo-Blätter auf dem hart umkämpften Hauptstadtmarkt halten.

Was zu viel wäre, meint Tamms Nachfolger Döpfner. Andererseits jedoch droht wiederum Holtzbrinck, falls Clement den Kauf der Berliner Zeitung ablehnen würde, mit der Einstellung des Tagesspiegel. In diesem Fall käme es auf dem Berliner Zeitungsmarkt zu einer Bereinigung, die in Fachkreisen allerdings ohnehin als unumgänglich gilt. Denn die Abo-Zeitungen der Hauptstadt befinden sich allesamt in einer eher prekäreren Lage. Selbst der biederen, aber immerhin lange Zeit wirtschaftlich soliden Berliner Morgenpost laufen seit der redaktionellen Teilfusion mit der Welt die Leser weg. Von den einstigen Plänen, überregionale Blätter als »deutsche Washington Post« oder als »Süddeutsche des Nordens« zu etablieren, blieben bei den Hauptstadtzeitungen nichts als rote Zahlen und arbeitslose Redakteure.

Es ist deshalb keine hoch dotierte Preisfrage, welche Entscheidung Clements Peter Tamm am liebsten wäre. Schließlich ginge dem Manager a.D. – falls Döpfner im Einvernehmen mit dem Gesamtbetriebsrat die Welt und vielleicht sogar noch die Berliner Morgenpost mit absägt – mindestens eines seiner Leib- und Magenblätter verloren. Und das womöglich auch noch an seinem Ehrentag. Denn Peter Tamm, noch immer in eigenen Verlagen und zahlreichen Aufsichtsräten tätig, feierte ausgerechnet am Tag vor der erwarteten Ministerentscheidung am 13. Mai seinen 75. Geburtstag.

Immerhin 43 Geburtstage hat Tamm als Angestellter des Mediengiganten Springer erlebt, auch wenn es für ihn in der Anfangszeit alles andere als gigantisch zuging bei Springers. Als Schifffahrtsredakteur stieß er 1948 zum Hamburger Abendblatt und wechselte zehn Jahre darauf in die kaufmännische Abteilung. Er übernahm die Verlagsleitung von Bild, führte ab 1960 den Ullstein-Verlag, wurde später Gesamtdirektionsvorsitzender, Verlagsgeschäftsführer und stand ab 1982 neun Jahre an der Vorstandsspitze des mächtigen Konzerns.

Mit seinem großen Mentor Axel Caesar Springer stand er politisch natürlich stets auf einer Wellenlänge und prägte selbst die publizistische Stoßrichtung des Verlags wie kein zweiter neben dem Gründervater. Getreu seinem Motto, dem Volk stets aufs Maul zu schauen, entwickelten sich unter seiner Ägide vor allem Bild und Abendblatt in der öffentlichen Wahrnehmung zu »Anwälten des kleinen Mannes«.

Solide Buchführung und straffe Hierarchisierung bildeten Tamms betriebswirtschaftliches Credo. »Das funktionierte wie beim Militär«, umschreibt Tamm seinen Organisationsstil. Er forderte Verantwortungsbereitschaft, gegenseitigen Respekt und Leistungsfähigkeit von seinen Mitarbeitern.

Ursprünglich wollte Tamm als junger Seekadett der letzten Weltkriegstage Admiral werden. Dummerweise war die Schlacht dann aber, so sagt er im Gespräch, »einfach zu schnell vorbei«. Immerhin wurde ihm der Titel später doch noch verliehen. Inoffiziell zumindest, als Ehrerbietung an den großen Verlagssteuermann.

Konservativ bis ins Mark, heimatliebend, dabei europäisch ausgerichtet – das gilt bis heute als Zugangsvoraussetzung, um in die Führungsetagen des Axel-Springer-Verlags zu gelangen. Tamm hatte nie ein Problem damit, diesen Maßgaben gerecht zu werden. Später dann, als sich nach der Wende eine junge Managergeneration bei Springer tummelte, zog sich Tamm in den Ruhestand zurück.

Vorbei also die überschaubaren Zeiten, als der passionierte Historiker eigenhändig die Geschicke des Konzerns lenkte. Damals trieb das überregionale Flaggschiff Die Welt noch als anspruchsvolleres Kampforgan neben Bild recht krisensicher in Hamburger Gewässern. Erst der publizistische Run auf die wiedervereinigte Hauptstadt mit all den überregionalen Träumereien von Holtzbrinck, Bertelsmann und Gruner+Jahr traf nun auch Springer ins Herz.

»Der Zeitungsmarkt wird sich eben ausdifferenzieren«, kommentiert Tamm die aktuelle Krise der Printmedien scheinbar unberührt und hätte auch nichts dagegen, wenn sich neunzig Prozent der deutschen Regionalblätter zusammentun würden. Schließlich, so meint er, habe es solche Umstrukturierungen auch in der Schifffahrt gegeben.

Sein Nachfolger Döpfner dagegen beklagt natürlich bitterlich, dass die bereits statt gefundenen Konzentrationsprozesse zu Lasten der Abo-Zeitungen aus dem Hause Springer gingen. Wie stark Springer bislang den Hauptstadtboulevard dominierte, spart Döpfners Wehklagen wider die Monopolisierung jedoch geflissentlich aus.

Dass der Untergang des einstigen Frontorgans des Kalten Krieges, der Welt, nicht unbedingt von einer Ministerentscheidung abhängt, ist angesichts der aktuellen Auflage von nur noch 200 000 Stück ein offenes Geheimnis. Wer das Blatt eigentlich noch braucht, fragen sich viele. Es taugt weder etwas für Berlins Intellektuelle, noch für den Boulevard, geschweige denn für die ganze Republik.