»Wir werden hier nicht verschwinden«

Delicia Righini

Eineinhalb Jahre lang hielten 58 Arbeiterinnen die Textilfabrik Brukman in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires besetzt und produzierten unter eigener Regie. Das ist nun vorbei. Die Regierung ließ das Gebäude kurz vor der Präsidentenwahl (Jungle World, 18/03) räumen. Als die Arbeiterinnen versuchten, die Fabrik wieder zu besetzen, ging die Polizei brutal gegen sie vor.

Seither stehen sich dort Polizisten und Protestierende gegenüber. Die Arbeiterinnen von Brukman haben ein Zeltlager errichtet und werden von Arbeitslosen, Studenten, Menschenrechtsorganisationen und linken Parteien unterstützt. Die Proteste sollen erst aufhören, wenn die Arbeiterinnen in die Fabrik zurückkehren können. Mit einer von ihnen, Delicia Righini, sprachen Cecilia Pavón und Timo Berger.

Wie ist die aktuelle Situation, gab es Gespräche mit der Regierung?

Wir haben die Arbeitsministerin Graciela Camaño getroffen. Weil sie in der Presse behauptete, wir seien unnachgiebig und wollten nicht verhandeln, sind wir zu ihr gegangen. Aber dabei ist nichts herausgekommen. Denn das, was sie uns anbot, war eine Halle mit Nähmaschinen. Sie schlug uns vor, dort die Arbeit wieder aufzunehmen. Wir wollten wissen, um welche Maschinen es sich handelte, sie wollte es uns aber nicht sagen. In der Fabrik hatten wir computergesteuerte Maschinen, sie wollte uns wahrscheinlich welche mit Pedalen andrehen. Außerdem verlangte sie von uns, dass wir für die Maschinen und die Halle Miete bezahlen. Das kommt nicht in Frage.

Haben Sie sich die Halle angesehen?

Nein. Aber das bedeutet nicht, dass wir den Dialog abgebrochen haben. Wir sind bereit, weiter zu verhandeln. Aber die andere Seite soll mit ernsthaften Vorschlägen kommen. Es ist offensichtlich, dass die Regierung auf der Seite der Besitzer steht. Ihr einziges Ziel ist es, uns von der Fabrik wegzubekommen. Wir sollen von hier verschwinden.

Die Angebote kann man nicht ernst nehmen. Wir werden uns weiter mit der Ministerin treffen, aber solange sie die Interessen der Besitzer vertritt und nicht anerkennt, dass Brukman uns gehört, werden wir nichts akzeptieren. Denn wir haben die Fabrik anderthalb Jahre lang betrieben und instand gehalten, wir haben die Maschinen repariert, die sie uns bei den Räumungsversuchen zerstörten, wir haben einen neuen Kundenstamm aufgebaut, wir haben die Schulden bezahlt.

Was verlangen Sie von der Regierung?

Die Besitzer der Fabrik schulden dem Staat sechs Millionen Pesos (knapp zwei Millionen Euro), die ihnen von der Nationalbank als Kredite gewährt wurden. Wenn man so will, gehört Brukman eigentlich dem Staat. Wir fordern, dass der Staat die Maschinen und das Gebäude enteignet und sie an uns übergibt. Wir würden dann Decken und Wäsche für Krankenhäuser und öffentliche Einrichtungen anfertigen. Das ist unsere Forderung, und sie ist es seit dem Tag, als wir zum ersten Mal in der Fabrik blieben. Außerdem soll die Regierung die Polizei aus dem Viertel abziehen und uns zurück in die Fabrik lassen. Das ist der Ausgangspunkt für Verhandlungen. Das Viertel ist militarisiert wie zu Zeiten der Militärdiktatur, wohin du auch gehst, triffst du auf Polizisten.

Hat die Regierung eine Erklärung zum gewaltsamen Polizeieinsatz am Tag der Räumung abgegeben?

Nein, die Regierung schweigt dazu. Wir alle wurden geschlagen. Die Polizei kam wie eine Bande von Einbrechern. An einem Feiertag, dem Gründonnerstag, nachts. In der Fabrik befanden sich fünf Arbeiterinnen, und die Regierung schickte 3 800 Polizisten! Sofort kamen Nachbarn und Leute von den verschiedenen Organisationen. Aber viele waren wegen der Osterfeiertage nicht in der Stadt. Die Polizei hat den Zeitpunkt geschickt gewählt. An einem anderen Tag hätten sie es nicht geschafft.

Ist das der einzige Grund, warum die bisherigen Räumungsversuche scheiterten und dieser nicht?

Nein, es lag auch daran, dass der Rechtsfall Brukman in die Hände eines anderen Richters übergegangen ist. Der bisherige war ein Arbeitsrechtler, er hat zu unseren Gunsten entschieden. Denn er war der Ansicht, dass wir aus Rohstoffen, die wir selbst gekauft hatten, Waren produzierten und sie verkauften. Seiner Ansicht nach war das rechtens und wir durften in der Fabrik bleiben, die Polizei konnte uns nichts anhaben.

Doch er wurde von Jorge Rimoldi, einem anderen Richter, abgelöst. Alle wissen, dass Rimoldi ein Richter aus der Zeit der Militärdiktatur ist. Er erklärte, das Privateigentum sei unbedingt zu schützen, gab sogar die Anweisung, Bleikugeln einzusetzen, wenn wir uns der Räumung entgegenstellen sollten.

Dieses ganze Justizmanöver ist illegitim, und deswegen haben unsere Anwälte ein politisches Verfahren eingeleitet. Zum einen ist die Art und Weise, wie sich Rimoldi des Falles annahm, illegitim, und zum anderen, weil er ein Richter des Strafrechts und nicht des Arbeitsrechts ist.

Wie halten Sie den Widerstand aufrecht?

Wenn es die ganzen Organisationen, die uns unterstützen, und die ganzen Leute, die zu uns kommen, nicht gäbe, dann wären wir im Gefängnis. Zum Glück sind viele hier und zelten mit uns. Eine Gruppe von Schülern aus dem Viertel hat auch ein Zelt aufgestellt. Wir wechseln uns ab, wer vor der Fabrik Wache hält, so kommt man auch mal zum Schlafen. Wir werden hier bleiben, bis sie uns reinlassen. Deshalb muss immer jemand vor dem Eingang sein.

Außerdem warten 3 000 Hosen auf ihre Auslieferung. Wir wollen wieder rein, um an unseren Aufträgen weiterzuarbeiten. Unsere Kunden warten. Zurzeit halten wir uns nur dank der Unterstützung der Organisationen, die vor Ort sind, über Wasser und dank der Leute, die uns Essen bringen. Falls uns jemand helfen möchte, soll er uns eine E-Mail schreiben. Diese Unterstützung ist sehr wichtig, weil sie es uns ermöglicht, weiterzukämpfen.

Haben Sie schon mit den Eigentümern geredet?

Sie waren am Tag der Räumung da, danach aber nicht mehr. Sie trauen sich nicht, weil sie wissen, dass wir sie nicht reinlassen. Sie können nur rein, wenn sie viele Polizisten mitbringen. Deswegen verbreiten sie jede Menge Lügen in den Medien, und die Medien machen eine Kampagne für sie. Die Eigentümer behaupten, es gebe 60 Arbeiterinnen, die dafür seien, dass die Eigentümer zurückkehrten. Das stimmt nicht. Es handelt sich höchstens um 15, das sind die ehemaligen Verwaltungsangestellten und die Verkäufer. Auch behaupten sie, wir würden Fahnen für die Arbeiterpartei nähen. Noch so eine Lüge, dafür haben wir gar keine Zeit. Wir müssen Anzüge schneidern, um sie zu verkaufen. Wenn wir nicht arbeiten, haben wir nichts, wovon wir leben können.

Und wie geht es jetzt weiter?

Zusätzlich zum Camp organisieren wir verschiedene Veranstaltungen. Am Freitag gab es hier ein Rockkonzert. Tausende kamen, vor allem junge Leute. Weitere Konzerte sollen folgen. Am Mittwoch werden wir Nähmaschinen aufstellen, die wir uns geliehen haben. Und wir werden auf der Straße nähen. Wenn sie uns nicht reinlassen, dann machen wir es eben draußen. Wir werden Decken und Kleidung für die Leute anfertigen, die im Augenblick von den Überschwemmungen in der Provinz Santa Fe betroffen sind.

Kontakt: juancarlos_righini@yahoo.com.ar