Autorität kommt spät

Die amerikanisch-britische Allianz hat die Etablierung einer irakischen Übergangsregierung vertagt. Unterdessen diskutiert der UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Nachkriegsordnung. von martin schwarz

Die Iraker werden sich wohl noch einige Zeit gedulden müssen, bis in Bagdad eine aus Landsleuten rekrutierte Übergangsregierung herrscht. Denn offenbar haben sich die amerikanisch-britischen Befreier ein wenig überhoben mit ihrem Anspruch, schon Mitte Mai aus den personellen Beständen der irakischen Opposition eine Interimsregierung zu basteln. »Es ist ziemlich einleuchtend, dass man nicht die gesamte politische Macht auf eine derartige Interimskörperschaft konzentrierten kann, weil sie weder über die Stärke noch über die Ressourcen verfügt, um eine derart große Verantwortung zu übernehmen«, musste der britische Diplomat John Sawers nach einem Treffen mit dem neuen US-Chefverwalter Paul Bremer bekennen.

Alles, was vorläufig von den Demokratisierungsplänen der Befreier bleibt, ist der Wunsch, möglichst bald eine Nationalversammlung der Iraker zu konstituieren, die aber nur beratende Funktionen übernehmen soll. Paradoxerweise ist damit die Mitbestimmung der irakischen Bevölkerung an der politischen Planung auf ein Niveau der Epoche Saddams zurückgefallen. Auch er hielt sich eine Nationalversammlung, deren Abgeordnete allerdings nur beratend tätig sein konnten.

Dementsprechend werden die Rufe der irakischen Opposition nach Mitbestimmung auch immer lauter. Schnell müsse eine Übergangsregierung gebildet werden, so der ehemalige irakische Außenminister Adnan Pachachi noch in der Vorwoche, denn »darauf konzentrieren sich alle Hoffnungen der Iraker. Keine fremde Macht kann diese Aufgaben übernehmen, denn die Iraker drängen darauf, über ihr Land selbst zu bestimmen.«

Drängen können die Iraker, viel nützen wird es allerdings nicht. Zu viele einander ausschließende und konkurrierende Modelle hatten die amerikanischen und britischen Besatzer für eine demokratische Transformation im Gepäck. Da war einmal die Rede von 23 amerikanischen Ministern, die von jeweils vier Irakern beraten werden sollten, dann von einem siebenköpfigen Gremium irakischer Minister, deren Kompetenzen jedoch darauf beschränkt sein würden, die Amerikaner und Briten zu beraten.

Allerdings haben Bremer und seine Getreuen wohl rechtzeitig gemerkt, dass mit vielen irakischen Oppositionellen kein Staat zu machen ist: Achmed Chalabi, Chef des Irakischen Nationalkongresses, bleibt mangels Basis ein Polittourist, religiöse Eiferer aus der schiitischen Opposition trommeln für die Einführung eines islamischen Staates, und die beiden großen Kurdenparteien, die Patriotische Union Kurdistans von Jalal Talabani und die Kurdische Demokratische Partei von Massud Barzani, legen keinen allzu großen Wert auf die schnelle Bildung einer starken Zentralregierung in Bagdad. Die USA wollten mit verschiedenen Konzepten die Opposition in die politischen Entscheidungsprozesse integrieren. Aber das hat sich als nicht praktikabel erwiesen.

Allerdings gibt es neben diesem Aspekt noch eine andere Motivation der Amerikaner und Briten, sich den Irak bis auf weiteres als Protektorat zu halten. Die von beiden Mächten Ende der Vorwoche eingebrachte UN-Resolution zur Nachkriegsordnung im Irak verspricht beiden Staaten maximalen politischen und wirtschaftlichen Profit, solange sie selbst die Regentschaft in Bagdad innehaben. Der Resolutionsentwurf zielt darauf ab, der amerikanisch-britischen Herrschaft im Irak eine legale Basis zu verleihen und die UN-Sanktionen gegen das Land zu beenden.

Denn derzeit sitzen Amerikaner und Briten zwar auf dem irakischen Ölreichtum, können das schwarze Gold allerdings nirgends für Bares verkaufen, weil offiziell noch immer das Oil-for-Food-Programm der Vereinten Nationen läuft und irakisches Öl daher auf dem Weltmarkt unverkäuflich ist. In Paragraf 21 des US-amerikanischen Resolutionsentwurfes wird nun die Schaffung eines Fonds vorgeschlagen, der die Erlöse aus dem Ölverkauf verwaltet und der von einem »Repräsentanten des UN-Generalsekretärs«, von der Irakischen Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und anderen supranationalen Organisationen überwacht wird.

Gleichzeitig aber sieht die Resolution vor, die Gelder des Fonds könnten von den »Autoritäten« im Irak nach Gutdünken für den Wiederaufbau vergeben werden. Die »Autoritäten« im Irak sind nach dem Stopp der Bemühungen um die Bildung einer irakischen Übergangsregierung Amerikaner und Briten. Wenn also das Pentagon entscheidet, dass das Geld aus den irakischen Ölverkäufen am besten für Wiederaufbauaufträge an die US-amerikanischen Unternehmen Halliburton oder Bechtel verwendet wird, so ist das damit abgesegnet. Damit die widerspenstigen Sicherheitsratsmitglieder Syrien, China, Russland und Frankreich ein wenig beschwichtigt werden, sieht der Entwurf außerdem die Entsendung eines UN-Koordinators in den Irak vor. Dessen Kompetenzen aber sind äußerst vage beschrieben, er soll lediglich die »Aufgaben der Autoritäten koordinieren«.

Jene Mitglieder des Sicherheitsrates, die sich gegen den Resolutionsentwurf wenden, sind nun in einer äußerst delikaten Lage. Verhindern sie etwa durch ihr Veto die Annahme der Resolution, so wird niemand dafür Verständnis haben, dass die Machtspiele der Vetomächte das Leiden der irakischen Bevölkerung verlängern. Andererseits aber würde die Resolution die Vereinten Nationen endgültig von der künftigen Einflussnahme auf die Neuordnung des Irak ausschließen.

»Letztlich reden wir darüber, wann die Macht im Irak auf eine demokratisch legitimierte Regierung übergeht und unter welchen Bedingungen die Sanktionen gegen den Irak aufgehoben werden können«, beschreibt Russlands stellvertretender Außenminister Juri Fedotov die anspruchsvolle Aufgabe. Worüber der Minister in der Öffentlichkeit weniger gern spricht, ist die Tatsache, dass im Resolutionsentwurf alle Ansprüche auf die Einhaltung von Verträgen, die mit dem ehemaligen Saddam-Regime geschlossen wurden, für null und nichtig erklärt werden. Und Russland hat sehr eifrig Verträge mit Saddam Husseins Regime geschlossen. Derzeit sitzt das Land auf noch nicht eingelösten Verträgen über Hilfslieferungen im Wert von vier Milliarden US-Dollar. Diese ökonomischen Verluste möchte Moskau noch gerne abgegolten wissen, bevor es einer neuen UN-Resolution zustimmt.

Die Chancen stehen gar nicht so schlecht, denn Washington ist durchaus zu Verhandlungen bereit. US-Außenminister Colin Powell nämlich soll diesmal das gleiche diplomatische Kunststück gelingen wie bei der UN-Resolution 1441. »Wir wollen eine 15:0-Abstimmung«, so Powell. Damit könnte die Lähmung des Sicherheitsrates beendet werden. UN-Generalsekretär Kofi Annan, wie üblich kaum involviert und offenbar in innerer Emigration, könnte das nur recht sein, denn nach dem Desaster um den Irakkrieg braucht er dringend einen harmonischen Sicherheitsrat. Den USA wiederum ist an der Einigkeit wohl auch deshalb gelegen, weil ein einheitliches Votum des Sicherheitsrates in Zukunft das Gezerre um die Legitimation der amerikanischen Herrschaft im Irak verhindern könnte.

Einen neuen Verbündeten in dieser Angelegenheit hat Powell am vergangenen Freitag in Berlin gefunden. Bundeskanzler Gerhard Schröder, wieder um Freundschaft mit Washington bemüht, merkte schon einmal an, dass die Sanktionen »keinen Sinn machen« und versprach Unterstützung für die USA im Sicherheitsrat. Moskau und Paris werden ob der deutschen Kehrtwende entzückt sein.