Die Opfer handeln

»Kein Mensch ist illegal« will in Zukunft die Arbeitskämpfe von Migranten unterstützen. von anke schwarzer

Kein Mensch ist illegal, war und ist die richtige Parole gegen eine Politik, Menschen zum Nutzvieh herabzuwürdigen und ihnen das Existenzrecht in der Bundesrepublik und der Europäischen Union abzusprechen«, hieß es in der Einladung. Das antirassistische Netzwerk habe aber keine soziale und politische Strategie entwickeln können, die den gegenwärtigen Zustand ernsthaft angreife. Vor allem fehle es an Dynamik, Kein Mensch ist illegal sei kaum mehr in der Lage, neue Impulse zu setzen, kritisierten einige Aktivisten den Zustand der Initiative sechs Jahre nach ihrer Gründung.

Deshalb sollte ein öffentliches Forum antirassistischer Initiativen für frischen Wind sorgen, das vom 9. bis 11. Mai in Hannover stattfand. Kamen in letzter Zeit nur etwa 30 bis 50 Leute zu den Treffen, versammelten sich diesmal rund 120 Aktivisten. Von Auflösungserscheinungen kann also keine Rede sein.

»Kein Mensch ist illegal« hatten 1997 antirassistische Gruppen und Künstler auf der Documenta X in Kassel, gemeinsam mit den Sans papiers aus Frankreich, ins Leben gerufen. Schnell erreichten die Initiativen einen großen Bekanntheitsgrad, die prekäre Situation illegalisierter Menschen wurde öffentlich gemacht und die Zusammenarbeit mit Organisationen von Migranten vertieft. Neben dieser Arbeit gingen aus den bundesweiten Treffen auch die Grenzcamps und die Kampagne Deportation Class hervor.

In Hannover standen drei Themen auf der Tagesordnung. Neben Abschiebungen und Abschiebelagern wurde das Migrationsregime unter die Lupe genommen und die Rede von der Festung Europa in Frage gestellt. Vor allem die Internationale Organisation für Migration (IOM) wurde kritisiert (Jungle World, 02/42) und soll zukünftig im Mittelpunkt von Protestaktionen stehen. Der Slogan wird lauten: »Freedom of Movement – Against Migrationmanagement«.

In einem dritten Workshop ging es um Arbeitsmigration und den darin angelegten Widerspruch zwischen einer verbesserten wirtschaftlichen Situation der Menschen und den ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, in denen sie sich befinden – ein lange Zeit vernachlässigter Aspekt antirassistischer Arbeit. Angesichts der Autonomie der Migration waren sich alle einig, endlich davon Abschied zu nehmen, die Migranten nur als Opfer wahrzunehmen. Illegalisierte, Migranten und Flüchtlinge sollen vielmehr als Handelnde mit ihren eigenen Entscheidungsmöglichkeiten ernst genommen werden, ohne dabei den strukturellen Zwang, in reiche Länder zu gehen, und ihre prekäre Situation hier zu vergessen.

Das emanzipatorische Potenzial von Migrationsbewegungen bewerteten die Teilnehmer sehr unterschiedlich. Migration könne als Bewegung der Aneignung, als eine »Abstimmung mit den Füßen« begriffen werden, sie schaffe transnationale Räume und Existenzweisen, unterlaufe alltäglich staatliche Ausgrenzungsmechanismen und fördere eine Globalisierung von unten, meinten die einen. Andere bezweifelten, dass beispielsweise durch die Pendelmigration vieler Osteuropäer sozial und politisch autonome Netzwerke von Migranten entstünden.

Unter dem Schlagwort »Reökonomisierung des Antirassismus« wurde geplant, stärker als bisher die Arbeitskämpfe Illegalisierter zu unterstützen. Die Hauptaufgabe antirassistischer Arbeit – also illegal in Deutschland lebende Migranten dabei zu unterstützen, eine Unterkunft zu finden, Kinderbetreuung und medizinische Versorgung sicherzustellen – wird damit um den Bereich der Lohnarbeit erweitert. Arbeitgeber, die den angeheuerten Migranten die derzeit üblichen sechs bis acht Euro doch nicht bar auf die Hand legen, sollen unter Druck gesetzt werden. Ebenso wie solche Unternehmen, die kurz vor der Lohnauszahlung Razzien provozieren, indem sie sich selbst anonym anzeigen. Sie erreichen damit, statt der Löhne eine viel geringere Geldbuße für die Beschäftigung von Schwarzarbeitern bezahlen zu müssen, während die Angestellten in Abschiebehaft kommen. In Zusammenarbeit mit migrantischen Gruppen sollen die Flüchtlinge über ihre Arbeitsrechte informiert und bei deren Durchsetzung unterstützt werden.

Ein weiter gehendes politisches Ziel ist die von zahlreichen Migranten geforderte Abschaffung des Arbeitsgenehmigungsgesetzes, also des Arbeitsverbots für Flüchtlinge. Dennoch blieb der Slogan »Recht auf Arbeit!« umstritten. Während den Kritikern die Forderung zu bescheiden schien und sie ihrer Meinung nach einer grundsätzlichen Kritik der Arbeit nicht gerecht werde, verteidigte eine starke Fraktion den Slogan. Gleiche Rechte für alle zu schaffen sei radikal und greife die Fundamente von Illegalisierung und Ausschluss an.

In Hannover zeigte sich, wie unterschiedlich die Antirassisten die kapitalistische Vergesellschaftung begreifen. Offen blieb, inwieweit »Kein Mensch ist illegal« daran interessiert ist, Lebensstile und Produktionsweisen, die internationale, postkoloniale und patriarchale Arbeitsteilung zu hinterfragen. Die Debatte um die Verrichtung bezahlter und unbezahlter Hausarbeit von Frauen zum Beispiel sollte gleichzeitig mit dem Eintreten für die bürgerlichen Rechte der Migranten weitergeführt werden, ohne dass dabei die Migranten einmal mehr in der Geschichte der antirassistischen Bewegung in Deutschland mit einem anderen Maß gemessen werden als die Antirassisten deutscher Herkunft.

Bei allen Themen zeigte sich, dass die Frage der Legalisierung von großer Bedeutung ist. Eine eigenständige Kampagne hierzu ist allerdings nicht geplant, allenfalls ein Einklinken in die für den Herbst angesetzte Städtetour von Kanak Attak. Diese soll sich mit den extrem unterschiedlichen Lebenschancen von in Deutschland lebenden Menschen beschäftigen und, anders als die Bleiberechtskampagne von Pro Asyl, eine Offensive für ein Recht auf Legalisierung starten.

Auch wenn sich eine stärkere politische Schlagkraft, trotz zahlreicher Aktivitäten, noch nicht abzeichnet, hat das Forum in Hannover gezeigt, dass »Kein Mensch ist illegal« auch über die Jahre hinweg handlungsfähig geblieben ist und sich anderen Initiativen, etwa migrantischen Organisationen und linken Gewerkschaftern, öffnet. Vor allem aber scheut sich »Kein Mensch ist illegal« nicht, gesellschaftlich zu intervenieren, auch wenn politische Meinungsverschiedenheiten auszuhalten sind und, wie es ein Teilnehmer formulierte, das Kleingedruckte der Analyse bei Aktionen nicht immer mitgeliefert wird. Eine Aktivistin von Respect aus Berlin, der Interessenvertretung migrantischer Hausarbeiterinnen, die dort seit mehreren Jahren ohne Papiere lebt, sagte: »Wir haben keine Zeit, schon morgen kann uns die Polizei holen.«