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Auf der Flucht

USA. Szenen, in denen Outlaws die Grenze eines US-Bundesstaates überqueren, um sich polizeilicher Verfolgung zu entziehen, sind aus Film und Fernsehen wohl bekannt. In der vergangenen Woche waren es jedoch mehr als 50 texanische Parlamentarier der Demokratischen Partei, die sich ins temporäre Exil nach Oklahoma begaben. Um eine Neueinteilung der Wahlkreise durch die regierenden Republikaner zu verhindern, boykottierten sie die Abstimmung, für die die Anwesenheit von mindestens 100 der 150 Abgeordneten notwendig gewesen wäre.

Abwesende Abgeordnete polizeilich vorzuführen, ist nach texanischem Recht legal. Dass die texanische Polizei auch das für den Kampf gegen den Terrorismus zuständige Department of Homeland Security einschaltete und der Republikaner Dan Branch die Boykotteure als »legislative terrorists« bezeichnete, weckte aber einmal mehr die Befürchtung, dass sich antiterroristische Maßnahmen nicht allein gegen Bombenleger richten. Zudem bekennen die Republikaner offen, dass die legale Manipulation der Wahlkreiseinteilung ihnen vier bis fünf zusätzliche Sitze im Kongress verschaffen soll.

Präsident unter Beschuss

Liberia. Präsident Charles Taylor hat wenige Freunde. »Das kann nicht so weitergehen«, teilte Ruud Lubbers, der Flüchtlingshochkommissar der Uno, Vertretern der liberianischen Regierung mit. »Viele glaubwürdige Quellen«, so Alan White, der Chefankläger des von der Uno mandatierten Kriegsverbrechertribunals in Sierra Leone, machten Taylor für den Mord an der Familie des Warlords Sam Bockarie verantwortlich. »Charles Taylor beherbergt Terroristen aus dem Mittleren Osten«, kritisierte Alan Crane, der Vorsitzende des Tribunals. Auch im Landesinneren steht es nicht zum Besten. Die Rebellen der Lurd kontrollieren mindestens die Hälfte des Landes und versuchten in der vergangenen Woche, Taylors Heimatort Arthington anzugreifen.

Menschenrechtsverletzungen, Unterstützung von Warlords in den Nachbarländern, illegaler Diamantenhandel – die meisten der gegen Taylor erhobenen Vorwürfe sind zutreffend. Allerdings unterscheidet sich seine Politik nicht grundsätzlich vom Verhalten vieler anderer Politiker und Warlords in der Region, die ihrerseits Gruppen wie die Lurd unterstützen, von der »internationalen Gemeinschaft« aber wohlwollender beurteilt werden. Die bequeme Personalisierung des Problems der Warlordisierung erlaubt es jedoch westlichen Staaten und der Uno, ihr kopfloses Krisenmanagement ungestört fortzusetzen.

Bomben und Gesten

Russland. Der vermeintliche Erfolg der bisherigen Tschetschenien-Politik Moskaus wurde in der vergangenen Woche erneut in Frage gestellt. Zwei Selbstmordanschläge forderten mindestens 70 Tote und über 300 Verletzte. Nachdem am Montag ein Verwaltungsgebäude der örtlichen Polizei und des russischen Geheimdienstes FSB vollständig von einer Detonation zerstört worden war, richtete sich der zweite Anschlag am Mittwoch gegen eine religiöse Feier, an der auch der von Russland eingesetzte Verwaltungsleiter Achmed Kadyrow teilgenommen hatte. Er entkam dem Selbstmordattentat jedoch unverletzt.

Verhandeln will der russische Präsident Wladimir Putin weiterhin nicht, doch er sieht nun die Notwendigkeit, den tschetschenischen Kämpfern mit »einer humanitären Geste« entgegenzukommen, und stellte eine Amnestie in Aussicht. Sie sieht vor, allen Kämpfern, die bis zum 1. August ihre Waffen niederlegen und sich nicht »ernsthafter Verbrechen« schuldig gemacht haben, Straffreiheit zu gewähren.

Kalkulierter Verzicht

Argentinien. Die Stichwahl um das argentinische Präsidentenamt am Sonntag war am Ende nicht mehr nötig, nachdem einer der beiden Kandidaten, der frühere Präsident Carlos Menem, seine Teilnahme vier Tage vor dem Wahltermin abgesagt hatte. Deshalb heißt der neue Präsident Néstor Kirchner, obwohl er im ersten Wahlgang noch hinter seinem peronistischen Parteikollegen Menem lag. Dieser begründete seinen Rückzieher unter anderem mit »den nicht gegebenen Konditionen« einer fairen Abstimmung. Dabei ist das geltende Wahlrecht während der Amtszeit Menems von 1989 bis 1999 von ihm selbst entworfen worden.

Kirchner, der nach Umfragen bis zu 40 Prozentpunkte vor seinem Kontrahenten gelegen hatte, warf Menem vor, die neue Regierung als »schwach und zerbrechlich« darstellen zu wollen. Der noch bis zum 25. Mai amtierende Interimspräsident Eduardo Duhalde warnte bereits jetzt vor der »Unregierbarkeit«. Solcherlei Zweifel zerstreut Kirchner mit Hinweisen auf seinen »großen Mut« und seine »Entschlossenheit«. Angesichts der desaströsen Wirtschaftslage wird er genug Möglichkeiten haben, diese peronistischen Tugenden unter Beweis zu stellen.

Staatssicherheit gerettet

China. Theoretisch haben Xiao Yunliang und Yao Fuxin 158 Millionen Arbeiter aus 150 Staaten und das internationale Recht auf ihrer Seite. Guy Ryder, der Generalsekretär des internationalen Gewerkschaftsverbandes ICFTU, forderte in der vergangenen Woche den chinesischen Präsidenten Hu Jintao auf, die beiden Arbeiter freizulassen, da sie ausschließlich ihre Rechte auf Vereinigungsfreiheit und kollektive Verhandlungen vertraten, die auch China durch den Beitritt zur Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) anerkannt hat.

Die chinesische Staatsanwaltschaft sieht das ganz anders. Sie wertet die Organisation von Protestdemonstrationen gegen die Schließung der Liaoyang Ferroalloy Factory im Frühjahr 2002 als Gefährdung der Staatssicherheit. Das Gericht verurteilte Yao Fuxin zu sieben und Xiao Yunliang zu vier Jahren Gefängnis, was potenzielle Nachahmer abschrecken und möglicherweise auch von Gewerkschaften geplagte Investoren anlocken soll.