… oder lügen wie gedruckt

Journalismus erschöpft sich nicht in der Wiedergabe von Fakten. Wo er das behauptet, ist er besonders ideologisch. von diedrich diedrichsen

Ich habe mal einen Artikel über David Bowie geschrieben. Es gab ein neues Album, ein Interview war nicht möglich. Ein Freund von mir, der immer ein halbes Jahr vor Bowie so angezogen war wie der auf seinem nächsten Album-Cover, wurde daraufhin das Vorbild für einen Homestory-Exzess. Ich dichtete dem »Rock-Chamäleon« lauter bizarre Alltagsmanierismen an, gab an, mit ihm fiebrige politische und aufgewühlte ästhetische Debatten zu führen und legte ihm schließlich ein Dandy-Manifest in den Mund, das natürlich viel amüsanter war als alles, was der echte Bowie so in den letzten zwei Jahrzehnten von sich gegeben hat. Bowie ist ein Pop-Star, eine semifiktive Figur qua Genre und als solche muss er es sich gefallen lassen, wenn die Rezeption die Fiktion weiterspinnt.

In diesem Sinne kann man auch einige Vorwürfe zurückweisen, die wegen seiner Geschichten im Magazin der Süddeutschen dem armen Tom Kummer von einer Armada von Authentizisten seinerzeit gemacht wurden. Unangenehm fand ich eher manche These oder den eigentlich ziemlich abgelatschten und oft ins reaktionäre Gegenteil gekippten Narzissmus des New Journalism, aber nicht dass Kummer jemandem wie Nicole Kidman Zitate von jemandem wie Carl Schmitt in den Mund legte. Im Gegenteil: Der Glaube, dass irgendjemand wirklich so redet wie in einem von sieben Faktenprüfern gecheckten Spiegel-Interview verdient es immer wieder, nachhaltig erschüttert zu werden. Im ungünstigsten Fall stimmen zwar alle so genannten Fakten, denn die hat man ja autorisiert, aber der Flow klingt falscher als die Spülung einer Dixi-Toilette auf einer aufgegebenen Baustelle in Brandenburg. Die Form des Interviews und ihre Suggestion, ein Gespräch authentisch wiederzugeben, konnte am besten Andy Warhol als Ideologie exponieren, der in seiner Zeitschrift Interview eben genau das getan hat: Gespräche eins zu eins zu dokumentieren. Zwar könnte man argumentieren, gegen Ideologie helfe nur Ideologiekritik, nicht aber weitere Fiktion. Das trifft aber nur zu, wenn man an ein heilignüchternes Außen der Kritik glauben kann. Ich habe aber Investitionen in die spezifische Fiktion der Bowie-Figur, ich will sie verbessern, einsetzen, mit ihr spielen, nicht nur und ganz extern das ideologische Prinzip ihres Zustandekommens geißeln.

Nun ist das Dekonstruieren von Authentizismus das Eine, das Erfinden und Fälschen von Zahlen und Daten etwas Anderes. Natürlich sind die Bezugsgrößen des politischen Journalismus, das Faktenmaterial, unantastbar. Und zu Recht gibt es Gesetze, die deren revisionistisches Leugnen unter Strafe stellen. Journalismus erschöpft sich aber höchst selten in der reinen Reproduktion dieser Bezugsgrößen und wo er das behauptet (»Fakten, Fakten, Fakten«) ist er ganz besonders auffällig ideologisch. Vielmehr nutzt das aus diversen Genres zusammengesetzte und in ebenso viele Arrangements aus Stimmen, Perspektiven und Rhetoriken sich zergliedernde Theater des Journalismus seinen Ruf, ganz dem Faktischen verpflichtet zu sein, um seine immer schon literarischen Dimensionen desto wirksamer unmarkiert für die Ideologieproduktion zu nutzen.

Jayson Blair von der New York Times hielt man unter anderem vor, eine Landschaftsbeschreibung, die den Hintergrund einer Reportage bildete, einem Foto entnommen zu haben und nicht vor Ort gewesen zu sein. Nichts illustriert den Authentizismus als Ideologie besser als dieser Vorwurf. Die Schilderung einer Landschaft ist nicht die Meldung eines Faktums. Sie ist eine literarische Produktion, die eben lediglich im Zusammenhang mit einer Meldung erscheint. Eine Landschaft wird nur selten besser, wenn man sie mit eigenen Augen gesehen hat: Zumeist geht es um ihre je nachdem färbende und idyllisierende, rhetorische und repräsentationspolitische Funktion. Was vermag Augenzeugenschaft gegen Metapher und Metonymie? Was man Blair in diesem Zusammenhang vorwerfen kann, ist wie und dass er ein lahmes journalistisches Genre bedient. Nicht aber dass er dieses Genre nicht ganz ernst nahm.

Der Umgang mit den Routinen des Journalismus und der dazugehörigen Ideologie des rein Faktischen bedarf allerdings anderer Gegenstrategien. Nicht hemmungsloses Fabulieren, weil’s eh egal ist, sondern ein reflexives Schreiben, das sich seinem Genre, seiner Form und seiner Konvention bewusst ist. Ein Schreiben, das ideologische Formate markiert, mit ihnen spielt und sie überspringt. Meistens ist die Wahrheit wahrer als die Fälschung, aber zuweilen gibt es auch den Fall der Lüge, die die Wahrheit sagt.